Web 2.0 hat längst den Zenit eines kurzweiligen Hypes überschritten und wird zunehmend in Marketingplanungen unterschiedlicher Branchen als relevantes Instrument einbezogen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Relevanz der neuen Kommunikationsformen nicht mehr zu vernachlässigen ist. Unternehmer sollten sich daher genau über mögliche Einsätze von Web 2.0 Werkzeugen informieren.
Status Quo von Web 2.0 in der Praxis
Die anfängliche Euphorie und überzogenen Erwartungen des Trends Web 2.0 flachen zunehmend ab. Stattdessen häufen sich in jüngster Zeit ernst zu nehmende Praxisbeispiele – und das nicht nur von internet- und jugendaffinen Markenunternehmen, sondern auch von vermeintlich traditionellen Anbietern. So hat beispielsweise die Luxusmarke Cartier nach einem Engagement in der Community „Asmallworld“ nun für ein Jahr lang eine Kampagne auf den englischen, französischen, italienischen, spanischen und japanischen Seiten der Plattform „MySpace“ gebucht. Dieses Fallbeispiel verdeutlicht , dass sich neue Kommunikationsinstrumente wie soziale Netzwerke, Themen-Blogs oder virtuelle Profile in einer breiten Gesellschaftsschicht etabliert haben.
Web 2.0 kein Fremdwort im Marketing
Wie ernst die Entwicklungen des Web 2.0 in den Marketing-Abteilungen zahlreicher Unternehmen genommen werden, belegt auch die Studie von Client Vela und der TU München. Die meisten Instrumente des Web 2.0 sind unter den Kundenmanagern bekannt. Blogs und Communities nutzen mehr als ein Drittel der Befragten regelmäßig (sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext); Wikis werden von der Hälfte regelmäßig genutzt. Weniger genutzt werden momentan Podcasts, Tagging und virtuelle Welten (wie Second Life), während Mashups nur bei der Hälfte der Befragten überhaupt bekannt sind.
Relevante Rolle in der Kundenkommunikation
Die Bedeutung von Web 2.0 wird von mehr als einem Drittel der Befragten als hoch oder sehr hoch eingeschätzt. Bereits 40 Prozent der Befragten haben in mindestens einer der letzten fünf Marketingkampagnen Web 2.0-Instrumente einbezogen. Auch in der Budgetverteilung spiegelt sich die Bedeutung von Web 2.0 wider: Im Durchschnitt schätzen die Befragten, dass die Investition in Web 2.0 Tools in fünf Jahren circa 35 Prozent ihres Marketingbudgets ausmachen wird.
Web 2.0 nicht um jeden Preis
Die Eignung von Web 2.0 hängt von der Zielsetzung des Unternehmens ab: Je nach Einsatzzweck würden die Experten mehr als die Hälfte ihrer Ressourcen für Web 2.0 gegenüber klassischem Marketing verwenden. Besonderes großes Potenzial wird dem Web 2.0 zugesprochen, wenn es darum geht Konsumpräferenzen zu erkennen, neue Märkte zu durchdringen und sich vom Wettbewerb zu unterscheiden. Ein reflektierter und zielgerichteter Einsatz von Web 2.0-Instrumenten im Kundendialog entscheidet über Erfolg und Misserfolg.
Hürden vor dem sinnvollen Einsatz
Web 2.0 ist unter den befragten Experten tendenziell positiv belegt, so gilt es überwiegend als zukunftsweisend, innovativ, nützlich und als Trend. Problematisch wird hingegen die Thematik Anonymität eingeschätzt. Entscheidend für Erfolg und Nutzung bzw. Verbreitung von Web 2.0 werden die intuitive Benutzung der Web 2.0-Instrumente, der hohe Partizipationsgrad, der emotionale Mehrwert für den Konsumenten und der unbeschränkte bzw. kostenlose Zugang angesehen.
