Arbeitsamt: Von der biederen Behörde zum digitalen Dienstleister

Hehre Ziele, horrende Investitionen! Das neue Online-Angebot der Bundesanstalt für Arbeit sorgt derzeit für viel Gesprächsstoff. Und das wohl vor allem, weil man trotz immenser Investitionen dem Status Quo der bestehenden kommerziellen Jobbörsen um Lichtjahre hinterher zu hinken scheint. Neuer Gerster-Gau oder Aufbruch in das Agenturzeitalter? Eine kritische Analyse.

Zumindest eine wichtige Voraussetzung erfüllt das Portal: Es war richtig teuer! Das alleine macht es schon furchtbar wichtig. Das muss ja das Beste sein, was in dieser Richtung jemals gebaut wurde. 29 Millionen Euro hat die Entwicklung gekostet. Stattlich! Zuzüglich 48 Millionen Euro für die Schulung der Mitarbeiter und neue Infrastruktur. Whow! Zuzüglich 24 Millionen für eine neue Werbekampagne. Uff! Insgesamt also schlappe 100 Millionen Euro. Mannomann.

Aber Halt! Eigentlich sind es ja 101 Millionen Euro und ein paar Zerquetschte. Wir dürfen ja nicht die 1,3 Millionen Euro vergessen, die irgendein Berater aus Berlin bekommen hat. Wie konnten wir das übersehen? Das war immerhin der Aufmacher aller Zeitungen in diesem Land vor gut einer Woche. Dieser Berater also – Bernd Schiphorst – hat nämlich das Geld für etwas ganz Dubioses bekommen: „PR“. Was immer das auch genau sein mag.

Für die anderen 100 Millionen hat man ja ganz offensichtlich wenigstens etwas Gescheites bekommen. Etwas Handfestes. Also hat die Summe auch kein einziges Medium interessiert. Keiner hat hinterfragt, welche Leistung eigentlich dahinter steht. Aber PR? Nun ja, genau genommen hat der Herr Schiphorst auch gar keine PR gemacht. Wie man so hört, hat er nur das ganze Konzept mit entwickelt, die Strategie bestimmt, die Ausschreibungen vorbereitet, die Agenturen mit ausgewählt usw. Man hat also ein Prozent des Etats für so etwas wie Planung und Koordination ausgegeben. Und wie man von Beteiligten hört, hat dieser Herr Schiphorst seinen Job auch richtig gut gemacht. Zumindest soll Herr Schiphorst sein Handwerk verstehen. Aber egal: Der Vorwurf war nunmal, dass da formal was nicht gestimmt hat.

Zurück zum Internet-Auftritt. Neunundzwanzig Millionen Euro also. In Zahlen: 29.000.000 Euro. Für dieses Geld kann man locker 300 richtig gute Mittelstandsportale bauen. Oder rund 5.000 ziemlich gute Corporate Websites. Aber ist ja richtig: Was ist schon Quantität? Die Bundesanstalt für Arbeit hat alle Ressourcen konzentriert und für dieses Geld nur ein einziges Portal gebaut. Wofür das Geld verwendet wurde, ist aber zunächst sehr unklar. Erst mal sieht man nix. Wenigstens nix Besonderes. Wenn man sich aber die Sache im Detail anschaut, wird eines deutlich: In Nutzerfreundlichkeit, hilfreiche Technologie oder saubere Umsetzung ist offensichtlich nichts investiert worden – das Portal ist technisch auf unterstem Niveau, strotzt nur so von handwerklichen Fehlern und gehört zu den nutzerunfreundlichsten Portalen, die ich je gesehen habe. Peng! Hat das vorher noch niemand gemerkt?

Vielleicht liegt es am Medium, dass das noch niemandem aufgefallen ist. Ist ja immerhin das Internet. Und das Internet ist ja Technik. Das versteht eh keiner. Wer weiß schon, was man für Server braucht und so’n Kram. Und Software. Und Berater. Ist ja alles so schwierig. Vielleicht muss man die Summe auch relativieren. Immerhin sei im Preis die „Migration“ von 2,1 Milliarden Datensätzen enthalten, liest man in der Presse. 2,1 Milliarden Datensätze? Aha! Sind denn in dieser Datenbank die Arbeitslosen der ganzen Welt enthalten? Oder ist jetzt zum Winter die Arbeitslosenzahl von zuletzt 4,2 Millionen doch stark gestiegen? Na ja, ist ja auch Wurst.

Jetzt aber konkret. Warum die ganze Kritik? Fangen wir vorne an: Damit man das Teil richtig nutzen kann, muss man sich registrieren. Das alleine ist schon ein unsäglicher Vorgang – aber dazu später. Selbst wenn man das geschafft hat, hilft es einem (zunächst) nicht viel weiter. Das Portal bedankt sich brav dafür, dass man die Formulare ausgefüllt hat und kündigt an, man bekomme dann „in den nächsten Tagen“ eine PIN, mit der man sich einloggen könne. Wie bitte? „In den nächsten Tagen“. Whow, das ist die neue schnelle Internetwelt. Bei mir ist die Registrierung übrigens schon vier Tage her. Ich habe immer noch nichts, und meine offenen Stellen inzwischen schon besetzt.

