Internetwirtschaft – Agonie oder Wachstum

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Internetwirtschaft – Agonie oder Wachstum

15.03.2001


Ob eCommerce, eBusiness bzw. das Internet als solches noch die Pferde sind, auf die es zu setzen gilt, wird gegenwärtig häufig diskutiert. Nicht zuletzt die seit dem vergangenen Jahr deutlich gewordenen Kurskorrekturen bei den Technologieaktien erfordern eine realistische Einschätzung der Zukunftsperspektiven.



Investitionen – Umsätze – Beschäftigung
Realistisch heißt zunächst, dass monetärer und realer Sektor sauber auseinandergehalten werden, ohne jedoch Wechselwirkungen zu vernachlässigen. Die Vermengung von monetären und realen Effekten ist der zur Zeit am häufigsten gemachte Fehler, wenn es um die Einschätzung der Zukunftspotentiale der Internetwirtschaft geht. So fiel die NASDAQ im Verlauf des Jahres 2000 um ca. 40 %. In der Regel wird davon ausgegangen, dass sinkende Kurse mehr oder weniger auf die Investitionen der betroffenen Unternehmen durchschlagen. In wieweit dies zutrifft, ist schwer abzuschätzen. Jedenfalls betrugen die Investitionen von US-Unternehmen in die Internet-Infrastruktur nach IDC im Jahre 2000 260 Mrd. US $ und weisen gegenüber 1999 ein Wachstum von 53 % aus. Auch für das Jahr 2001 gibt es keinen Anlass für Pessimismus. IDC erwartet weltweit Investitionen in Online-Aktivitäten von 700 Mrd. US $. Eine Abschwächung des Wachstums der Investitionen ist für 2001 jedoch wahrscheinlich. Dennoch werden am Ende, wie im Jahr 2000, Zahlen herauskommen, die weit über dem Durchschnitt der anderen Branchen liegen. Der aktuelle Niedergang der Technologiewerte ist eine schmerzhafte Kurskorrektur, schließt aber ein weiteres Wachstum der Internetwirtschaft auf einem hohen Niveau von Investitionen nicht aus.

Was für die Investitionen gilt, gilt auch für die Umsätze im eCommerce. Kurskorrektur heißt hier, dass nicht mehr von einer Verdopplung und mehr der Umsätze pro Jahr als Faustformel des eCommerce ausgegangen werden kann. eMarketer erwartet, dass der eCommerce im Endkundengeschäft im Jahre 2001 nur mehr um 57 % wächst. Ende 2000 lag das Wachstum noch bei 71 %.

Die Abschwächung des Wachstums trifft vor allem diejenigen Unternehmen, deren Geschäftskonzepte auf sehr hohen Wachstumsraten aufbauen, um die Erwartungen der Anleger zu erfüllen oder den Sprung in die Gewinnzone zu erreichen. I. d. R. sind diese Unternehmen unter den sogenannten "dot.coms" zu finden, die ihr Geschäft ausschließlich im Internet abwickeln. Sie werden in der Öffentlichkeit häufig mit der gesamten Internetwirtschaft gleichgesetzt – machen jedoch auch in den USA laut Internetindicators nur einen Anteil von knapp 10 % aus, bzw. beschäftigen 12 % der Mitarbeiter. Ca. 90 % der Umsätze der Internetwirtschaft werden mit Hard-/Software sowie internetbezogenen Dienstleistungen und von klassischen Unternehmen, die zusätzlich im Internet verkaufen, generiert.

