Omni-Channel: Shoppen ohne Grenzen

Eine Studie zeigt, wie der neue Retailtrend den Einzelhandel verändert

Der Einzelhandel hat sich in den vergangenen fünf Jahren grundlegend gewandelt. Der E-Commerce hat den stationären Handel als Absatzkanal ergänzt und damit nichts weniger als eine Revolution ausgelöst. Auch das Selbstverständnis der Konsumenten hat sich inzwischen gewandelt: der „Always-on“-Konsument ist dank Laptop, Tablet und Smartphone potenziell ständig online und darum so gut über Produkte und Dienstleistungen informiert wie nie zuvor. Entsprechend hohe Erwartungen stellt er beim Einkauf. Gleichzeitig hat dieser neue, mündige Verbraucher eine große Macht: Kann ein Händler ein Produkt nicht liefern oder seine Preis- und Dienstleistungszusagen nicht einhalten, haben Verbraucher keine Scheu, bei einem anderen Händler zu kaufen und ihre schlechten Erfahrungen sofort online mit anderen Konsumenten zu teilen. Dass es für viele Einzelhändler ratsam ist, ihre Geschäftsprozesse und ihre Lieferkette so zu verändern, dass Kunden ein Produkt über verschiedene Kanäle beziehen können, ist schon länger bekannt – der Multi-Channel-Ansatz

Verglichen mit dem Multi-Channel, bei dem der Kunde eine Kaufentscheidung trifft, indem er sich nacheinander über verschiedene Kanäle – stationärer Handel, Versandhandel, Onlineshop etc. – informiert, geht der moderne Omni-Channel-Ansatz noch weiter. Der neue Omni-Channel-Konsument will die verschiedenen Informations- und Vertriebskanäle tatsächlich gleichzeitig und parallel nutzen können, so als seien diese Kanäle im Grunde gar nicht mehr getrennt: Omni statt Multi. Auch den traditionellen, stationären Einzelhandel zwingt dieser Trend zu drastischen Veränderungen.

Eine Studie hat den Stellenwert des Themas Omni-Channel und den Effekt des E-Commerce auf die Wertschöpfungskette im Einzelhandel näher beleuchtet. Die Studie aus dem Februar 2012 stammt von JDA Software Group, Inc. aus Scottsdale, Arizona, und von Kevin O’Marah, Senior Research Fellow des Stanford Global Supply Chain Forum. 100 Einzelhändler nahmen an der Umfrage teil und gaben Auskunft, wie E-Commerce sich auf ihre Wertschöpfungskette bereits ausgewirkt hat und sie derzeit weiter verändert.

Ergebnis 1: E-Commerce wird weiter wachsen

Ganz gleich, ob man Prognosen von JP Morgan, Gartner, Euromonitor oder Forrester heranzieht – die Analysten sind sich einig: E-Commerce-Umsätze werden auch in Zukunft kräftig wachsen. Betrachtet man die E-Commerce-Aktivitäten unterschiedlicher Arten von Retailern, ergeben sich interessante Trends. Händler, die traditionell durch kein stationäres Ladengeschäft eingeschränkt sind – also die, die ihre Produkte beispielsweise per Katalog, Fernsehen oder Telefon verkaufen –, passen sich den Besonderheiten des E-Commerce-Kanals sehr schnell an und generieren einen größeren Teil ihres Gesamtumsatzes durch E-Commerce-Aktivitäten. Für Betreiber herkömmlicher Ladengeschäfte bedeutet die Integration eines E-Commerce-Kanals dagegen eine größere Herausforderung. Während E-Commerce Kosten für Logistik, Vertrieb und Website-Wartung mit sich bringt, haben stationäre Einzelhändler es bisher mit Aufwendungen für Ladenmiete, Inventar und Gehälter zu tun. Diese unterschiedlichen Kostenstrukturen führen auch zu verschiedenen Entscheidungen über Infrastrukturinvestition in Ladengeschäft und Lieferkette und zu unterschiedlichen Ansätzen bei Arbeitslöhnen, Transport und anderen variablen Kostenfaktoren.

Im Rahmen der Studie haben JDA und O’Marah die Händler befragt, wie sie den Betrieb ihres Ladengeschäfts darauf ausrichten wollen, verstärkt auch E-Commerce-Aktivitäten zu integrieren. Besonders interessant war die Frage, ob sie die Möglichkeit bieten wollten, ein im Web bestelltes Produkt aus dem Laden an den Kunden zu liefern oder das Produkt im Laden für die Abholung durch den Kunden bereitzulegen. Für mehr als die Hälfte ist es essenziell, dass Kunden ein online bestelltes Produkt prinzipiell auch im Laden abholen können, 34 Prozent glauben, dass dies schon bald alltäglich vorkommen wird, und 12 Prozent der Händler rechnen damit, die Abholung durch den Kunden in Zukunft zumindest gelegentlich anbieten zu müssen. Dagegen misst die Mehrheit der befragten Händler der Option „Online bestellen und aus dem Laden versenden“ derzeit weniger Bedeutung bei, wenngleich zwei Drittel der Meinung sind, dass sich auch dies in Zukunft, wenn die Retaillandschaft ihr Gesicht weiter verändert, zu einem normalen Vorgang entwickeln dürfte.

