Der Verkauf per Internet ist in den seltensten Fällen ein Selbstläufer. Je komplexer und anspruchvoller die angeboten Produkte und Dienstleistungen ausfallen, um so lauter wird der Ruf nach individueller Beratung. Weisen Online-Beratungstools einen Weg aus dem scheinbaren Dilemma?
Wenn einer eine Reise tut – so schaut er zu 53% zuvor ins Internet. Dort informiert er sich über Zielort, Reiseverbindungen, Hotels oder Last-Minute-Angebote. Um zu buchen, gehen jedoch 2/3 der Kunden ins Reisebüro um die Ecke.
Mehr als 30% der Reisebuchungen übers Internet kommen nicht erfolgreich zum Abschluss, so eine Studie von Fittkau und Maaß vom Januar 2000. Fehlende Online Beratung kostet die Reiseanbieter im Internet viele Kunden. Ganz ähnlich sieht es auch in anderen Branchen wie beispielsweise Finanzdienstleister und Versicherungen aus, die die Chancen des eCommerce bisher nur halbherzig nutzen.
Das Internet ist keine billige Alternative, die die klassischen, kostenintensiven Vertriebswege ersetzt. Der elektronische Handel ist vielmehr eine ergänzende Vertriebschance, die ähnliche Anstrengungen und Kundenbindungsmaßnahmen erfordert wie der Verkauf über den Tresen. Persönliche Beratung zu Produkt und Service steht dabei beim Vertriebskanal Internet an erster Stelle. „Viele Shops haben keinen Erfolg, weil sie nur für Kunden gemacht sind, die schon wissen was sie wollen. Viele Kunden benötigen bei der Kaufentscheidung dagegen aktive Unterstützung. Online-Beratung stellt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Hilfe dar. In 3 Jahren wird es keinen erfolgreichen Shop ohne Online-Beratung mehr geben“, meint Lars Kaufmann, Geschäftsführer der bluehands GmbH.
Insbesondere gilt dies für Branchen, die schon immer beratungsintensiv waren: Tourismus, Finanzdienstleistungen und Versicherungen, Computer- und Automobilbranche sowie der gesamte Wellnessmarkt. Während Finanzdienstleister, Versicherungen und Computerhersteller bereits versuchen, von den neuen Vertriebsmöglichkeiten übers Netz zu profitieren, schlagen sich Automobilhersteller und Internetapotheken noch mit dem 1X1 des eCommerce herum.
Dem Kunden eine persönliche Online-Beratung ohne Zeitverzögerungen und Medienwechsel zu bieten, wird für Internet-Anbieter in den kommenden Jahren zu den wichtigsten eCRM-Lektionen gehören.
Produkte und Anbieter
… auf dem US-amerikanischen Markt
Seit mehr als einem Jahr ist Online-Beratung in den USA Topthema. Nachdem Live Person im Herbst 1999 20 Millionen Dollar Venture Capital mit dem Konzept „Echtzeit-Beratung via Internet“ einwarb, haben sich zahlreiche israelisch/US-amerikanische Firmen daran gemacht, dieses Feld zu beackern. Auffallend dabei: die Technik kam aus Israel, in der Tradition von ICQ, oft sogar von derselben Universität in Haifa. Das Geld bzw. das Management stammte in der Regel aus Sillicon Alley (NY). Live Person war einer der ersten Anbieter, der im Herbst 1999 mit „Chat Pro“ ein funktionsfähiges Produkt auf den Markt brachte.
Heute, keine 2 Jahre danach, ist die Zahl der Anbieter und Produkte gerade noch überschaubar. Mark Gebhard, Vice President der Webtelekom, USA, prognostizierte noch im Januar die amerikanische Marktverteilung auf den Zeitpunkt Frühjahr/Sommer 2001. Neben LivePerson sind Human Click und Cahoots im Markt für Online-Beratungs-Tools aktiv. Human Click wurde vor einigen Monaten von LivePerson übernommen. Cahoots ist nach langer Entwicklungszeit im März 2000 gestartet. Ob und wie sich der amerikanische Markt letztendlich aufteilt, wird sich vermutlich erst Ende des Jahres abschätzen lassen. Der Funke ist jedoch bereits nach Europa übergesprungen.
