eProcurement – ein Trend wird erwachsen

Die digitale Beschaffung steht in Deutschland noch immer am Anfang. Von einer systematischen Nutzung kann ebenso wenig die Rede sein, wie von einer Realisierung der enormen Einsparpotentiale. Haben deutsche Unternehmen etwa Geld zu verschenken oder welche Gründe hindern sie an der zügigen Implementierung entsprechender Lösungen? Was gilt es überhaupt bei der Projektierung von eProcurement-Lösungen zu berücksichtigen? Eine Checkliste.

Herausforderungen an die eProcurement-Implementierung

Vergleicht man die Einführung eines eProcurement-Systems mit der Implementierung eines ERP-Systems (wie z. B. SAP R/3), so handelt es sich um ein vergleichsweise kleines Projekt. Im Gegensatz zu einem ERP-System liegt der Focus im eProcurement aber weniger auf der Unterstützung unternehmensinterner Prozesse, als vielmehr auf dem Aufbau und dem Management eines unternehmensübergreifenden Partnernetzwerkes. Die eigentlichen Herausforderungen liegen also weniger in der Software-Implementierung, als vielmehr in den folgenden Bereichen:

• Katalog-Management
Elektronische Kataloge unterschiedlicher Lieferanten müssen vereinheitlicht, integriert, ständig aktualisiert und weiter entwickelt werden.

• Lieferanten-Anbindung (Connectivity)
Die technische Anbindung einer großen Zahl von Lieferanten mit den verschiedensten technischen Voraussetzungen muss realisiert und aufrecht erhalten werden.

• Lieferanten-Management
Geeignete, eBusiness-fähige Lieferanten müssen gefunden, und die Regeln des Zusammenspiels vereinbart und in die Tat umgesetzt werden. Hierzu gehört unter anderem auch die Verteilung der entstehenden Kosten und Einsparungen.

• Projekt-Management
Das Zusammenspiel einer Vielzahl von Beteiligten innerhalb und außerhalb des Unternehmens muss koordiniert werden.

• Change Management
Erfolgreiches eProcurement erfordert eine Anpassung der Prozesse und damit ein Umdenken der Mitarbeiter.

• Transparenz
Um die Verbesserungspotenziale realisieren zu können, müssen die neu geschaffenen technischen Möglichkeiten genutzt zu werden, um aussagekräftige Informationen und Auswertungen zu erhalten.

• Zuverlässigkeit, Sicherheit und Service
Das gesamte entstehende Netzwerk muss sowohl technisch als auch organisatorisch höchst zuverlässig und sicher sein. Für auftretende Probleme und Fragen der bestellenden Mitarbeiter muss ein professionell organisierter Service bereit stehen.

• Zukunftsfähigkeit
Da die Potenziale des eProcurement bisher erst zu einem kleinen Teil ausgenutzt werden, ist es von entscheidender Bedeutung, Systeme und Lösungen so flexibel zu gestalten, dass sie leicht weiter entwickelt werden können. Für jedes Handlungsfeld können detaillierte Kriterien-Kataloge aufgestellt werden, die als Hilfsmittel zur Planung von eProcurement-Projekten herangezogen dienen. Anhand der Themen „Lieferanten-Management“ und „Transparenz“ soll dies beispielhaft illustriert werden.

Lieferanten-Management

• Auswahl geeigneter, eBusiness-fähiger Lieferanten
Zu berücksichtigen sind hierbei die technischen Voraussetzungen, die nachweisbaren Erfahrungen und Referenzen im Bereich eBusiness, aber auch definierte Lieferzeiten, Produktspektrum, geografische Abdeckung aller Standorte des Unternehmens (auch international) sowie angebotene Zusatz-Services. Hier sollten die bis dato genutzten Lieferanten gezielt mit anderen führenden Lieferanten für die betreffenden Produktgruppen verglichen werden.

• Koordination und Umsetzung der technischen Anbindung
Zunächst sind die technischen Voraussetzungen, wie verwendete Systeme und Austauschformate, abzuklären. Gegebenenfalls müssen spezifische Lösungen konzeptioniert und entwickelt werden, z. B. zur Datenkonvertierung.