Erfolgsfaktoren von Web 2.0
Die Studienergebnisse wie auch die Beratungspraxis zeigen: Um die Instrumente des Web 2.0 für das Marketing nutzbar zu machen, ist die Analyse der Wirkungsmechanismen notwendig. Analog zu klassischen Marketingaktivitäten ist auch bei Web 2.0 ein entscheidender Faktor, wie gut das (Kommunikations-)Angebot mit den Bedürfnissen der Zielgruppe übereinstimmt.
Die Selbstverständlichkeit, mit der die neuen Angebote im Internet genutzt werden, zieht wachsende Ansprüche an die Darstellung, Inhalte und Benutzerfreundlichkeit nach sich. Das Streben nach Mitbestimmung und das Selbstbewusstsein, mit dem Konsumenten – als Individuum oder im Kollektiv – Unternehmen gegenübertreten, haben ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Mit Web 2.0 Anwendungen hat der Kunde nun Werkzeuge, die er gezielt zur Äußerung seiner Wünsche und Bedürfnisse nutzen kann. Diese Tendenzen sollten nicht als Gefahr gesehen werden, sondern bieten die Chance, den Wunsch der Konsumenten nach Beteiligung für das Produkt oder die Marke positiv zu nutzen.
Eigenschaften und Merkmale von Web 2.0
Bevor sich Unternehmen mit einem Engagement im Web 2.0 befassen, sollten die zentralen Treiber strukturiert und unter Berücksichtigung des eigenen Marktumfelds, der Zielgruppe, des Produkts sowie weiterer individueller Erfolgskriterien analysiert werden. Dabei können folgende Charakteristika der Web 2.0 Instrumente beobachtet werden:
– Hohe Alltagsrelevanz in beruflichen oder privaten Situationen
– Kollektive Intelligenz der Inhalte, die durch die Aktivität jedes einzelnen steigt
– Inhalte im Web werden durch Konsumenten klassifiziert, wodurch auf einer übergeordneten Ebene Meta-Daten kreiert werden
– Informationen sind weitgehend durch den Nutzer strukturiert, seinen Bedürfnissen angepasst und nicht von einer Institution vorgegeben
– Intuitive Nutzung der Services
– Partnerschaftlicher und kooperativer Umgang
– Hohe virale Komponente der Services und Anwendungen
Wirkungsweise von Web 2.0
Das Motto „Jeder teilt mit jedem“ taucht in der Begriffswelt, die sich rund um Web 2.0 gebildet hat, immer wieder auf, wenn von Social Software, Social Networking, Social Bookmarks etc. gesprochen wird. Dieses Konzept wird vorwiegend im viralen Marketing umgesetzt, indem Botschaften oder Inhalte veröffentlicht werden, die so spannend, ungewöhnlich oder schockierend sind, dass sie von der „Social Community“ von selbst, wie ein Virus verbreitet werden. Andere innovative Geschäftsmodelle, die auf der Partizipation des Nutzers beruhen, werden als Crowdsourcing bezeichnet und beziehen den Konsumenten in den Wertschöpfungsprozess ein. In all diesen innovativen Konzepten verlieren die einstigen Hierarchien in der Kommunikation ihre Gültigkeit und stellen alle Beteiligten auf die gleiche Ebene. Diese Wirkungsmechanismen sind die Basis der meisten Web 2.0 Anwendungen und begründen den Erfolg von nicht-kommerziellen Blogs oder Communities.
Vor dem Einsatz von Web 2.0 im Marketing ist es daher unerlässlich, dass sich Unternehmen mit den Merkmalen und den Wirkungsweisen des sozialen Netzes vertraut machen. Denn im Unterschied zu den klassischen Instrumenten des Marketings sind die modernen Medienformen nicht als losgelöste, vom Unternehmen gesteuerte Push-Aktivitäten zu sehen. Vielmehr spielen im interaktiven Dialog zahlreiche externe und nicht steuerbare Elemente eine Rolle, die in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen.