… auf dem deutschen Markt
Allein in Deutschland lassen sich mindestens 4 Wettbewerber identifizieren: Bereits zur Cebit 2000 hatte die cyland AG die Kommunikationssoftware TTerra als Online-Beratungs-Tool vorgestellt. Die Softwareschmiede aus der Universität Ulm ist inzwischen in die bluehands GmbH übergegangen. Bluehands legt mit dem Produkt Sushi-on-ice größten Wert auf Customisation und das möglichst natürliche Look and Feel von persönlicher Kommunikation.
Weitere deutsche Anbieter von Online Kommunikationssoftware sind Netempire mit dem Produkt SupportChat, der ehemalige Bosch-Telecom-Bereich Tenovis mit Web Contact und die Novomind AG mit dem Produkt trueTalk. Nennenswert ist hier vor allem die Netempire AG, die ihr Produkt beim vielgelobten Online Auftritt der Deutschen Post einsetzt. Im März 2001 gegründet, ist Netempire die jüngste Marktteilnehmerin. Ebenso wie bluehands sieht Netempire sein Kerngeschäft in den individuellen Anpassungen und der Integration der Software in die Gesamtanforderungen der Unternehmen.
Features
Doch worauf kommt es, bei der Wahl eines Tools für persönliche Online-Beratung an? Welche Techniken und Features sind bereits Standard, und welche Wünsche bleiben bisher offen? Was sind eigentlich Canned Responses?
Repeat Visitor Identification
In der Regel sorgt ein Cookie dafür, dass Herr Maier auch beim nächsten Besuch persönlich als Herr Maier begrüßt werden kann. Dieses Feature nennt sich Repeat Visitor Identification.
Monitoring / Klingel
Beim Eintreten des Kunden auf die Website, oder beim Aufrufen der Online-Beratung ertönt beim Berater ein akustisches Signal. Sollte der Berater bereits in anderen Gesprächen vertieft sein, zeigt ihm das Signal den Kommunikationsbedarf des Kunden.
Push Page/HTML
Der Berater kann dem Kunden HTML-Seiten auf den Bildschirm schicken. In unterschiedlichen Ausführungen ist diese Funktion in den meisten Produkten implementiert.
Gesprächsprotokoll / Transcripts
Das Gesprächsprotokoll hat sich seit einigen Monaten als sinnvolles Standard Feature bei allen Anbietern durchgesetzt. So hat der Berater nach dem Kundengespräch die Möglichkeit das Protokoll zu archivieren, dem Kunden zuzuordnen bzw. die Beratung dokumentiert nachzubearbeiten.
History
Die History-Oberfläche zeigt, wie der Kunde sich auf der Website bewegt: Auf welcher Seite ist er eingestiegen, Verweildauer und Weg. Manche Tools rufen sogar die früheren Besuche auf der Website und zugehörige Gesprächsprotokolle oder zusätzlich gespeicherte Kundendaten auf.
Canned Responses/ vorgefertigte Antworten
Da viele Fragen in der Online Beratung wiederholt und häufig auftreten, bietet die Funktion vorgefertigte Antworten, die auf Doppelklick eingespielt werden.
WebCam
Der Berater ist auf einem WebVideo zu sehen. Das Erlebnis, dass der Berater am anderen Ende der Leitung kein Robot ist, sondern ein Mensch, der lacht, und lebendig vor der Kamera sitzt soll Neugier, Vertrauen und die Gesprächsbereitschaft der Kunden fördern.
Audio/Voice
Die 1 :1 Kommunikation mit Sprachübertragung entspricht noch lange nicht dem Standard. Hohe Anforderung an Bandbreite und Abstriche in der Qualität verhindern bisher den problemlosen Einsatz von Voice-Kommunikation.
eMail Signatur
Die amerikanische Hersteller bieten standardmäßig einen Bilder-Link (Bspw. ein Logo) an, der in die eMail Signatur der Unternehmensmitarbeiter/Berater kopiert wird. Der Klick auf diesen Link öffnet die Verbindung zum Online-Berater.
Leave a Message
Ist gerade kein Berater Online, wird das im Kommunikationstool angezeigt. Der Kunde kann dann direkt von dort aus eine Nachricht (eMail) hinterlassen.
