Kommerz mit Communities: ein alter Hut?

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In der Online-Welt gibt es auch Dinosaurier: die Communities. Ein gemeinsames Thema, viele Gleichgesinnte und intensive Kommunikation sorgen für enorme Anziehungskraft. Und dass sich rund um Communities einträgliche Geschäfte machen lassen, ist zahlreichen Unternehmen schon seit einiger Zeit klar.

Internetveteranen können sich noch an die ersten Tage von The Well und Howard Rheingold erinnern – das waren Zeiten, dieser lebhafte Austausch auf hohem intellektuellen Niveau. Oder die Foren bei CompuServe – wo hat man jemals bessere Informationen zu allen Themen von Software über Reiseziele bis hin zur Haustierpflege gefunden? Ein gemeinsames Thema, viele Gleichgesinnte, kompetente und engagierte „Hosts“ (Gastgeber) oder Moderatoren und natürlich die intensive Kommunikation sorgten für enorme Anziehungskraft. Aber hier soll nicht von Legenden und Mythen erzählt werden, es geht um E-Business. Und dass sich rund um Communities einträgliche Geschäfte machen lassen, ist zahlreichen Unternehmen schon seit einiger Zeit klar.

Die Argumentation ist ebenso einfach wie einleuchtend: Die meisten Menschen unterhalten sich gern und ausdauernd über ihre Interessen – auch im Internet. Deswegen lassen sich online zu allen erdenklichen Themen nicht nur Informationen sondern auch Gesprächspartner finden. Auf der anderen Seite: hier sind die idealen Kunden für alle Produkte, die in mehr oder weniger engem Zusammenhang mit den Themen stehen. Warum also nicht Community und Commerce verbinden? Die Internet-Eingeborenen zeigten sich zwar von dieser Geschäftsidee zunächst weniger begeistert, aber die Communities waren anpassungsfähiger als die Dinosaurier.

Die Internet Movie Database z.B., ein Community-Flaggschiff gegründet 1990 in Großbritannien, wurde 1998 von Amazon aufgekauft. Nicht alle Cineasten, die mit ihren Beiträgen zum Erfolg beigetragen hatten, waren erfreut. Einige hatten den Eindruck, dass eine freundliche Online Community von einem Giganten geschluckt wurde. Dennoch wuchs und wächst die Datenbank nach der Übernahme schneller und zusätzlich können manche derjenigen, die zuvor freiwillig mitgemacht haben, nun bezahlt werden. Mittlerweile sind für die meisten Internetnutzer Communties und Commerce nicht nur vereinbar, sondern gehören zusammen. Die Integration des Commerce finanziert den für die Nutzer kostenlosen Content, bietet Mittel für den Ausbau – und schließlich kann man bequem auch gleich das ein oder andere kaufen.

Ob Golfweb in den USA oder Urbia in Deutschland (Frankreich und Großbritannien), die Communities bieten Märkte für Unternehmen. Dabei gilt es natürlich, mit den richtigen Produkten am richtigen Platz zu sein, denn wie üblich hat nur derjenige Erfolg, der seine Zielgruppe mit den passenden Angeboten bedient. Aber nicht nur Bälle sind für die Golfer oder Kinderkleidung für die Eltern, die sich bei Urbia informieren, interessant. Bei der ebenfalls familienorientierten US-Website Parent Soup sponserte ein bekannter Hersteller von Hustensaft den Bereich „Gesundheitstipps“ und eine Versicherung warb mit einem speziellen Angebot zur Ausbildungsversicherung. Neben dem direkten Produktverkauf können also auch andere Optionen interessant sein, wie z.B.:

 • Bannerwerbung
 • Eintrag in ein Anbieterverzeichnis
 • Sponsoring von einzelnen Diskussionsgruppen oder Chat
 • Sponsoring von speziellen Events
 • Inhaltliche Betreuung einzelner Themen
 • Teilnahme an Expertenforen