• Definition gemeinsamer Standards
Hierzu gehört die Auswahl der genutzten – in der Regel XML-basierten – Standards für den Austausch von Geschäftsdokumenten (z. B. xCBL, cXML oder ebXML) und Katalogdaten (z. B. BMEcat) und für die Klassifikation von Produkten (z. B. eClass, UNSPSC). In der Regel muss zudem noch definiert werden, wie der jeweilige Standard in der konkreten Käufer-Lieferanten-Beziehung genutzt wird, z. B. welche Datenfelder genutzt und wie diese inhaltlich interpretiert werden sollen.

• Gegenseitige Information
Beispielsweise über anstehende Änderungen, Erwartungen an den jeweiligen Partner oder Wartungszeiten, in denen der Service des Partners nicht zur Verfügung steht.

• Konzeption, Abstimmung, Test und Umsetzung gemeinsamer Prozesse
Hierzu gehören vor allem der eigentliche Beschaffungsprozess sowie der Prozess zur Bereitstellung und Aktualisierung der Katalogdaten. Weitere wichtige Prozesse betreffen die Abwicklung von Bestelländerungen, Stornierungen, Rücksendungen und Reklamationen oder die Abwicklung von Gewährleistungsfällen.

• Gemeinsame Problemvermeidungs- und -lösungs-Strategien
Es sollte von Vornherein Klarheit darüber geschaffen werden, wie mit auftretenden Problemen umgegangen wird. Hierzu gehört die Definition von zuständigen Personen auf beiden Seiten, Reaktionszeiten, Eskalations-Stufen usw.

• Vertragliche Regelung der elektronischen Geschäftsabwicklung
Die gemeinsam definierten Prozesse sind hinsichtlich der definierten Verantwortlichkeiten sowie der Verteilung anfallender Kosten vertraglich festzuhalten. Auch Aspekte der Sicherheit und der Risikoübernahme sowie die Gültigkeit und Anerkennung der auf elektronischem Wege ausgetauschten Geschäftsdokumente sollten im Vertrag fest gehalten werden.

Zu bedenken ist, dass jede dieser Aktivitäten mit Dutzenden von Lieferanten durchzuführen ist. Man kann sich leicht ausmalen, wie langwierig und aufwändig dies sein kann. Meist beginnt man mit wenigen ausgewählten Lieferanten und integriert sukzessive die weiteren Lieferanten in das bereits produktiv eingesetzte e-Procurement-System.

Transparenz

• Überblick über das Einkaufsvolumen
Mit Hilfe der im eProcurement anfallenden Daten ist es wesentlich leichter als bisher möglich, das tatsächliche Einkaufsvolumen zu erfassen und nach Warengruppen oder Organisationseinheiten aufzuschlüsseln.

• Analyse des Einkaufsverhaltens
So kann etwa das Einkaufsverhalten ähnlicher Abteilungen verglichen werden. Ebenso lassen sich zeitliche Veränderungen untersuchen.

• Aufdecken von Einsparungspotenzial und Synergie-Effekten
Beispielsweise hinsichtlich der Standardisierung von beschafften Gütern oder der gemeinsamen Nutzung bestimmter Ressourcen. Soll etwa ein selten benötigter Artikel beschafft werden, könnte man herausfinden, ob und wo ein derartiger Artikel schon einmal bestellt wurde, so dass die neuerliche Lieferantensuche entfällt.

• Identifikation von Möglichkeiten weiterer Volumenbündelung und Lieferanten-Konsolidierung
Nur wenn bekannt ist, welches Volumen einer Warengruppe tatsächlich beschafft wird, kann man die besonders hochvolumigen Warengruppen herausfinden und hierfür besonders günstige Preise aushandeln. Umgekehrt kann man mit Hilfe eines eProcurement-Systems durch die bereit gestellten Kataloginhalte sicher stellen, dass der betreffende Artikel tatsächlich nur bei diesem Lieferanten bestellt wird.

• Daten zur Lieferanten-Beurteilung
Hierzu gehören Daten über Lieferzeiten, nicht ausgeführte Bestellungen, gemeldete Mängel, Reklamationen und Rücksendungen.

