Jeder hat es, wenige tun es

Electronic Data Interchange (EDI) bietet zwar enorme Einsparpotenziale, doch die Anbindung stellt oftmals ein komplexes Problem dar. Ein Studie untersucht die EDI-Situation in der deutschen Automobilbranche und stellt fest, dass zwar viele Unternehmen über Schnittstellen verfügen, diese aber ungenutzt lassen.

Sandwich sucht Einsparpotenziale: Die aktuelle Situation in der deutschen Automobilindustrie.

Der Preisdruck in der Automobilindustrie ist stärker denn je. Vor allem kleine und mittlere Zuliefererbetriebe in Deutschland stehen häufig mit dem Rücken zur Wand. „Wir sind der Belag im Sandwich, der kräftig zusammengedrückt wird“, schildert stellvertretend und beispielhaft der Manager eines schwäbischen Unternehmens seine Situation. Gestiegene Rohstoffpreise und die von den Herstellern verordneten jährlichen Kostenreduktionen sind kaum noch über Produktivitätsfortschritte aufzufangen. Sinkende Stückzahlen erschweren die geforderten Einsparungen zusätzlich.

Nachdem in den vergangenen Jahren bereits an vielen Stellschrauben gedreht wurde, sieht sich die gesamte Branche mit der Frage nach noch verbleibenden Rationalisierungshebeln konfrontiert. Vielfach wird die Substitution papierbasierter Vorgänge wie etwa Auftragserfassung und Rechnungsstellung durch elektronische Prozesse als noch nicht ausgeschöpfter Optimierungsfaktor genannt. Doch wie sieht es in der Realität bei Herstellern, Zulieferern und Logistikunternehmen damit aus? Wo gibt es Defizite und wie groß können die Einsparungen tatsächlich sein? Da in der deutschen Automotive-Industrie bisher keine flächendeckende empirische Erhebung zum Thema Electronic Data Interchange (EDI) vorlag, hat das Marktforschungsunternehmen Agamus Research aus Starnberg zwischen Juni und Oktober 2005 im Auftrag der indatex SCI GmbH, einem der in Deutschland führenden Anbieter für den elektronischen Austausch von Geschäftsdaten, eine umfassend angelegte Befragung durchgeführt.

Repräsentatives Ergebnis – hohe Aktualität

Die vorliegende Studie ist Ergebnis einer im Zeitraum von Juni bis Oktober 2005 durchgeführten Befragung von Unternehmen der deutschen Automotive-Branche. Hinterfragt wurden die Kommunikationsstrukturen zu Lieferanten und Kunden sowie der Einsatz und die Verwendung von EDI-Software (Electronic Data Interchange) in den Geschäftsprozessen. Per Fragebogen und Telefon wurde mit 8.432 Kontakten aus 3.206 Unternehmen nahezu die Hälfte der etwa 6.500 Unternehmen in der Branche kontaktiert. Zielpersonen waren IT-Manager, Geschäftsführer, Logistik-, Einkaufs- und Vertriebsleiter. Die erzielte hohe Rücklaufquote spricht für ein repräsentatives Ergebnis und unterstreicht die Aktualität des Themas.

Das Gros der befragten Unternehmen (rund 70%) hat eine Umsatzgröße, die zwischen 20 und 500 Millionen Euro liegt. 14% erwirtschaften weniger Umsatz, 15% mehr. 1,4% sind OEMs (Hersteller) und 1,3% sind Logistikunternehmen – die Mehrheit stellen mit 36,3% die direkten Zulieferer (1st Tier) und mit 61% Zulieferer der 2-ten und 3-ten Stufe.

