Angriff auf die Führungsetage

Das Rollenmodell zwischen Unternehmen und Kunden gerät ins Wanken. Customer Energy ist das Stichwort, auf das Unternehmen in Zukunft Rücksicht nehmen sollten. Obwohl das Phänomen nicht neu ist, hat es durch Web 2.0 und die Digitalisierung eine neue Qualität erhalten. Kunden sind nicht mehr nur reine Konsumenten, sondern nutzen das Internet aktiv zur Verbesserung und Meinungsäußerung zu diversen Produkten. Doch Unternehmen können Customer Energy zu ihrem Vorteil nutzen.

Beispiele wie Wikipedia, Tripadvisor, YouTube oder Ebay verdeutlichen, dass sich das Verhalten der Konsumenten in den letzten Jahren grundlegend verändert hat. Doch während derzeit erst 17 Prozent der Unternehmen der neuen Macht der Kunden eine hohe bis sehr hohe Bedeutung beimessen, wird die „Customer Energy“ bis 2015 bereits für drei Viertel der Unternehmen zum kritischen Erfolgsfaktor. Unternehmen, denen es nicht gelingt, Kunden in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren, müssen bis 2015 mit Umsatzeinbußen von bis zu 16 Prozent rechnen.

Dem gegenüber stehen die enormen Potenziale, die durch die „richtige“ Nutzung der „Customer Energy“ erzielt werden können: Eine aktuelle A.T. Kearney-Studie beziffert Umsatzsteigerungen sowie Kostenoptimierungen mit durchschnittlich 5 bis 7 Prozent, die auf allen Wertschöpfungsstufen erzielt werden können. Die Bedeutung von Customer Energy und die Chancen, die sich aus deren Nutzung ergeben, haben viele Unternehmen zwar bereits erkannt – das damit verbundene Potenzial jedoch in den wenigsten Fällen bereits ausgeschöpft. Um die weitreichenden Möglichkeiten zu nutzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sollten Unternehmen drei Schritte vollziehen:
– Segmentierung der Kunden nach ihrem Energiepotenzial

– Radikales Überdenken traditioneller Unternehmensstrategien

– Tiefere Einbindung der Kunden – vor allem in die Produktentwicklung

Kritischer Erfolgsfaktor: Nutzen der Kundenenergie

Die A.T. Kearney-Studie zeigt, dass bereits heute etwa jedes fünfte Unternehmen (17 Prozent) der Customer Energy einen erfolgskritischen Stellenwert beimisst und dieser weiter signifikant steigen wird. Für 2010 halten 43 Prozent und für 2015 sogar 75 Prozent der befragten Unternehmen das Nutzen der Kundenenergie für sehr wichtig. Insbesondere der Handel, Unterhaltungselektronik-, Telekommunikations- und Medienindustrie erwarten, dass Customer Energy immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich Kostenoptimierungen durch die Nutzung der Customer Energy realisieren. Über alle Wertschöpfungsstufen hinweg belaufen sich diese auf 5 bis 7 Prozent. Der Handel erwartet beispielsweise durch die Einbindung der Kunden in den Bereich Innovation und Sortimentsbildung ein Kostenverbesserungspotenzial von 17 Prozent.

Branchenübergreifend sehen die Unternehmen bis 2015 insbesondere in den Bereichen „Customer Care“ (z.B. mittels User-to-user Support) und „Marketing“ (etwa über virale Effekte) das größte Potenzial und rechnen bis 2010 mit einer Umsatzsteigerung von durchschnittlich 7 bzw. 4 Prozent. Die Kunden selbst wünschen allerdings, bereits viel früher in den Wertschöpfungsprozess einbezogen zu werden. Dies gilt insbesondere für Innovation, in die 39 Prozent einbezogen werden möchten, und den Bereich Qualitätsmanagement (47 Prozent).

Defizite im Managen der Kundenbeziehungen

Die Unternehmen erreichen ihre aktiven und kreativen Kunden jedoch oftmals gar nicht: 54 Prozent der für die Studie befragten Unternehmen können Kunden, die eine hohe Customer Energy besitzen, noch gar nicht identifizieren und bieten weder einen Kanal noch einen Prozess an, um mit ihnen in Interaktion zu treten. Im Bereich Banken und Versicherungen sowie in der Telekommunikationsindustrie ist der Anteil mit 80 bzw. 70 Prozent noch viel höher. Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, da insbesondere Branchen wie Banken und Versicherungen, Telekommunikation, Travel und Transportation sowie Energie- und Versorgungswirtschaft durch ihre Vertragskundenstruktur und Customer Relationship Management (CRM) ihre Kunden besser kennen müssten.

Diese Ergebnisse decken sich mit der Einschätzung der Konsumenten und offenbaren enorme Defizite im Management der Kundenbeziehungen: Nahezu alle befragten Endverbraucher sind der Meinung, dass 81 Prozent der Unternehmen ihr produktives Potenzial noch nicht erkannt haben.

60 Prozent der Konsumenten ist schlicht nicht bekannt, wie sie zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen können. Vor allem die Medienindustrie scheint auf den Austausch und den Dialog mit den Kunden noch nicht vorbereitet zu sein: Hier wissen 80 Prozent der befragten Konsumenten nicht, über welche Kanäle sie Kontakt zu den Unternehmen aufnehmen können. Lediglich 11 Prozent der Befragten gaben an, zu wissen, dass ihre Anregungen und Beiträge auch angenommen wurden.