Bei einer kleineren Zahl an Lieferungen sind diese E-Commerce-Aktivitäten von stationären Händlern einfach umzusetzen. Aber für eine größere Zahl an Bestellvorgängen bedarf es einer größeren Lieferkette mit nahtlos integrierten und über das Web synchronisierten Prozessen. Zum einen gilt es natürlich, die physischen Voraussetzungen für Verpackung, Adressierung und Versand zu erfüllen oder – im Falle der Abholung – dem Platzbedarf im Laden und der Frage der Kundenbewegung durch das Geschäft Rechnung zu tragen. Zum anderen werfen diese E-Commerce-Optionen für den stationären Händler aber auch Fragen des Informationsflusses auf. Daten sind erforderlich, um den Verkauf korrekt abschließen zu können, den Kauf dem richtigen Kundenkonto in Rechnung zu stellen und die Transaktion vollständig nachvollziehbar abzuwickeln. All diese Daten müssen dafür stets über das Web, den physischen Point of Sale und über die zentrale Buchhaltung des Retailers hinweg nahtlos synchronisiert werden.

Ergebnis 2: die Markenloyalität verändert sich

Die befragten Einzelhändler waren völlig geteilter Meinung darüber, ob E-Commerce die Loyalität zu Herstellern und Händlern verbessert oder verschlechtert. Dabei ist E-Commerce unabhängig von Zeit und Ort und bietet noch etliche weitere Vorteile: eine größere Produktvielfalt, unterschiedliche Preise, Expresslieferungen, Großaufträge im Vergleich zu Einzelbestellungen, spezielle Onlineverkäufe und sogar Preisnachlässe für Kunden, die an einer Umfrage teilnehmen. 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Kunden von den konventionellen Händlern eine Anpassung von Produktvielfalt, Preisen und Sortimenten gemäß den Kundenwünschen erwarten. Das Beispiel Ikea hat gezeigt, dass Verbraucher zugunsten eines niedrigeren Preises bereit sind, auf Services wie Montage und Lagerhaltung zu verzichten. Doch ein solches Geschäftsmodell wirkt sich auf das gesamte Unternehmen aus – vom Einkauf über das Produktdesign bis hin zur Ladengestaltung. Im Gegensatz dazu haben aber Firmen wie Apple und Nike bewiesen, dass Kunden bereit sind, für Komfort und hochwertigen Service mehr zu zahlen. Auch dieser Ansatz wirkt sich auf Ladengestaltung und Lieferkette aus. Für eine gesunde Balance zwischen Angebot und Nachfrage wird es also auch im E-Commerce mehr brauchen als nur gute, lieferbare Produkte. Aspekte wie Verpackung, Bündelung von Bestellungen, Loyalität und Präferenzen bei der Lieferung gilt es ebenfalls zu berücksichtigen, um die neuen Konsumenten zufriedenzustellen.

Ergebnis 3: Einzelhändler müssen die neue Komplexität beherrschen

Möchten sich Einzelhändler auf diesen neuen Grad an Komplexität im Einzelhandel einstellen, ist es unerlässlich zu betrachten, welche Strukturen und Funktionen dem Wandel zugrunde liegen. 42 Prozent der Einzelhändler sind der Meinung, dass Lieferkette, Werbung und Filialbetrieb bis zu einem gewissen Grad miteinander verzahnt sein sollten. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer geht aber davon aus, dass diese Rollen prinzipiell voneinander getrennt bleiben werden, wenngleich sie stärker als bisher integriert werden müssen. Ein besonders entscheidendes Element ist die Integration von Ladengeschäft und Lieferkette. Einen Laden konventionell zu betreiben, ist einfach – eine Cross-Channel-Option anzubieten, ist dagegen riskant, solange man nicht genau weiß, welche finanziellen Aufwendungen damit verbunden sind: Kosten für Produktion, Verpackung, Dienstleistungsvereinbarungen, Finanzierung und Lieferung – und zwar nicht nur pro Stück, sondern auch als Bündel, denn in einem vollen Lieferwagen sinken die Kosten pro transportiertem Artikel. In der Vergangenheit konnte man kaum erwarten, dass eine Integration von Supply Chain und Ladengeschäft diese Information konsolidieren würde. Aber zuverlässige Prognosen in Sachen Cross-Channel-Kundennachfrage und eine optimierte Bestandsplanung auf allen Stufen der Lieferkette samt integriertem Transport werden in Zukunft über den Erfolg entscheiden.

Ergebnis 4: Einzelhändler brauchen eine neue Wertschöpfungskette

Einzelhändler stehen vor einer großen Herausforderung. Letztlich erwartet man von ihnen, dass sie ihre Wertschöpfungskette und alle damit verbundenen Prozesse neu gestalten. Aus dem Einzelhändler, der einen Kanal oder – im Multi-Channel-Ansatz – auch mehrere Kanäle bedient, wird eine einzige Organisation, die alle Kanäle bedient und die den Bedürfnissen des modernen Omni-Channel-Kunden Rechnung trägt. Egal wann und egal wo. Prozesse müssen darum umfassend integriert werden – von der Beschaffung bis zum Verkauf.

Die Revolution, die der E-Commerce ausgelöst hat und die vorläufig im Omni-Channel-Paradigma kulminiert, macht es für Retailer erforderlich, ihr Geschäft entlang der gesamten Wertschöpfungskette anhand der Kundennachfrage und der -bedürfnisse neu auszurichten – nicht nur an der Kasse im Laden, sondern an jedem webbasierten Point-of-Sale. Die Notwendigkeit, den mündigen Kunden zu verstehen, seinen Erwartungen zu entsprechen und seine Wünsche zu erfüllen, ist größer denn je. Kunden erwarten heute Einzelhändler, die genauso informiert und vernetzt sind wie sie selbst. Retailer können dies nur leisten, wenn sie den neuen Anforderungen an die gesamte Wertschöpfungskette Rechnung tragen. Ein Einzelhändler, der dies beherzigt, ist dafür gerüstet, in der E-Commerce-befähigten Einzelhandelswelt der Zukunft zu bestehen.

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