Jeder hat es – wenige tun es

Mit über 89% verfügen nahezu alle befragten Unternehmen über eine EDI-Schnittstelle. Bei kleineren Unternehmen hat nur etwa jedes fünfte noch keinen EDI-Konverter im Einsatz. Damit liegt die Marktdurchdringung von EDI-Software nahe an der Sättigungsgrenze. Weit verbreitet sind Lösungen von Seeburger (42,9%) und ACTIS (22,9%). Bereits 6,1% der Unternehmen beschäftigen sich nicht mehr selbst mit den unterschiedlichen EDI-Technologien, sondern wickeln ihre EDI-Kommunikation über externe Dienstleister ab (Outsourcing). 3,1% vertrauen auf eigene Entwicklungen. Weitere 13,5% teilen sich insgesamt 23 Anbieter wie Hüngsberg, SAP, Schmitt, Siemens, Sterling, etc.. Gerade diese Heterogenität scheint aber einer der großen Stolpersteine für einen flächendeckenden Einsatz von EDI in der Automobilbranche zu sein. Vor dem Hintergrund einer bevorstehenden Marktkonsolidierung muss die Zukunft der vielen kleinen Anbieter mit einem Fragezeichen versehen werden.

Markant und vielleicht DIE Überraschung der Studie: Lediglich 16,2% der befragten Unternehmen wickeln mit ihren Lieferanten Geschäftsprozesse elektronisch ab; 33,3% sagen immerhin schon „Ja“ zu EDI bei der Kommunikation mit Kunden Der im Vergleich zur Lieferantenseite deutlich höhere EDI-Durchdringungsgrad bei Kundenbeziehungen ist überwiegend durch direkten Kundendruck zu erklären. Hier spiegelt sich das auf Einkaufsmacht beruhende Vorgehen der Automobilproduzenten wieder. Wer Geschäft mit VW, BMW, DaimlerChrysler und Co machen möchte, muss die EDI-Anforderungen erfüllen. Interessant ist, dass die Zulieferer genau das umgesetzt haben. Allerdings auch nicht mehr und nicht weniger! Das Potenzial elektronischer Geschäftsprozessabwicklung in der Zusammenarbeit mit Lieferanten ist in der deutschen Automobilindustrie noch nahezu unangetastet. So oder so ist der so genannte Elektronisierungsgrade bestenfalls unterdurchschnittlich. Somit mutiert die Inhouse-EDI-Lösung zur wahrscheinlich unrentabelsten Sachanlage eines Automobilzulieferers überhaupt. Kein CEO/CFO wurde eine vergleichbare unrentable Anschaffung in seinem Produktionsbereich dulden.

Man kann schon fast von einem Elektronisierungsparadoxon sprechen; Nahezu jedes Unternehmen möchte seine Prozesse elektronisch abwickeln und hat auch eine umfangreiche Lösungslandschaft dafür angeschafft, aber keinem Unternehmen gelingt es. Die am häufigsten genannten Hinderungsgründe für eine intensivere EDI-Nutzung mit Geschäftspartnern sind eine zu hohe Komplexität bei der Anbindung der vielen unterschiedlichen EDI-Systeme, fehlendes Know-how sowie fehlende personelle IT-Kapazitäten. Fazit: Klassische Medien wie Papier, Fax, Post und Telefon spielen – mit allen Kostennachteilen – bei der Kommunikation mit Kunden und Lieferanten nach wie vor die Hauptrolle. Die so genannte fremdinduzierte Verschwendung bleibt auch in der Automobilindustrie – der Vorzeigebranche des elektronischen Datenaustausches – ein ernstzunehmender Kostenblock.

