Erfolgsfaktor Barrierefreiheit – Chancen und Entwicklungen

Mit der Verabschiedung der Verordnung zur Barrierefreien Informationstechnik im Jahre 2002 sind Bundesbehörden und öffentliche Einrichtungen verpflichtet, ihre Internetseiten barrierefrei zu gestalten. Menschen mit Behinderungen soll somit der Zugang zu Informationen erleichtert werden. Aber auch für Wirtschaftsunternehmen und private Organisationen gibt es eine Reihe guter Gründe, auf barrierefreies Informationsdesign zu setzen.

Hintergrund

Als Informations- und Kommunikationsmedium ist das Internet für viele mittlerweile zu einem unverzichtbaren Teil des Alltags geworden. Doch für Sehbehinderte, Gehörlose oder Menschen mit anderen Einschränkungen ist der Eintritt in die Informationsgesellschaft bislang mehr Wunsch als Wirklichkeit. Der Grund: Flash-Filme, unglückliche Farbkombinationen oder zu kleine Schriften bilden Hürden, die ihnen den ungehinderten Zugang zu vielen Websites ohne technische Hilfsmittel unmöglich machen.

Besonders für Menschen mit Behinderungen kann das Internet jedoch von besonderer Hilfestellung im Alltag sein, wenn die Websites barrierefrei aufgebaut sind. Solche Websites unterstützen die Teilnahme aller am sozialen, beruflichen und kulturellen Leben, in dem sie Behinderungen in gewissem Maße kompensieren: Einkäufe können online erledigt und Orte virtuell aufgesucht werden. Außerdem werden bisher nicht wahrnehmbare Informationen auf diese Weise zugänglich.

Die aktuelle Entwicklung zu einem barrierefreien Internet und somit auch das Inkrafttreten der Barrierefreien Informationstechnik- Verordnung – kurz BITV – am 17. Juli 2002 verläuft parallel zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Behindertenpolitik. Ausgehend vom Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, nach dem „Niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ darf, hat der Gesetzgeber mit dem Sozialgesetzbuch IX und dem Behindertengleichstellungsgesetz das neue Bild von einem Bürger mit Behinderung in das Gesetz aufgenommen. Der Mensch mit Behinderung wird nicht mehr als Objekt betrachtet, sondern als Bürger mit gleichen Rechten (Quelle: BSI – Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik).

Begriffe wie „behindertengerecht“ und „behindertenfreundlich“ gehören der Vergangenheit an und beruhen auf veralteten, diskriminierenden Konzepten. Heute geht es im Sinne eines universellen Designs um eine allgemeine Gestaltung des Lebensumfeldes für alle Menschen, die möglichst niemanden ausschließt und von allen gleichermaßen genutzt werden kann. Die barrierefreie Gestaltung soll dabei nicht auf eine spezielle Ausprägung einer Behinderung, sondern auf eine möglichst allgemeine Nutzbarkeit abzielen.

Herausforderung Barrierefreiheit

Aber was genau bedeutet es, Seiten „barrierefrei“ oder wenigstens „weitgehend barrierefrei“ zu erstellen? Die BITV stellt 14 verschiedenartige Anforderungen mit unterschiedlichen Bedingungen und Prioritäten an die Gestaltung von Websites. Zwingend einzuhalten sind zunächst die Bedingungen der Priorität I, die zum Beispiel an die Wahrnehmbarkeit von Bildern geknüpft sind: Damit ein Bild am Bildschirm wahrgenommen werden kann, muss bereits bei der Bildauswahl auf gute Kontraste geachtet werden. Zur Beurteilung kann eine Graustufendarstellung hilfreich sein. Des Weiteren können transparente Bereiche eines Bildes in benutzerdefinierten Farbschemata zur Unleserlichkeit führen. Problematisch ist es auch, wenn sich Bilder nur unzureichend vergrößern lassen. Bildinformationen sollten deshalb im Originalzustand eine gewisse Mindestgröße haben.

Für Menschen, die keine Bilder wahrnehmen können, sind für jeden auditiven oder visuellen Inhalt äquivalente Inhalte bereitzustellen, die den gleichen Zweck oder die gleiche Funktion erfüllen. So sind zum Beispiel treffende Texte für alternative Ausgabemedien wie Sprachausgaben oder Braille-Zeilen (sprich Informationen des Bildschirms in der Blindenpunktschrift) zu formulieren; Fotos benötigen kurze Angaben zum dargestellten Gegenstand, den Namen einer dargestellten Person oder Merkmale der dargestellten Szenerie und vieles mehr. Das komplette Anforderungsspektrum kann auf den Seiten des Bundesministeriums des Inneren (BMI) herunter geladen werden.

