In Deutschland wird das Potenzial von Webshops nach wie vor verkannt

Die Möbelbranche entdeckt den Internethandel für sich, doch deutsche Hersteller und Händler verschlafen die Entwicklung und überlassen den Bereich E-Commerce weitgehend den Amerikanern und Japanern. Damit gerade kleinere Händler die Chancen, die ihnen das World Wide Web bietet, nutzen können, müssen sie den Bereich Online als Teil der Gesamtstrategie begreifen und sich entsprechend positionieren.

Erfunden wurde das www vom CERN in der Schweiz. Das mp3-Dateiformat hat das Fraunhofer-Institut entwickelt. Das Know-How ist da in Europa – gerade in Deutschland –, aber wenn es darum geht, die Forschung mit wirtschaftlichen Interessen zu verbinden, fehlen die Erfahrung und das richtige Gespür. Eine solche Zurückhaltung ist Amerikanern und Japanern fremd. Auch China ist längst nicht mehr die billige Werkbank, die es einmal war, sondern strebt mit eigenen Innovationen auf den Markt und entwickelt sich zusehends auch im Onlinegeschäft zu einem wichtigen Player.

Der internationale Vergleich zeigt, dass man in diesen Ländern weiß, wie man perfekte Technik mit der Vermarktung einer Brand verbindet. Nicht umsonst kommen die größten Startups im E-Commerce aus den USA. Aufgrund seiner Kultur und Geschichte zeichnet sich das Flächenland auch heute noch durch Risikofreude und einen gewissen Pionier- oder Unternehmergeist aus. Die deutschen Hersteller und Händler sind dagegen eher konservativ. Der springende Punkt ist jedoch – und das vernachlässigen deutsche Anbieter oft vollkommen – dass sich das Kundenverhalten auch hierzulande ändert: Ein Scan mit dem Smartphone und schon lässt sich der Preis im Kaufhaus mit dem der Konkurrenz im Web vergleichen. Das Wochenende im Einkaufszentrum zu verbringen war gestern. Selbst wenn man sich das Produkt im Laden ansieht, geshoppt wird immer häufiger auf der Couch. Und was dabei zählt, sind – wie schon immer und wie mit Sicherheit auch in zehn Jahren noch: Preis, Produktinfo und Service.

Click & Buy statt Probesitzen – Neue Chancen im Onlinehandel
Wie das Beispiel Zalando gezeigt hat, ist die Grundannahme, dass sich bestimmte Produkte, etwa Schuhe, nicht über das Internet verkaufen lassen, falsch. Dank seines kulanten Rückgaberechts und einer hervorragenden Logistik ist das Unternehmen mittlerweile Benchmark in Sachen Kundenzufriedenheit und Service. Für einen langfristigen Erfolg ist es vielmehr unabdingbar, die einzelnen Zyklen, die ein Kunde durchläuft zu berücksichtigen, also alle Berührungspunkte, die es zwischen dem Konsumenten und der Marke, dem Produkt oder der Dienstleistung gibt, mit einzubeziehen. Dass diese Grundregel des Marketing für den Onlinehandel genauso gilt wie sonst auch, ist bei vielen Händlern noch nicht angekommen. Viele scheitern, weil sie den Kundennutzen insbesondere bei Rabattsystemen, Zahlungsmodalitäten und dem Retourenmanagement vernachlässigen.

Während der Markt für den Onlinehandel mit Büchern, CDs und Mode weitgehend gesättigt ist, steckt im Bereich Möbel und Wohnaccessoires großes Wachstumspotenzial, wie die Reichweiten- und Strukturdaten der AGOF-Studien auf Basis eines Multimethodenmodells belegen. Amazon beispielsweise hat das erkannt und sein Sortiment vor einiger Zeit um dieses Segment erweitert. Deutschlands bekannteste Internetinvestoren, die Samwer-Brüder, bieten über Home24 versandkostenfreies Mobiliar an und werben bei den Privatsendern mit frechen Sprüchen für ihr neues Projekt.

Auch für kleinere Händler, die in der Regel nicht über den Preis punkten können und kein großes Werbebudget zur Verfügung haben, sondern auf Nischenprodukte und Kundenservice setzen, bietet der E-Commerce ganz neue Möglichkeiten. Sie müssen keine teuren Ausstellungsflächen mieten und können den Artikel ohne teure Zwischenschritte direkt vom Hersteller versenden lassen. Dieser wiederum kann unter Umständen sogar „on demand“ arbeiten. Gerade aufgrund ihrer geringen Größe können sich kleinere Anbieter daher besser spezialisieren, Trends mitnehmen, schnell und flexibel auf Kundenwünsche reagieren und mehr Service bieten als die Großen.