Potential für Kostensenkungen

Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf. Denn durchschnittlich haben die Unternehmen 1.705 Lieferanten und 1.167 Kunden, mit denen sie je nach Unternehmensgröße zwischen 120.000 und 6,5 Millionen Transaktionen pro Geschäftsjahr abwickeln. Den Anteil nicht wertschöpfender Tätigkeit bei papierbasierten Vorgängen bezifferten die Befragten im Durchschnitt auf 30%. Abhängig von der Unternehmensgröße kosten ein- und ausgehende Prozesse zwischen zwei und 15 Euro – woraus sich ein Verschwendungsanteil von 0,2% bei großen bis 2,5% bei kleinen Unternehmen errechnet, bezogen auf den jeweiligen Jahresumsatz. Würde der Grad der elektronischen Kommunikation auf 80% steigen, wären zwischen 1,25% vom Umsatz bei Firmen mit bis zu 20 Millionen Euro und 0,1% bei Unternehmen mit mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz im Jahr an Einsparungen möglich. Kein Wunder also, dass 84,3% EDI als Instrument zur Kostensenkung sehen. Im Durchschnitt wollen die Unternehmen denn auch 738 weitere Geschäftspartner per EDI anbinden.

Einfache Ansätze braucht das Land

Trotz der geringen Anbindungsquote sind Aufwand und Kosten für Electronic Data Interchange hoch: In den untersuchten Unternehmen sind heute bereits durchschnittlich 7,9 Mitarbeiter mit der Implementierung und dem Betrieb von EDI beschäftigt. Ein sinnvoller flächendeckender EDI-Roll Out ist stand heute unmöglich, da die Anbindung eines einzigen Geschäftspartners selbst bei Vorhandensein eines EDI-Systems schlichtweg zu teuer ist. Den größten Aufwand verursachen offensichtlich die EDI-Schnittstellen der Anbieter SAP EDI/BC mit 17,7 und ACTIS mit 9,9 Mitarbeitern. Auch bei Eigenentwicklungen liegt der Personalwert mit 15 Mitarbeitern sehr hoch. Ebenfalls deutlich außerhalb einer akzeptablen Bandbreite liegen die Lösungen von Siemens, Schmitt und Seeburger mit 5 bis 6 Mitarbeitern. Die Kosten für die Abbildung von drei Geschäftsprozessen werden durchschnittlich auf 5.867 Euro beziffert — alles in allem zu hoch und zu teuer für einen flächendeckenden Roll-out von EDI. Hier sind einfachere Lösungsansätze gefragt.

Lass es andere tun…

Mehr als 70% der Befragten würden demnach die EDI-Infrastrukturen anderer nützen wollen, um damit selbst mehr Geschäftspartner anbinden zu können. Eine simple Analogie verdeutlicht, dass es keinen Sinn macht, wenn quasi jedes Unternehmen sein eigenes Telefonnetz aufbauen und betreiben wollte. Warum also ein eigenes EDI-Netz in dieser heterogenen Systemwelt? Eine einheitliche Infrastrukturplattform, an der all die verschiedenen EDI-Systeme andocken und die zudem ein externer Dienstleister betreiben kann, scheint – wie beim Telefonnetz auch – durchaus die sinnvollere Lösung zu sein.

Die vom Serviceanbieter indatex ins Leben gerufene Community EDI2all bietet beim Aufbau von EDI-Verbindungen zu Geschäftspartnern eine schnelle und kostengünstige Alternative zum Eigenbetrieb. An die B.I.P. (Business Integration Platform) schließen sich Unternehmen entweder mit ihrer eigenen oder mit der von indatex zur Verfügung gestellten EDI-Schnittstelle an. Mehr als 470 Unternehmen der Automotive-Branche (Zulieferer, OEMs, Spediteure) kommunizieren mit ihren vielen heterogenen Systemen heute bereits über diese Datendrehscheibe und wickeln zeitkritische Geschäftsprozesse ab. Die Chance, das gewünschte Partnerunternehmen zu finden, ist also recht hoch. Und wenn nicht – indatex bindet neue Teilnehmer gerne schnell mit an.

„Wenn ein Unternehmen die Entscheidung trifft, sich selbst um EDI zu kümmern, muss es mit gutem Gewissen von sich sagen können: Das machen wir nicht nur besser als unsere Konkurrenz, sondern auch besser als das beste Unternehmen, das von unseren Wettbewerbern damit beauftragt werden könnte.“ — Michael Corbett, Gründer The Outsourcing Institute, Jericho-New York, USA

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