Okay, okay, wieder zurück von der großen, schnellen (Internet-)Welt zur kleinen Welt des deutschen Arbeitsamtes. Apropos „klein“: Die verwendete Schrift auf arbeitsagentur.de ist so klein, dass man sie kaum lesen kann. Und das ist keine Übertreibung. Die ist wirklich so richtig klein. Nicht nur ein bisschen klein. GANZ klein – klitzeklein sozusagen. Aber süß.

Fast so süß wie Bea, die virtuelle Beraterin. Oder die „schöner-Mann-und-schöne-Frau-lächeln-sich-beim-Arbeiten-an“-Bilder aus dem Bildkatalog. Über Design kann man sich streiten – aber kann man für 29 Millionen Euro nicht wenigstens etwas liebevolle Gestaltung verlangen anstatt etwas völlig Austauschbares, Belangloses?

Alles nicht so schlimm. Kann man verzeihen. Ist ja ’ne Behörde. Muss ja nicht hübsch sein. Schlimmer ist schon das Registrierungsformular. Wobei „schlimmer“ gar kein Ausdruck ist. Ein Albtraum! Wie soll man das beschreiben? Als Anleitung zu „Wie hält man jemanden von einer erfolgreichen Registrierung ab“? Nachdem die fünf Seiten AGBen (in der klitzekleinen Schrift) durchgelesen sind, will man also – im wahrsten Sinne des Wortes – „weiter“ machen. Überall in der (westlichen) Welt und auf jeder Website steht bei aufeinander folgenden einzelnen Seiten der „Weiter“-Button unten ganz rechts. Macht ja auch Sinn. Wir lesen ja von links oben nach rechts unten. Aber in diesem Portal ist der Button rechts unten der „Zurück“-Button. Clever! Sozusagen doch mal etwas Kreatives. Aber irgendwie auch störend. Immer, wenn man ein Formular ausgefüllt hat, und dann vermeintlich auf „weiter“ klickt, landet man auf der vorigen Seite und alle eingegebenen Daten sind weg. Also noch mal neu…

Und dann gibt es im Registrierungsformular noch eine so genannte „Drop-down-Liste“, wo man – als Arbeitgeber – seinen „Wirtschaftbereich“ angeben muss. Auch wenn man brav seine Branche auswählt (wobei die Schrift so klein und die Vorgaben so schwer zu verstehen sind, dass das man Kopfschmerzen bekommt), dann produziert das Formular eine Fehlermeldung und behauptet, man hätte dieses Feld nicht ausgefüllt. Das müsse man aber. Ist ja ein Pflichtfeld. Aber hat man doch, denkt man sich. Und grübelt. Nach vielen Versuchen und langsam aufkeimendem Ärger kommt man dann (vielleicht) drauf, dass da irgendetwas nicht stimmt. Aber hallo, ja, rechts neben dem Feld ist ein kleines schwarzes Dreieck. Und siehe da, wenn man auf dieses kleine schwarze Dreieck klickt, dann erscheint eine neue Drop-down-Liste, wo man dann seine „Branchengruppe“ angeben kann. Also wieder „weiter“ klicken (Achtung, nicht den „Zurück“-Button erwischen!) und wieder eine Fehlermeldung kassieren. Mist! Noch mal geschaut (man ahnt schon wo) und gesehen: Da ist noch eine neue Dropdownliste, jetzt muss man die „Branchenuntergruppe“ angeben… und dann beim nächsten Mal noch die „Branche“. Aber dann ist Schluss. Gott sei Dank.

Mit Verlaub – das ist das Nutzerunfreundlichste, was ich je gesehen habe. Und nebenbei gesagt ist es auch das Datentransferintensivste. Das gesamte Formular muss viermal neu geladen werden. Als ob die Entwickler noch nichts davon gehört hätten, dass man die Daten auch in einem einzigen Formular dynamisch übergeben kann. Damit nimmt die Last auf den Servern zu und der Datentransfer für den User. Wahnsinn!

Und jetzt noch ein letztes Beispiel für – Verzeihung – Hirnlosigkeit: Wie überall üblich markiert auch dieses Formular die „Pflichtfelder“ mit einem Sternchen (*). Das ist auch gut so. Da wundert es aber, dass auch die Mobilfunknummer ein Pflichtfeld ist. Bei genauerem Hinsehen ist hinter dem Feld „Mobilfunknummer“ aber kein Sternchen (*) sondern ein kleiner Kreis (°). Wegen der kleinen Schriftgröße kann man diesen Unterschied aber nur erahnen. Wenn man dann ganz nach unten auf die Seiten geht, liest man in der Legende:

* diese Angabe ist zwingend erforderlich
° aus datenschutzrechtlicher Sicht sensitive Daten, eine Angabe ist freiwillig

Also im ersten Fall MUSS man die Daten angeben. Und im zweiten Fall sollte man es eigentlich NICHT tun. Für zwei völlig entgegengesetzte Handlungsanweisungen verwenden die Spezialisten von der BA also zwei Zeichen, die bei einer so kleinen Schriftart nicht zu unterscheiden sind.