Die letzten aktuellen statistischen Zahlen für die USA beziehen sich auf das 2. Quartal 2000. Hier wurde ein Beschäftigungswachstum gegenüber dem Vorjahr von 22,6 % sowie ein Umsatzwachstum von fast 60 % in der gesamten Internetwirtschaft ermittelt (Internetindicators). Bei den US-dot.coms wurde zur Mitte des Jahres 2000 jedoch erstmals ein absoluter Rückgang der Beschäftigung deutlich, der sich seitdem fortgesetzt hat. In Verbindung mit der aktuellen Abkühlung der US-Konjunktur ist eine Abschwächung des Beschäftigungswachstums im gesamten IT-Sektor zu erwarten. Hierfür stehen insbesondere spektakuläre Massenentlassungen, die sich nach den Ergebnissen von Challenger, Gray & Christmas allein für Januar 2001 in den USA auf über 44.000 summiert haben sollen. Für 2001 insgesamt wird das Beschäftigungswachstum aus dem Jahre 2000 nicht mehr erreicht werden.

Aktuelle und vergleichbare Zahlen liegen für Deutschland nicht vor. Hier ist mittelfristig weiterhin davon auszugehen, dass insbesondere die nach wie vor hohe Zahl der Neugründungen in der Internetwirtschaft positive Effekte für den Arbeitsmarkt haben wird. Die European Business School sieht in Deutschland 15.000 Start-ups in der Internetwirtschaft, die insgesamt 151.000 feste Mitarbeiter beschäftigen. Selbst unter äußerst pessimistischen Annahmen wird allein dieses Beschäftigungssegment um über 25.000 Mitarbeiter, d. h. um 16,6 %, in diesem Jahr anwachsen. Ähnlich wie in den USA richtet sich das Medieninteresse auch hier vor allem auf die aktuelle Schieflage bei einzelnen dot.coms. Die Anzahl an den Gründern liegt jedoch nur bei 16 %. 84 % entfallen auf diejenigen Gründer, die Services für das Internet bereitstellen sowie Hard- und Software liefern.

Finanzmärkte landen auf dem Boden der Tatsachen
Die seit dem Frühjahr 2000 zu verzeichnenden Kursstürze von bis zu 90 % in breiter Front sind typisch für das Platzen einer Spekulationsblase. Spekuliert wurde auf Zukunftsgewinne, denen, wie wir heute wissen, unrealistische Annahmen zu Grunde lagen. Zeitweise wurde der Kunde eines Online-Händlers mit bis zu 20.000 DM bewertet. Ein beachtlicher Wert, wenn man bedenkt, dass ein Kunde im letzten Quartal des Jahres 2000 durchschnittlich 285 US $ im Internet ausgegeben hat. Viele Weihnachten würden ins Land gehen, bis mit einem Kunden ein Deckungsbeitrag von 20.000 DM erwirtschaftet worden wäre. Es überrascht nicht, dass sich gegenwärtig die Schere zwischen Kapitalmärkten einerseits und Gütermärkten andererseits zu schließen beginnt. Wesentliche Indikatoren des monetären Sektors weisen nach unten. Im realen Sektor ist es umgekehrt.




eBusiness as usual?
Die Kurskapriolen haben den Blick auf das Wesentliche freigemacht. Wer sich nicht irritieren lassen will, sollte die Gütermärkte im Auge behalten. Dort vollzieht sich meist unspektakulär der Einzug des eBusiness in die Unternehmen im großen Stil und weitgehend unbeeinflusst von der Entwicklung an den Finanzmärkten. Bei 350 durch Putz + Partner befragten Unternehmen in Deutschland zeigte sich der ganz normale eCommerce als die überwiegende Realität in den Unternehmen. So überstiegen die erzielten Kostenersparnisse oder Umsatzsteigerungen den Investitionsaufwand in eCommerce Projekten bei 60 % der Unternehmen bereits nach 2 Jahren. Diese Unternehmen erzielen bereits heute über das Internet einen Anteil von 17 % am Gesamtumsatz, wobei sich diese Zahl bis 2003 verdoppeln wird.

Dieser positive Wachstumspfad des eBusiness, von dem in den kommenden Jahren nahezu jedes Unternehmen erfasst wird und zu einem Investor in die Internet-Technologie gemacht wird, hilft die noch bevorstehenden Auslese- und Bereinigungsprozesse zu kompensieren.