Customization/ Administration
Bei der Art der Einbindung in den Webauftritt unterscheiden sich die Hersteller noch sehr. Nur wenige bieten die individuelle Anpassung der Benutzeroberfläche an Corporate Design und Style Guide als Standard an. Will der Berater lieber Sales Consultant heißen oder Personal Account Manager oder Seelsorger. Auch hier gilt: selbst konfigurieren erlaubt zeitnahe und kostenlose Änderungen, vorkonfiguriert vom Betreiber kostet Geld und ist weniger anpassungsfähig.
Mehrere Berater Plätze (Profiles) und Queuing and Routing
Spätestens bei der Anbindung an ein Webcallcenter steht die Frage der intelligenten Verteilung von Beratern und Kunden im Raum. Kein Standard, wird häufig als Zusatzprodukt angeboten.
File Transfer
Der Austausch von Dateien gehört bisher nicht zur Standardausstattung der Produkte.
Mehrere Kunden gleichzeitig beraten
In der Regel sind jedem Online-Berater bis zu 4 parallele Sessions eingerichtet. Einige wenige Anbieter lassen sich hier jede einzelne parallele Session als Zusatzlizenz vergüten.
Der Kern jeder Online Beratungssoftware besteht im Kontaktaufbau und in der Kommunikation zwischen Websitebesuchern (Usern) und Beratern.
Entweder der User nimmt mit dem Berater Kontakt auf, indem er auf einen Button klickt auf dem sinngemäß zu lesen ist: „hier geht’s zur live–Beratung“. Dann öffnet sich ein Pop up mit der Kommunikationsschnittstelle. Oder der Berater sendet dem User die Beratungsschnittstelle auf dessen Bildschirm. Eine dritte Möglichkeit ist, dass das Beratungsfenster (Pop up oder Frame) parallel mit dem Betreten der Website auf dem Bildschirm des Users erscheint. In der Regel werden 1:1 Verbindungen zwischen User und Berater initialisiert.
Auf dieser Oberfläche können die User und Berater per Text/Tastatur miteinander in Echtzeit kommunizieren. Neben dieser Basisfunktionalität bieten die untersuchten Produkte noch einige Funktionen, um die Kundenkommunikation persönlicher, bequemer, auswertbarer damit nützlicher zu gestalten.
Funktionen, die fast alle Produkte integriert haben ist das Gesprächsprotokoll, und vorgefertigte Antworten zur Optimierung der Antwortzeiten durch die Berater. Auch die Integration der Kommunikationsoberfläche in das optische Erscheinungsbild der Unternehmenswebsite wird von den Herstellern in unterschiedlicher Weise angeboten. Einige Anbieter stellen diese Anpassung gesondert in Rechnung.
Eine wichtige Prämisse in der Kundenbindung ist die Personalisierung. Es gilt die Kontakte zwischen Usern und Beratern persönlicher zu gestalten. Diese Möglichkeit bieten jedoch bisher nur wenige Hersteller beispielsweise durch ein Foto oder durch integriertes WebVideo der Berater an.
Zusätzliche Einsatzmöglichkeiten von eBeratungstools
Neben der klassischen Kundenberatung im Online Shop sind für diese Software Tools noch weitere nützliche Anwendungen denkbar. So wird bei www.computerchannel.de bereits aktiv persönliche Nutzerbindung an das Community-Portal betrieben. Fachredakteure geben Auskunft und Hilfestellungen, kommunizieren kundennah und lebendig. Die Kunden danken es mit höchsten Noten in Punkto Service und Nutzen.
Virtuelle Pressekonferenzen werden bisher nur zaghaft angefragt, sind aber als Ergänzung ein durchaus denkbares Mittel den ein oder anderen Redakteur bequem „mal reinschauen“ zu lassen. Keine langen Anfahrtszeiten, keine Reisekosten, dennoch bekommt Redakteurin und Journalist die vollständigen Informationen in Echtzeit übermittelt. Und mehr noch: das Konferenz-Protokoll ist auch schon drin!