Mixed reality: Sinneswahrnehmung erweitern, Qualität und Lebensgefühl präsentieren
Für den Bereich Möbel besteht die Herausforderung darin, relativ unbekannte, unter Umständen hochpreisige Produkte umfassend und ansprechend zu präsentieren. Die fehlende Haptik, das wohl größte Manko beim Internetshopping, muss dabei über hervorragende Produktfotografie, nach Möglichkeit aus verschiedenen Perspektiven, und mit einer Zoomfunktion kompensiert werden. Der Webshop kann sogar einen Mehrwert gegenüber dem Möbelhaus bieten – Stichwort „augmented“ oder „mixed reality“: Dadurch besteht die Möglichkeit, ein Bild der eigenen Wohnung hochzuladen, um mit einem Klick virtuelle Elemente, beispielsweise das neue Sofa, einzufügen, um zu sehen, wie es hinein passt.
Zusätzlich ist eine Bemusterung, also das Verschicken von Stoff oder Materialproben sinnvoll. Neben den technischen Details, wie Angaben zu den Maßen und den verwendeten Materialien empfiehlt es sich vor allem für Anbieter von Nischenprodukten, das Hauptaugenmerk auf die Grundidee der Marke, die Philosophie des Designers, eventuell auch auf die Geschichte hinter dem Produkt zu richten. Diese Aspekte sollten in besonderem Maß den Aufbau und die Gestaltung des Onlineshops bestimmen. So kann der Händler gleichzeitig die Qualität der Ware herausstellen und ein Lebensgefühl transportieren. Dem Shopping-Club Fab.com ist genau das gelungen. Die Design-Community setzt dabei auch stark auf Social-Media-Aktivitäten bei Facebook und Twitter. Hier werden Inhalte rund um Themen, die die Clubmitglieder interessieren, ausgetauscht und exklusive Angebote beworben.

Alle Kanäle gezielt nutzen
Geld für Werbung, Google Adwords oder Suchmaschinenoptimierung auszugeben und sich einen Account bei einem der sozialen Netzwerke anzulegen, reicht nicht für die Bestandskundenpflege. Um ein durchdachtes Gesamtkonzept entwerfen zu können, gilt es, die Zielgruppe klar zu definieren, entsprechende Studien zu Rate zu ziehen, Strukturdaten zu erheben, Reichweitenmessungen durchzuführen und Bilanzen zu erstellen.

Der Online-Optiker Mister Spex beweist, dass die Wachstumsraten im Web mit der richtigen Strategie erheblich sein können. Mittlerweile hat der Händler mehr als 500.000 Kunden und konnte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 26 Millionen Euro verzeichnen. Das Berliner E-Commerce-Unternehmen hat die Marke zuletzt intensiv beworben. Durch TV-Spots, die dem Kunden erklären, wie man eine Brille über das Internet kaufen kann, ist die Bekanntheit des Online-Händlers laut einer repräsentativen Umfrage von TNS Infratest im Dezember 2012 auf 45 Prozent gestiegen. Unterstützend hat dabei die verstärkte Kooperation mit lokalen Partneroptikern gewirkt, die bei Bedarf kostenlose Sehtests und Brillenanpassungen für Kunden des Online-Händlers vornehmen. Die Multi-Channel-Strategie ist offensichtlich ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Tatsächlich gibt es viele Ansatzpunkte zur Optimierung. Wichtig ist dabei vor allem, vom Kunden her zu denken und Servicefunktionen wie Rezensionen beziehungsweise ein Bewertungstool, Vorschläge wie „häufig gesucht“ oder „dazu passt“, Topseller, ähnliche Produkte und verschiedene Rabattsysteme anzubieten. Auch „Shop by look“ und Individualisierung, etwa über einen Konfigurator, sind ein großes Thema. Facebook und Twitter lassen Raum, um beispielsweise in einem Livechat oder über ein Assistenzsystem Fragen zu den Produkten zu stellen. Auch regelmäßige Newsletter sind eine Möglichkeit, wobei eine gezielte E-Mail im Rahmen des Kampagnenmanagements unter Umständen mehr Sinn macht.

Über Portalanbindung zusätzliche Reichweite gewinnen
Angesichts der Dominanz der großen Portale ist auch eine Anbindung kleinerer Shops verhalten positiv zu bewerten. Mit einer entsprechenden Schnittstelle kann sich der Hersteller oder Händler mit seinem Logo und seinen Produkten bekannter machen. Die Anbindung ist ein Weg, um sich schnell und ohne viel Aufwand eine große Käuferschicht zu erschließen und mehr Umsatz zu generieren. Für den Abverkauf von Restposten bietet sich insbesondere eBay an, da so auch Kunden angesprochen werden, die sonst nicht zur Zielgruppe gehören. Von Nachteil ist, dass sich anhand der Verkaufsdaten sehr schnell feststellen lässt, welche Produkte gut laufen. Das kann die Portalbetreiber dazu veranlassen, Konkurrenzprodukte aufzunehmen oder den Artikel selbst zu einem besseren Preis anzubieten.

Welcher Weg im Einzelnen eingeschlagen wird, um den Endkunden zu erreichen – ob ein Showroom beibehalten wird und in welcher Form Werbung zum Erfolg eines Unternehmens beitragen kann – ist natürlich eine Frage des Budgets und muss daher im Rahmen eines stimmigen Gesamtkonzepts auf der Ebene der Geschäftsführung entschieden werden.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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