Welche Folgen es haben kann, die Bedürfnisse und Fähigkeiten seiner Kunden nicht zu kennen und ihnen nicht auf Augenhöhe zu begegnen, hat die Musikindustrie in den letzten Jahren leidvoll erfahren müssen und letztlich mit einem enormen Umsatzeinbruch bezahlt. Die Musikindustrie hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und es versäumt, die Energie ihrer Kunden in ihre eigenen Geschäftsprozesse einzubinden. Die bessere digitale Vernetzung hat es den Kunden ermöglicht, eigene Wege bei der Produktion und dem Vertrieb von Musik zu beschreiten.

Kunden und ihr Energiepotenzial identifizieren: Creators, Contributors und Viewers

Um die positive Customer Energy nutzen zu können, müssen Unternehmen zunächst das Energiepotenzial sowie das Profil ihrer Kunden kennen. Die befragten Unternehmen schätzen die Macht ihrer Kunden jedoch vielfach falsch ein, weil sie bisher nicht danach segmentieren. Insbesondere die so wichtige, aber mit 11 Prozent auch kleinste Gruppe der Creators wird von den Unternehmen meist noch unterschätzt. Creators beteiligen sich aktiv am Dialog mit den Unternehmen und anderen Kunden und äußern ihre Meinung auf Online-Plattformen oder in Chat-Foren. Sie nutzen ihre Einflussmöglichkeiten aus, um Produkte aktiv mitzugestalten und zu entwickeln. Zudem besitzt diese Gruppe eine überdurchschnittlich hohe Kundenzufriedenheit und -treue und gehört mit 56 Prozent meist zu den Early Adopters. Gerade diese Gruppe gilt es genau zu identifizieren und zu erreichen – denn unter Umständen kann die hohe Reichweite dieser Gruppe für Unternehmen auch ein Risiko darstellen. Sie sind zwar nicht so zahlreich anzutreffen wie die Contributors (36 Prozent), die in erster Linie mit ihrem Votum à la „Fanden Sie diese Rezension hilfreich“ den Aussagen der Creators Nachdruck verleihen. Doch gerade die latente Energie der Contributors macht es erst möglich, dass sich individuelle und kreative Ideen zu einem Massenphänomen entwickeln.

Mehr als die Hälfte der Kunden (53 Prozent) zählen zu den Viewers, die den höchsten Anteil ausmachen. Sie kennzeichnet eine geringe emotionale Bindung an das Unternehmen oder seine Marken und eine geringe Bereitschaft zu interagieren.

Über alle Gruppen hinweg sind 5 Prozent aller Konsumenten bereit, eine Stunde oder mehr ihrer Zeit für „ihr“ Unternehmen zu investieren – unter Creators, den ganz aktiven potenziellen Content-Lieferanten, sind es sogar 11 Prozent. Die Motivation hierfür ist insbesondere Neugier, die über 50 Prozent der befragten Konsumenten als Hauptgrund angeben. Aber auch soziale Anerkennung (30 Prozent) und finanzielle Motive (31 Prozent) sowie Spaß (26 Prozent) spielen eine große Rolle. In dieser Frage überschätzen sich die meisten Unternehmen allerdings: Sie sehen vor allem die Identifizierung mit der Marke und Verbraucherfreundlichkeit als wichtigste Beweggründe an.

Eine wichtige Erkenntnis für viele Unternehmen: Ohne gezielte Aktivierung der Creators bleibt eine Web 2.0-Plattform eine IT-Investitionsruine. Erst wenn die Angebote für die eigene Einbringung auch als wirklich nützlich empfunden werden, entsteht auf einer Internetseite Traffic, der sehr schnell für das Unternehmen wirtschaftlich bedeutsam wird.

Wettbewerbsvorteile schaffen durch Customer Energy

Unternehmen, die ihre Kunden kennen und denen es gelingt, die Customer Energy gezielt zu nutzen, können nachhaltige Wettbewerbsvorteile entlang der gesamten Wertschöpfungskette erzielen. Sie müssen sich die Chancen, die die Nutzung der Customer Energy birgt, bewusst machen und bereit sein, einen Teil der Kontrolle und Verantwortung auf die Kunden zu übertragen.

Dabei gilt es, Risiken und Vorteile entlang der verschiedenen Wertschöpfungsstufen zu bewerten und eine Strategie zu definieren und zu implementieren, die auf den Grundsätzen der Customer Energy basiert und über die herkömmlichen Formen des Kundenmanagements (CRM) hinaus geht. Zudem sollten Unternehmen ihre Internetstrategie überdenken, um die Kunden beispielsweise über offene Plattformen besser in die Produktentwicklung zu integrieren und damit zu einer nachhaltigen Verbesserung des Innovationsmanagements beitragen.

Die internationale Studie „Customer Energy“ wurde von A.T. Kearney in Deutschland, Frankreich und Italien durchgeführt. Gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut IPSOS wurden dazu branchenübergreifend 3.000 Verbraucher sowie Unternehmen befragt.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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