Tenovis setzt das Produkt WebContact bereits bei der persönlichen Online Karriereberatung ein. Die Deutsche Postbank AG hat eine personalisierte Beratung rund um das Thema Ausbildung ins Leben gerufen. Mit dem ersten Auszubildenden-Chat „präsentiert sich die Postbank AG als attraktiver Arbeitgeber, der auch im Bereich der neuen Medien mit innovativen Lösungen besonderen Service bietet und als Taktgeber für die ganze Branche steht.“ So berichtet die Software Herstellerin. „Webbasierte Kommunikation ermöglicht Bewerbern den direkten Kontakt zu kompetenten Ansprechpartnern über das Internet. Sie erhalten die benötigten Informationen zum Zeitpunkt des höchsten Interesses und werden individuell und persönlich beraten.“
Eine Vorstellung von Zukunft hat der Entwickler der Sushi Software Dr. Heiner Wolf. Als er vor 2 Jahren selbst auf der CeBIT stand, um das Produkt zu vertreten, begann er mit dem Satz: „Können sie sich die CeBIT ohne Menschen vorstellen? Kein Gedränge auf den Gängen, kein freundliches Standpersonal, keine Kommunikation?“ In der Tat waren bisherige Versuche „virtuelle Messen“ zu etablieren eine menschenleere und interaktionslose Veranstaltung. Gleichzeitig ist die größte Computermesse der Welt ausgebucht und viele, vor allem kleinere Unternehmen bleiben ausgeschlossen. Was liegt da näher, als dieses Potential zu nutzen und eine zeitgleiche, kostengünstige Kommunikationsplattform zu schaffen, die den Namen „virtuelle Messe“ mit Standpersonal, Beratung, Besuchern und sogar Hostessen verdient?
Service, Preise, Bewertungen
Wer sich überlegt eine Software zur persönlichen Online-Beratung zu integrieren, trifft durchgehend auf ASP – Modelle. Novomind und bluehands bieten auch Kaufmodelle an. Die Preise und die Preisbildung bei den ASP-Modellen ist dabei nicht immer transparent.
Ein wichtiges Entscheidungskriterium sollte die Anzahl der parallel möglichen Berater-Sessions sein. Im Schnitt bieten die Produkte bis zu 4 User Interfaces pro Berater. Die Anzahl der parallel möglichen Beratungsgespräche definiert oft die Anzahl der Lizenzbeiträge und somit den Preis.
Mindestens ebenso wichtig wie der Preis ist die Erreichbarkeit und der Support der Hersteller sowie die individuellen Anpassungsmöglichkeiten an Anforderungen der Kunden. Die amerikanischen Hersteller machen hier nicht die beste Figur. Außer einem Callcenter, das verspricht Fragen weiterzuleiten, gestaltet sich insbesondere die individuelle Anpassung oder gar Integrationsberatung und Mitarbeiterschulung schwierig. Der deutsche Markt ist hier noch wenig transparent und überwiegend uneinheitlich. In jedem Fall lohnt sich der telefonische oder eMail Kontakt mit den Herstellern und die eigene Bewertung bezüglich Antwortzeiten, Transparenz und Fachkenntnis.
Die Zukunft von eCRM-Techniken
In einigen Features in Tabelle 3 deutet sich bereits an, welche Anforderung eShops heute bereits an die genannten Produkte haben: das gemeinsame surfen von Berater und User (CoBrowsing) sowie das gemeinsame Bearbeiten von Formularen. Während die genannten Hersteller an diesen Features arbeiten, entstehen bereits neue Bedürfnisse für einzelne Branchen oder spezielle Anwendungen. Anbindungen und Integration an bestehende Shop Systeme ist dabei ein Thema, Web-Callcenter-Anbindungen ein weiteres.
Je mehr Tools zur professionellen Online-Kommunikation zum Einsatz kommen, umso mehr wächst auch der Bedarf an Schulung der Online-Berater und an Dienstleistern, die diese Beratung effizient anbieten.
Wer jetzt schon Wetten abschließen will, welche Produkte das Rennen machen, muss gut informiert sein und täglich am Ball bleiben. Denn alle aktuellen Marktteilnehmer machen heute die Pace, für Produkte die später kommen werden und aus den Fehlern der Erstanbieter bereits gelernt haben. Ob der Erfahrungsvorsprung und die Praxis der earlybirds ausreichen, um sich einen maßgebliches Stück am großen Kuchen zu sichern, entscheidet die Zahl und die Zufriedenheit der Kunden.