Es ist erst wenige Monate her, dass die lang ersehnte E-Commerce Richtlinie in Kraft getreten ist. Doch schon wird einer ihrer wesentlichen Eckpfeiler, das so genannte. Option-Out-Modell für e-mail-Werbung, wieder in Frage gestellt.
Wer glaubt, der Europäische Gesetzgeber würde die Entwicklung der New Economy fördern, indem er einheitliche und kalkulierbare Regelungen für den E-Commerce aufstellt, sieht sich in diesen Tagen enttäuscht. Es ist erst wenige Monate her, dass die lang ersehnte „Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“ (kurz „E-Commerce Richtlinie“) Anfang Juni 2000 in Kraft getreten ist. Doch schon wird einer ihrer wesentlichen Eckpfeiler, das sog. Option-Out-Modell für e-mail-Werbung, wieder in Frage gestellt.
Die E-Commerce Richtlinie vom 8. Juni 2000, deren Entwurf über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren immer wieder diskutiert und abgeändert worden war, regelt in Artikel 7 Abs. 2, unter welchen Voraussetzungen Online Direkt-Werbung in den EU-Ländern zulässig ist. Danach sind Werbemails grundsätzlich erlaubt. Der Versender muss lediglich sog. „Robinson-Listen“ beachten, in die sich jeder Nutzer eintragen kann, der von solcher Werbung verschont bleiben will.
Dieses als Option-Out-Modell bezeichnete Verfahren bringt für Online-Unternehmen große Vorteile. Sie können grundsätzlich jedermann mit ihrer Online-Werbung konfrontieren, ohne fürchten zu müssen, von den Betroffenen, Wettbewerbern oder von Verbraucherschützern abgemahnt und ggf. mit teuren und zeitaufwendigen Gerichtsverfahren überzogen zu werden.
Die einzige Ausnahme sind Internet-Nutzer, die sich auf einer speziellen Liste (sog. „Robinson Liste“) eingetragen haben. Erfahrungsgemäß ist dies aber ein verhältnismäßig geringer Teil der Bevölkerung, denn die Eintragung erfordert ein aktives Handeln des Betroffenen, das oft aus Unkenntnis, Bequemlichkeit oder Angst vor der Übermittlung sensibler Daten unterbleibt.
Allerdings entspricht das Option-Out-Modell der E-Commerce-Richtlinie nicht in allen EU-Ländern der Praxis. In Deutschland beispielsweise gilt bisher vielmehr nach der Rechtsprechung das sog. „Option-In-Modell“. Danach ist e-mail-Werbung grundsätzlich unzulässig, es sei denn, der Empfänger hat zuvor sein Einverständnis zur Übersendung erteilt oder unterhält eine laufende Geschäftsbeziehung zum Absender. Hieran konnte auch die E-Commerce-Richtlinie nichts ändern. Sie legt lediglich den Mindeststandard fest (Beachtung der Robinson-Liste) und hindert die einzelnen EU-Staaten nicht, auf nationaler Ebene strengere Regelungen zu treffen.
Es ist aber gleichzeitig nicht zu verkennen, dass die E-Commerce-Richtlinie einen erheblichen Druck auf diejenigen Staaten ausübt, die nach dem strengeren Option-In-Modell verfahren, denn Artikel 3 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie regelt das sog. „Herkunftslandprinzip“. Danach sind Online-Dienste grundsätzlich nur denjenigen gesetzlichen Regelungen unterworfen, die in dem Land gelten, in dem sie ihren Sitz haben. Ein englisches Unternehmen unterliegt damit beispielsweise im Hinblick auf seine Online-Werbung den liberalen Grundsätzen, die in seinem Heimatland gelten. Nach Umsetzung der E-Commerce Richtlinie würde dies auch dann gelten, wenn es seine Werbung in Deutschland plaziert, wo zur Zeit an e-mail-Werbung aber noch strengere Maßstäbe angelegt werden.
Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Es kommt zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU, weil Unternehmen aus Ländern mit strengeren Werbevorschriften, wie z.B. in Deutschland, sich an diese Regeln halten müssen. Und dies nicht nur im Inland, sondern nach dem Herkunftslandprinzip auch im Ausland. Die Benachteiligung ist also eine doppelte.