Ist das alles kleinlich? Ich denke nein. Das sind genau die Feinheiten, die eine Website extrem schlecht nutzbar machen. Und eine Website, die schlecht nutzbar ist, wird nicht genutzt. So einfach ist das! Und wer, wenn nicht eine Agentur, die neunundzwanzigmillionen Euro einstreicht, sollte nicht sicherstellen, dass die Website auch genutzt wird?

Ach so, den wirklichen Hammer hätte ich fast vergessen: Die Suchmaschine. Die Technologie ist – erneut – mega-dilettantisch. Sie unterstützt nicht einmal so genannte „Bool’sche Operatoren“. Das bedeutet, dass man einzelne Suchkriterien Miteinander verbinden kann. Z.B. „PR“ und „Berater“. Das kann heute JEDE Internet-Suchmaschine. Wenn man z.B. einen Berater für sein Image sucht, gibt man „+PR +Berater“ ein, was bedeutet, dass man nach einem Datensatz sucht, der sowohl das Wort „PR“ als auch das Wort „Berater“ enthält. Bei anderen, konkurrierende Jobportalen findet man wenigstens noch Optionen wie „Auch ähnliche Begriffe suchen“, „Mindestens ein Suchwort muss zutreffen“, „Exakte Begriffe suchen“ oder „Alle Suchworte müssen zutreffen“. Auch sonstige moderne Suchtechnologien gibt es bei arbeitsagentur.de nicht, beispielsweise das Erkennen von Tippfehlern und das Vorschlagen eines „meinten Sie vielleicht…“. Auch davon, dass man vielleicht Suchprofile für die nächste Suche speichern kann, keine Spur. Oder dass man die Suche verfeinern kann. Fehlanzeige! Man muss immer wieder von vorne anfangen und sich dann durch ein paar Hundert Ergebnisse klicken. Von modernem „Matching“ haben die Herren und Damen wohl noch nie etwas gehört! Aber darum geht es doch. Und es gibt dafür haufenweise Technologien.

Hier geht es nicht die Anwendung von Technologie „l’art pour l’art“ sondern um sinnvolle Technologien. Und wenn man dann doch mal ein Suchergebnis hat, kann man nix sortieren. Auch das wäre simpel umzusetzen und sehr hilfreich. Abgesehen davon, dass die Benutzung des ganz stinknormalen, von allen Internet-Usern benutzte „Zurück“-Button des Browsers eine Fehlermeldung produziert. Immer! Und nach 10 Minuten wird man abgemeldet. Dann kann man wieder von vorne anfangen… Arghhhhh……

Entschuldigung, ich kann nicht aufhören. Eines habe ich doch noch. Dann ist aber wirklich Schluss. Noch etwas, wo ich mir nur an den Kopf fasse. Auf der Suchseite für Arbeitgeber findet man nämlich folgenden Hinweis: „Wenn Sie bereits genaue Vorstellungen haben, wonach Sie suchen, benutzen Sie am besten unsere Detailsuche“. Ich frage mich da: Hat da der Azubi die Texte gemacht? Nichts gegen Azubis. Aber welches Unternehmen geht „einfach mal so“ auf das Portal, um sich einfach mal so inspirieren zu lassen, was es so für Leute auf dem Arbeitsmarkt gibt. Einfach mal so ein paar hunderttausend Bewerber durchklicken, oder wie? NATÜRLICH hat jedes Unternehmen genaue Vorstellungen, was es sucht!

Fazit: Das was man als Nutzer von dem Portal sieht, die Nutzerfreundlichkeit und die Anwendungsmöglichkeiten sind so etwas von lächerlich schlecht, dass man nicht einmal mehr den Kopf schütteln kann. Da gibt es auch nichts dran zu deuteln. Das ist unterstes Niveau, wie es absolute Berufsanfänger hinbekommen würden. Da steckt nicht das Geringste an Inspiration, cleverer Umsetzung oder durchdachter Konzeption dahinter. Auch die dahinter liegende Technik ist einfach nur schlecht: langsam, fehlerproduzierend, ungenau.

Abgesehen davon; selbst wenn das Portal nur 2,9 Millionen, also ein Zehntel, gekostet hätte, wäre mir schleierhaft, wofür das Geld wohl ausgegeben wurde. Immerhin hatte das Arbeitsamt München schon eine Online-Lösung, die geprüftermaßen sehr gut funktioniere. Die hätte man für 500.000 Euro für ganz Deutschland verfügbar machen können. Aber dem Arbeitsamt München wurde ein Maulkorb verpasst.

Vielleicht täusche ich mich. Vielleicht ist das doch alles 29 Millionen Euro Wert. Und man weiß nur nicht. Dann hätte man vielleicht Herrn Schiphorst noch etwas mehr zahlen sollen. Für PR! 

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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