• Frühzeitiges Erkennen von Problemen
Wenn sich etwa Reklamationen bei bestimmten Lieferanten häufen oder drastische Abweichungen beim Beschaffungsvolumen einzelner Kostenstellen auftreten, kann dies frühzeitig festgestellt werden, so dass rechtzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.

• Erkennen von Trends
Veränderungen im Einkaufsverhalten gegenüber der Vorperiode lassen sich etwa für Preisverhandlungen nutzen.

• Erfolgskontrolle bei durchgeführten Veränderungen
Der Erfolg von geänderten Einkaufsrichtlinien, Standardisierungsansätzen, Änderungen in der Einkaufsorganisation, Lieferantenwechseln u. ä. kann anhand der im e-Procurement-System anfallenden Daten beurteilt werden.

• Genauere Daten für die Kostenrechnung
So führt beispielsweise die automatische Zuordnung einer Bestellung zur Kostenstelle des Bestellers zu wesentlich besseren Kostenrechnungsdaten als dies bisher der Fall war. Auch prozessbezogene Daten fallen an, wie Bearbeitungs- oder Reaktionszeiten. Diese könnte man für eine laufende Prozesskostenrechnung einsetzen.

Die genannten Punkte werden durch den Einsatz eines eProcurement-Systems erstmals in dieser Form realisierbar. Allerdings muss man zunächst ein für den Einzelfall passendes Reporting aufbauen. Besonders in größeren Firmen kann hier der Einsatz eines Data Warehouse von Nutzen sein. Da das mit der Schaffung von Transparenz verbundene Einsparungs- und Verbesserungs-Potenzial noch wesentlich größer ist als die erzielbaren Prozesskosteneinsparungen, lassen sich die mit der Data Warehouse-Nutzung verbundenen Kosten u. U. schnell amortisieren.

Kosten-/Nutzen-Betrachtung

Kein IT- oder eBusiness-Projekt wird heute mehr genehmigt, ohne dass ein klarer Nachweis des zu erwartenden Nutzens vorliegt, meist in Form des Return on Investment (ROI) ausgedrückt. Wurden in der Anfangsphase des eBusiness-Booms oft zu euphorische Erwartungen gehegt, so sind jetzt umgekehrt eine sehr große Vorsicht und eine Fokussierung auf eine kurze Amortisationszeit zu beobachten. Hierbei besteht die Gefahr, mittelfristige Chancen und Entwicklungspotenziale zu vernachlässigen.
Neben der auf jeden Fall erforderlichen kurzfristigen Analyse von Kosten und Einsparungen sind daher auch die strategischen Entwicklungspotenziale zu berücksichtigen, die mit der Einführung von eProcurement verbunden sind. Die folgende Übersich stellt die wichtigsten zu berücksichtigenden Kostenblöcke und Nutzenaspekte einander gegenüber.

Aufwände

a) Einmalig
– Software
– Hardware
– Implementierung
– Integration in ERP-Systeme
– Projekt-Management
– Change Management
– Abstimmung mit Lieferanten
– Lieferantenanbindung: Dokumentenaustausch (Connectivity)
– Lieferantenanbindung: Katalog
– Unternehmensweiter Rollout (ggf. international)

b) Laufend
– Software-Wartung und Update
– Hardware-Wartung
– Administration
– User-Support (technisch und inhaltlich)
– Lieferanten-Management
– Katalog-Management

Nutzen

– Prozesskostenreduktion
– Reduzierte Einkaufspreise
– Reduzierte Lagerbestände
– Kürzere Lieferzeiten
– Vorteile durch Standardisierung
– Höhere Qualität
– Höhere Transparenz
– Konzentration auf strategischen Einkauf möglich
– Aufbau einer zukunftsweisenden Infrastruktur
– Sammeln von Erfahrungen im e-Business
– Grundlage für weitere Produktgruppen (B-, A-Güter), Dienstleistungen, konfigurierbare Güter, …
– Grundlage für weitere Integration und Prozessverbesserungen, z. B. Software Inventory Management, Facility Management, Service und Support

Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug aus dem emaro-Gastartikel „e-Procurement – ein Trend wird erwachsen“ von Prof. Dr. Thomas Allweyer. Zur Auswahl von eProcurement-Anbietern finden Sie in der kommenden Woche bei emaro weitere Informationen.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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