Vor diesem Hintergrund war eigentlich zu erwarten, dass die nationalen Gesetzgeber derjenigen Staaten, die das Option-In-Modell anwenden, unter Druck ihrer heimischen Online-Wirtschaft geraten und eine Liberalisierung hin zu Option-Out-Modell vornehmen würden. Umso erstaunlicher ist es, dass der EU-Gesetzgeber seine Meinung nun radikal zu ändern scheint und statt des Option-Out- das Option-In-Modell für e-mail-Werbung einführen will.
Am 12. Juli hat die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation vorgelegt. Nach Artikel 13 dieses Entwurfs soll künftig e-mail-Werbung an Privatpersonen (sog. Spamming) in den EU-Staaten nur noch dann zulässig sein, wenn der Empfänger zuvor seine Einwilligung hierzu erteilt hat. Empfänger solcher elektronischer Nachrichten sollen damit genauso geschützt werden wie im Falle von Faxnachrichten.
Im Ergebnis wird damit das Spamming verboten. Eine Ausnahme besteht nur in Bezug auf Teilnehmer, die vorher angegeben haben, dass sie unaufgeforderte Werbe-e-mails empfangen möchten. Zur Begründung dieser Abkehr vom Option-Out-Modell führt die EU-Kommission aus, dass 4 Mitgliedstaaten unerlaubte e-mail-Werbung bereits verboten hätten und ein fünftes Land dies demnächst tun wolle. In den meisten anderen EU-Staaten gäbe es Robinson Listen. Die unterschiedliche Behandlung des Spamming sei aus Sicht des Binnenmarktes nicht befriedigend. Da aus e-mail-Adressen oft nicht hervorgehe, in welchem Land der Empfänger wohnt, funktioniere ein System unterschiedlicher Regelungen im Binnenmarkt in der Praxis nicht. Ein harmonisiertes Verbot des Spamming würde dieses Problem lösen.
Hierzu ist zweierlei zu bemerken: Zum einen ist es zwar zutreffend, dass unterschiedliche Regelungen im Binnenmarkt zu Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Unternehmen der Mitgliedstaaten führen können. Es erscheint aber keinesfalls zwingend, dass deshalb in allen Ländern das Option-In-Modell eingeführt werden muss. Der europäische Gesetzgeber könnte ebenso gut darauf einwirken, dass alle EU-Staaten das Option-Out-Modell anwenden. Eine harmonisierte Erlaubnis wäre für die Entwicklung der New Economy sicherlich dienlicher, als das vorgeschlagene harmonisierte Verbot.
Zum anderen muss sich die EU-Kommission fragen lassen, wieso sie innerhalb weniger Wochen nach dem Inkrafttreten der E-Commerce-Richtlinie bis zur Vorlage des Richtlinienentwurfs über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation eine komplette Kehrtwende in einem für die New Economy so wichtigen Bereich vollziehen will. Die wirtschaftliche Erfahrung spricht eindeutig dafür, dass neue Geschäftsideen und Methoden nur dann eine Chance haben, wenn sie auch entsprechend vermarktet werden können. Die Kehrtwende zum Option-In-Modell bei e-mail-Werbungen würde hier zweifellos kontraproduktiv wirken. Dies gilt umso mehr, als das EU-Gebiet nur einen Teil des Marktplatzes der New Economy darstellt. Andere Länder außerhalb der EU, insbesondere die USA und die immer wichtiger werdenden asiatischen Staaten, werden sich hiervon nicht beeindrucken lassen. Es steht daher zu befürchten, dass sich die Wende zum Option-In-Modell am Weltmarkt als kollektiver Nachteil aller EU-Mitgliedsstaaten auswirken wird. Daher bleibt zu hoffen, dass der Vorschlag der EU-Kommission nicht in die Tat umgesetzt wird, sondern es bei der Option-Out-Regelung der E-Commerce-Richtlinie bleibt.
Bei Fragen zu diesem Thema wenden Sie sich bitte an:
Dr. Fritjof Börner
Der Autor ist Rechtsanwalt beim OLG Köln und Partner der Andersen Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.