Über Communities können nicht nur private Kunden erreicht werden. Auch im B2B-Bereich bieten sich zahlreiche Optionen. Die über fünfzig Communities von VerticalNet z.B. widmen sich teilweise sehr speziellen Industriezweigen wie Meat and Poultry Online und sind nach dem gleichen Muster aufgebaut: ein Buyer’s Guide führt die Besucher zu einzelnen Produkten oder Lösungsanbietern, daneben stehen ein umfangreiches Informationsangebot und Diskussionsforen. In Kooperation mit Microsoft bietet VerticalNet auch die Integration einer eigenen Storefront und rückt damit in die Nähe der Marktplätze. Die Übergänge von der Community zum Marktplatz scheinen fließend: trennscharf sind die Kategorien nicht. Beim einen steht eher die Kommunikation im Vordergrund, beim anderen die Transaktion. Lassen wir es bei dieser pragmatischen Unterscheidung bewenden, akademische Spitzfindigkeiten führen hier nicht weiter. (Falls Sie anderer Meinung sind: die ECIN-Community erreichen Sie mit Ihren Beiträgen im Forum).

Bei eTrucker sollen sich demnächst selbstständige oder angestellte Lastwagenfahrer, Spediteure, Fahrzeughersteller und andere treffen, „Everything Trucking“ heißt das Motto. Unter dem Dach von Randall Publishing finden sich Partner wie The Internet Truckstop (mit Datenbanken über verfügbare Fahrzeuge, Frachtkapazitäten, Routen und Angeboten) TrucksNow (mit Ersatzteilen) und Volvo Trucks (mit einem Ratgeberangebot). Dementsprechend üppig ist das Informationsangebot. Nicht nur die obligatorischen News, Landkarten, Wetter- und Straßenzustandsberichte sowie Treibstoffpreise finden sich, auch Karriere, Freizeit und Familie sind Themen. Ist vielleicht „Portal“ die zutreffende Bezeichnung? Aber neben dem umfangreichen Informations- und Transaktionsangebot gibt es auch Community-Features wie Chat und Bulletin-Boards, die die Bildung von Netzwerken unterstützen sollen. Erfahrungen austauschen, Meinungen kundtun und Branchen-Interna diskutieren ist das Ziel.

Truckerservice bietet etwas weniger. Die Website von Routex, dem Verbund von Agip, Aral, BP, OMV und Statoil, konzentriert sich auf die Unterhaltung von Truckern. Kontakte zwischen den Routex-Karteninhabern werden über SMS-Services vermittelt und ein Event Finder unterstützt Treffen im wirklichen Leben. Auch euroShell bietet Leistungen für das Transportgewerbe, allerdings keine Community-Features. Diese finden sich aber bei Shell Geostar. Hier können alle Autofahrer kostenlos Mitglied werden und Reisen planen. Der Travel Talk gehört dazu: über europäische Ländergrenzen hinweg kann man hier zum Thema internationale Küche plauschen oder Tipps für das Reisen mit Kindern tauschen – wenn man Antwort findet, denn sehr belebt ist der Travel Talk gegenwärtig nicht.

Wie lassen sich Communities unterscheiden? Bezeichnung hin oder her, es kommt auf den Blickwinkel an. Das Fraunhofer Institutin Stuttgart unterscheidet vier Möglichkeiten, E-Business mit E-Communities zu machen:

       • Die Bazar-Community stellt den Austausch der Besucher in den Vordergrund. Zur Finanzierung dient in erster Linie der Verkauf von Bannerwerbung, daher kommt es besonders auf möglichst hohe Zugriffszahlen an. Zusätzlich werden auch Produkte und Dienstleistungen angeboten. Urbia und ECIN sind Beispiele.
       • Die Club-Community ist ebenfalls auf die Kommunikation konzentriert. Hier bilden die Mitgliedsbeiträge das Fundament, siehe GolfWeb.
       • Die Service-Community wird von einem Unternehmen neben dem Kerngeschäft als ergänzendes Angebot betrieben. Die Mitglieder finden hier Unterstützung rund um das Leistungsportefolio des Anbieters. Zutreffend für Shellgeostar.
       • Die Patronage-Community finanziert sich über Sponsoren, die einen Image- und Umsatzgewinn erzielen wollen. Wenn man den Begriff „Sponsor“ weiter fasst, kann man Truckerservice hier einordnen.
      Aber wie lassen sich Communities wirklich erfolgversprechend nutzen? Bazar- und Club-Communities können für Promotion- und Absatzaktivitäten sinnvoll sein. Ist auch der Aufbau einer eigenen Community oder die Patronage geschäftlich interessant? Hier gehen die Meinungen weit auseinander. So wurde das Konzept „Net Gain: Expanding Markets Through Virtual Communities“ (Armstrong und Hagel 1997, deutsch „Net Gain. Profit im Netz. Märkte erobern mit virtuellen Communities) sehr kontrovers diskutiert. Zwar legten die ehemaligen McKinsey Berater ein schlüssiges vierstufiges Modell vor, wie sich Communities aufbauen lassen. Da sich allerdings die Geschäftsmöglichkeiten erst in der vierten Phase nutzen lassen, war schnell klar, dass nur Unternehmen mit tiefen Taschen dieses Experiment wagen sollten:
       • Mitgliederstamm aufbauen

 

      Viel hochwertiger Content wird erstellt und zusammengetragen. Die Nutzung ist kostenlos. Hohe Investitionen sind auch für das besonders jetzt wichtige Marketing erforderlich.
       • Mitglieder aktivieren

 

      Communities sollen durch die Beiträge der Mitglieder leben, die Anstrengungen konzentrieren sich darauf, aktive Teilnahme anzuregen. Der Betreiber stellt natürlich auch weiterhin Inhalte zur Verfügung und versucht, Gäste zu integrieren.
       • Loyalität fördern

 

      Die Kommunikation zwischen den Mitgliedern wird gefördert. Gleichzeitig muss auch der Betreiber über „echte“ Personen sein Engagement in der Community untermauern und Beziehungen aufbauen.
       • Geschäftliche Nutzung

 

      Werbung und Gebühren bringen erste Einnahmen. Spezielle Services können kostenpflichtig angeboten werden.
      Dass mit diesem Konzept tatsächlich wirtschaftlich rentable Lösungen aufgebaut werden können, belegt ein prominentes Beispiel:

Sales.com

      Siebel Systems hob das Webangebot für Verkaufskräfte im Februar 1999 mit Unterstützung von Sun Microsystems, Miller Heiman und Dun&Bradstreet aus der Taufe. Ziel war es, die weltbeste Online-Ressource in Bezug auf Informationen, Tools und Services in diesem Bereich zu werden. Der Service entwickelte sich so gut, dass schon im Dezember 1999 ein Spin-off mit 27 Mio. US$ privatem Venture Capital möglich war. Auch jetzt scheint der Trend weiter positiv: Sales.com sucht im Gegensatz zu vielen anderen Dot.coms noch zahlreiche neue Mitarbeiter. Die Premium-Mitgliedschaft scheint Verkaufskräften ihren Preis von 19,95 US$ monatlich wert zu sein.
    Diese Erfolgsbeispiel sind aber selten. Mittlerweile hat sich eher die Skepsis bestätigt: es gibt kaum Communities, die schwarze Zahlen in erwähnenswerten Umfang schreiben. Auch die Diskussion um Portale hat gezeigt, dass dort, wo teure Leistungen erbracht werden, nicht zwangsläufig auch Geldquellen entstehen. Die Refinanzierung von Online-Angeboten ist allgemein in vielen Bereichen nach wie vor ein Problem. Sollte man daher von der Community-Idee Abstand nehmen? Nein, aber sorgfältig prüfen, ob das eigene Unternehmen wirklich profitieren könnte. Sich voreilig von Aussagen wie „Communities fördern die Loyalität der Kunden“ oder „Communities machen den Kundenservice einfacher“ blenden zu lassen, führt mit Sicherheit nur zu einem – dem dicken Minus.

Über Anregungen und Kritik freut sich Monika Gatzke

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