Ein großer Teil dieser Anforderungen kann durch die Webredaktion selbst erfüllt werden. Entsprechende Technologien bieten Unterstützung bei der Umsetzung und Pflege barrierefreier Websites. Für den Relaunch des Internetportals des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS) beispielsweise wurde erstmalig ein Modul eingesetzt, dass das Portal automatisch auf unnötige Barrieren und Fehler überprüft. Der sogenannte Web Compliance Manager wurde von der RedDot Solutions AG aus Oldenburg gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut FIT entwickelt, Die Forschungseinrichtung ist auf dem Gebiet der Barrierefreiheit gegenwärtig führend. Ein Mausklick genügt und das Modul liefert eine Liste mit den Schwachstellen des Webauftritts. Die zugrunde liegenden Prüfungsregeln werden vom Fraunhofer Institut FIT regelmäßig aktualisiert. Darüber hinaus bietet dieser Web Compliance Manager weitere Funktionen, die die jeweilige Website auf die Einhaltung von industriellen aber auch selbstdefinierten Standards untersucht.

Die Vorteile eines barrierefreien Informationsdesigns

Die Einhaltung der Regeln der BITV vereinfacht für jedermann die Internetnutzung – die einen merken es mehr, die anderen weniger. So zum Beispiel sorgt der reduzierte Einsatz von Bildern und Multimedia-Elementen, der Verzicht auf Framesets sowie das Ersetzen vom Tabellenlayout durch CSSDesign (Cascading Style Sheet) für deutlich kürzere Ladezeiten. Der Grund liegt in dem schlankeren und übersichtlichen Quellcode dieser Seiten. Ein positiver Nebeneffekt für die Anbieter sind Kosten-Einsparungen beim Hosting. So konnte zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium beim barrierefreien Relaunch seines Webauftritts die Zahl der im Speicher vorgehaltenen Seiten um zwei Drittel sowie die Speicher- und Prozessorlast um ein Drittel verringern. Von geringen Ladezeiten profitieren besonders Nutzer von mobilen kleinformatigen Endgeräten, wie Handys, Handhelds oder PDAs mit kostenintensiven Mobilverbindungen.

Darüber hinaus werden barrierefreie Internet-Seiten auch korrekt dargestellt, wenn kein Flash-Plug-In installiert wurde oder Javascript aus Sicherheitsgründen deaktiviert ist. Außerdem ist eine Internet-Seite ohne Frames mit allen Browsern druckbar, ohne dass Bereiche der Seite fehlen. Auch im Suchmaschinenranking ist die Positionierung bei einer textorientierten Seite besser als bei einer grafik- und multimedia-lastigen Page. Spätestens bei der Pflege von Websites ist der im Vorteil, wer die barrierefreien Standards einhält: Die Verwendung von CSSDesign zum Beispiel erleichtert die einheitliche Formatierung aller Dokumente im Sinne des Corporate Designs und gewährleistet die Anpassung bei Design-Änderungen.

Fazit

Auch wenn die BITV nur für Behörden und öffentliche Einrichtungen gilt und kommerzielle Anbieter nur zur freiwilligen Nachahmung aufgerufen sind, schafft sie einheitliche Standards, die im Interesse aller Verbraucher und Anbieter gleichermaßen notwendig sind. Denn noch heute bleibt eine große Zahl an Nutzern unerreicht, weil die Web-Gestaltung oft nicht genügend durchdacht und technische Gegebenheiten nur unzureichend berücksichtigt wurden, wie unterschiedliche Browser, Betriebssysteme oder fehlende PlugIns. Die Frage ist, welches Unternehmen es sich auf Dauer leisten kann, dieses Optimierungs- und Reichweiten-Potenzial ungenutzt zu lassen: Zählt man zu den Bestandsbesuchern noch die möglichen Nutzer hinzu, die das Angebot aufgrund ihrer Behinderung oder durch den Abruf von Mobilgeräten aus nicht wahrnehmen können, schnellt die Klickzahl wahrscheinlich in schwindel-erregende Höhe. Sehr viel versprechend ist zum Beispiel die Zielgruppe „Senioren“: Derzeit sind mehr als die Hälfte der schwerbehinderten Menschen älter als 65 Jahre (Quelle: Statistisches Bundesamt). Im Zuge einer alternden Gesellschaft trägt Barrierefreiheit deutlich zur Reichweitenmaximierung bei.

Barrierefreiheit sollte in der Öffentlichkeit – und hierzu zählt das Internet – mehr sein als eine lästige Pflicht: Die Berücksichtigung grundlegender Anforderungen im Sinne der BITV zählt glücklicherweise mittlerweile schon zum guten Ton.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
Nach oben scrollen