B2C: Die "reinen" Internethändler haben ein hartes Jahr vor sich. Nur wenige Geschäftsmodelle führen in die Profitabilität. Derjenige jedoch, der den turn-around schafft, und zudem in seinem Segment Marktführer ist, sollte glänzende Gewinnaussichten haben. Zu den Gewinnern werden die sogenannten "Brick-and-Clicks" zählen, die über ein Standbein im stationären Geschäft verfügen und in der Vergangenheit bereits gezeigt haben, dass sie viel von Prozessoptimierung und Kostenkontrolle und nicht nur vom Marketing verstehen. Vor allem die Fähigkeit zur Beherrschung des logistischen Fulfillments ist entscheidend. Bereits heute fallen in den USA 7 von 10 Top eCommerce Händler in die Kategorie der "Brick-and-Clicks". In Deutschland bestätigt sich diese Tendenz mit den guten Umsatzzahlen im Internet, die die klassischen Versender wie Otto (900 Mio. DM) und Quelle (600 Mio. DM) im Internet im letzten Jahr erreicht haben. Lediglich Amazon.de (ca. 200 Mio. DM) kann als reiner Internethändler hier noch mithalten.

B2B: Einen harten Ausleseprozess haben vor allem die elektronischen Marktplätze zu erwarten. Allerdings handelt es sich hier um einen Konsolidierungsprozess, der mit hohen Erwartungen über die Umsatzsteigerungen im B2B einhergeht. Insbesondere die unbestrittenen Rationalisierungspotentiale des eCommerce für alle Unternehmen sind die Triebfeder der B2B Umsätze, die 2005 1,5 Billionen Euro alleine in Europa betragen sollen (IDC).

Wachstumsprognosen: nicht ohne Risiko
Die Internet-Technologie treibt mit den eindeutigen Rationalisierungspotentialen und als "Enabler" neuer Geschäftsmodelle den wirtschaftlichen Strukturwandel voran. Dabei steht die Ausschöpfung aller Potentiale der Netzwerk-Technologien erst am Anfang. Eine Garantie dafür, dass hierdurch ein langanhaltender, stetiger Wachstumstrend begründet wird, gibt es allerdings nicht. Erstens wird die Internet-Technologie in allen Branchen eingesetzt, die jeweils anderen Konjunkturen unterliegen und zweitens bildet die Internet-Technologie einen Umbruch in der gesamten Informations- und Kommunikationstechnologiebranche, der nicht reibungslos verlaufen muss. Steve Milunovich, Technologie-Analyst von Merrill Lynch, erinnert an den Umbruch in der gleichen Branche in den Jahren 1984 bis 1990. Damals ging es um die Durchsetzung der PCs gegenüber den Großrechnern und damit um die massenhafte und produktivitätssteigernde Intelligenz am Arbeitsplatz. Dies ist aus heutiger Sicht ein historischer Schub für die Branche gewesen. Der Schönheitsfehler war, dass während dieser Zeit die IT-Aktien schlechter abgeschnitten haben als der Gesamtmarkt. Ähnliches könnte sich jetzt beim Übergang zur Netzwerk-Ära wiederholen. Nicht nur die dot.coms, sondern auch die großen der Branche wie Intel, Dell, Cisco, Microsoft, die Telekom und alle anderen stehen an der Börse unter Druck. Hierin können sich fundamentale Schwächen einzelner Unternehmen widerspiegeln. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die technologische Umbauphase bei allen Marktteilnehmern zu Unsicherheiten über technologische Entwicklungen, Investitionsentscheidungen und Absatzchancen von Produkten und Diensten führen. Allerdings hatte auch in den 80er Jahren niemand ernsthaft die Zukunft der Arbeitsplatzrechner in ihrer Bedeutung für den wirtschaftlichen Strukturwandel in Frage gestellt.


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