Anwendungsformen im Marketing
Lassen sich Unternehmen jedoch auf die veränderten Mechanismen ein, so gibt es in allen Disziplinen des Marketings interessante Ansatzpunkte. So bieten etwa die Merkmale Partizipation und soziales Netz, der Wunsch nach Mitbestimmung und Meinungsäußerung, die ideale Voraussetzung, Kernprozesse rund um das Produkt in die Welt des Konsumenten zu verlagern. Die Bandbreite reicht hier von grundlegenden Ideen für neue Produkte über die Ausgestaltung einzelner Produktattribute bis hin zu Zusatzdienstleistungen oder Verbesserungen von bestehenden Produkten oder Services. In jedem Fall ist in der jetzigen Entwicklungsstufe des Internets und den „selbstreinigenden“ Effekten, durch die sich das soziale Netz auszeichnet, eine ideale Basis vorhanden, dieses wertvolle Know-how zu nutzen.
Web 2.0 spielt zudem eine zentrale Rolle als klassisches Kommunikationsinstrument. Insbesondere für virale Botschaften eignen sich Blogs oder Newsgroups sehr gut. Im Gegensatz zu werblich orientierten Kanälen, wie bspw. Newslettern, wird bei Web 2.0 Medien in der Regel ein Push-Effekt auch durch den Konsumenten ausgelöst. Die Unkontrollierbarkeit der Kommunikation ist Chance und Risiko zugleich und damit die größte Herausforderung für Marketingverantwortliche. Um dieses Dilemma zu lösen, sollte die Ausgangssituation genau analysiert und die – wenig kalkulierbare – Resonanz der Zielgruppe schrittweise getestet werden. Fakt ist: Die Kommunikation über Web 2.0 Medien findet statt -ob mit oder ohne aktive Teilnahme des Unternehmens!
Differenzierter ist die Relevanz von Web 2.0 für Preispolitik und Logistik bzw. Distribution. Trotz einzelner Fallbeispiele für Konsumentenbeteiligung werden diese Bereiche bisher weiterhin von den Unternehmen dominiert. Diskussionen über Preis-Leistungs-Verhältnisse o.ä. sollten aber aufmerksam verfolgt werden, um frühzeitig Warnsignale im Markt zu erkennen und diese in der Unternehmenssteuerung umzusetzen. Für die Distributionspolitik stellen Informationen über Bedarfshäufigkeit, Einkaufsgewohnheiten oder die Präferenz für bestimmte Verkaufsmethoden oder Absatzwege wertvolles Wissen für ein Unternehmen dar.
Fazit
In allen Bereichen des Marketings besteht die Kunst darin, nicht platt Antworten bei den Kunden abzufragen, sondern durch eine stetige Incentivierung der Teilnehmer oder User die Balance zwischen dem Input der Konsumenten und den Services, die das Unternehmen bietet, zu halten. Hierbei lehnt sich Web 2.0 an den Prinzipien des klassischen Loyalitätsmanagements an, das den Kunden für seine Treue mit rationalen oder emotionalen Mehrwerten dauerhaft belohnt und so an sich bindet. Allerdings unterscheiden sich bspw. Bonusprogramme ganz wesentlich dadurch, dass sie eine Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Unternehmen manifestieren. Durch das Community Modell im Web 2.0 existiert aber keine 1-zu-1 Beziehung mehr, sondern eine n-zu-n Beziehung. In dieser Konstellation wird das Unternehmen nur noch zu einem Element unter vielen und verliert dadurch an Relevanz gegenüber dem Einzelnen. Darüber hinaus sind diese Netzwerke dynamisch entstandene Gebilde, die eigenen Regeln unterliegen und ihre eigenen Strukturen besitzen. Unternehmen sollten daher ihre Erwartungshaltung bezüglich Machtstellung und Steuerbarkeit einer grundlegenden Neuausrichtung unterziehen, wenn sie die Vorteile von Web 2.0 für sich nutzen wollen.
Web 2.0 bietet zahlreiche Ansätze und interessante Möglichkeiten für innovative Unternehmen, ihr Kundenmanagement und ihren Kundendialog auf ein neues Interaktions-Level anzuheben. Die intelligente Anwendung ist allerdings kein Konzept aus der Schublade, sondern erfordert Kreativität, Expertise und die Bereitschaft umzudenken!