Soziale Netzwerke: Nur noch Netz?

Mit der Frage danach, ob Online-Communities eine geeignete Plattform für das Kundenmanagement sind, werden Unternehmen heute vermehrt konfrontiert. Zwar gewann das Internet bereits in der Vergangenheit zunehmend an Relevanz bei der Marketingplanung der Unternehmen, doch setzt man heute auch auf soziale Netzwerke, die zu langfristigen positiven Effekten in der Kundenbeziehung beitragen sollen. Zu beachten sind dabei unter anderem Aspekte der Kunden-Gerechtheit.

Der Einsatz von Web 2.0-Tools im Kundenmanagement wird zunehmend zu einem relevanten Aspekt der Marketingplanung von Unternehmen. Insbesondere Online-Communities wecken durch die internationalen Erfolgsgeschichten eine hohe Erwartungshaltung bei Unternehmen. Denn diese erwarten sich durch soziale Netzwerke einen positiven Effekt auf die Loyalität ihrer Kunden. Die Bandbreite reicht dabei vom Engagement in bestehenden Communities bis hin zu eigens geschaffenen virtuellen Gemeinschaften rund um eine Marke oder ein Produkt. Doch inwiefern profitieren Unternehmen tatsächlich von derartigen Aktivitäten und welche Erfahrungswerte gibt es hinsichtlich des Nutzens von Communities?

Zunächst erfordert die Beantwortung dieser Frage einen Blick auf die Funktionsweise und Wirkungsmechanismen der sozialen Netzwerke oder Communities. Communities sind soziale Systeme, deren kollektive Identität sich aus einem oder mehreren gemeinsamen Bezugsobjekten wie beispielsweise Produkt, Marke oder Unternehmen bildet. Die Anzahl der Bezugsobjekte kann durchaus auch ansteigen und die Community damit eine heterogene Gruppe werden. User eines heterogenen Netzwerks wie MySpace verhalten sich dort völlig anders als Nutzer von themengebunden Plattformen wie zum Beispiel Urbia.de, auf der Fragestellungen rund um Schwangerschaften erörtert werden. Communities unterscheiden sich zudem durch das Level an User-Aktivität und –Interaktion. Facebook, StudiVZ, etc. generieren durch die User-Bereitschaft zur (detaillierten) Selbstauskunft viel Content.

Jedem dieser Netzwerke liegen eigene Strukturen, Regeln und Werte zugrunde und ihre Ausprägung im Hinblick auf Größe und Interaktionsintensität ist darüber hinaus sehr heterogen. Communities zeichnen sich durch das fokussierte Interesse an einem Thema, die Synthese von Inhalten und Kommunikation, den kollektiven Wissensaustausch sowie die Nutzung konkurrierender Quellen aus.

Communities bieten Usern Vorteile, die sich Unternehmen zu Nutze machen können
Um den Nutzen für Unternehmen ermitteln zu können, ist es notwendig, die Vorteile aus Konsumentensicht zu verstehen. Aus dieser Perspektive dienen Communities der Kontaktpflege sowie dem Ausbau des persönlichen Netzwerks und besitzen deshalb für die User eine hohe Alltagsrelevanz. Zudem ist die Teilnahme in offenen Communities in der Regel sehr einfach, kostenlos und unverbindlich. Die soziale Komponente von Communities ist meist sehr stark ausgeprägt, da sich User innerhalb des Netzwerks gegenseitig helfen und der Gemeinschaft Informationen ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen. Dies bedeutet jedoch auch, dass soziale Netzwerke von der Partizipation der User leben. Die Informationen in der Community sind deshalb stark durch deren Nutzer geprägt. Hieraus ergibt sich für Unternehmen ein entscheidender Vorteil: Über die sozialen Netzwerke können Marktteilnehmer eine Vielzahl an Informationen über ihre Kunden sammeln und diese sowohl kurz- als auch langfristig für ihr Kundenmanagement nutzen. Communities stellen somit ein ideales Marktforschungstool dar, das im Gegensatz zu klassischen Erhebungsmethoden wie Fokusgruppen nicht mit der Schwierigkeit sozial erwünschter Antworten oder vorgegebener Fragestellungen konfrontiert ist. Mitglieder einer Community können deshalb als wertvolle Quelle für Produktentwicklung und Verbesserungspotentiale genutzt werden. Beispielsweise brachte die „IdeaStorm Community“ des Computerherstellers Dell bereits hunderte Ideen zur Weiterentwicklung der Produkte hervor, die von Usern veröffentlicht wurden.

Die durch soziale Netzwerke generierten Informationen sollten allerdings kritisch geprüft und lediglich als Ergänzung klassischer Marktforschungsmethoden betrachtet werden. Communities bilden die Meinungen gewisser Stakeholder des Unternehmens durchaus authentisch ab, diese Art von Informationen ist jedoch nicht als repräsentativ anzusehen. Darüber hinaus können auch Prozessschritte, die der eigentlichen Wertschöpfung nachgelagert sind, mit Communities optimiert werden. So kann über Communities ein völlig anderes Niveau an Feedback erzielt werden als dies auf üblichen Kanälen wie Service Center möglich ist. Die über das soziale Netzwerk generierten Daten können dann im Nachgang zur Kundensegmentierung sowie zur kundenindividuellen Zielgruppenansprache in Kampagnen genutzt werden. Da die User sozialer Netzwerke sehr eng vernetzt sind, können Botschaften innerhalb der Community schnell verbreitet werden. Das „Word-of-Mouth“-Potential von Communities bietet Unternehmen deshalb ideale Voraussetzungen, um kommunikative Botschaften zielgerichtet, effektiv und dialogorientiert einzubringen: Felix Ahlers, Vorstand Marketing und Vertrieb der FRoSTA AG, kommunizierte zum Beispiel als einer der ersten Vertreter einer bekannten Marke über einen Blog mit seinen Kunden. Nach der Einführung des FRoSTA Reinheitsgebots testete er diesen direkten Kanal zum Kunden – und das mit großem Erfolg. 6000 Besucher am Tag und bis zu 350 Kommentare pro Beitrag sprechen für sich. FRoSTA entwickelte auf diesem Weg ihre Unternehmenskommunikation weiter hin zum Kundendialog.

Ein großes virales Potential – für alle?
Communities stellen für Unternehmen eine interessante Möglichkeit dar, umfangreiches und qualitativ hochwertiges Kundenwissen zu generieren und zielgruppenspezifische Dialogmaßnahmen zu betreiben. Marktteilnehmer sollten sich jedoch der Herausforderungen, mit denen sie angesichts der Komplexität der sozialen Netzwerke konfrontiert sind, bewusst sein. Experten nehmen an, dass 50 Prozent der Unternehmen, die eine Community errichtet haben, innerhalb der nächsten zwei Jahre an der Herausforderung scheitern werden, den Usern relevante Mehrwerte zu bieten.
Hiervon sind vor allem künstlich konstruierte und betreute soziale Netzwerke betroffen, die zwar mit wechselnden Marketingmaßnahmen neue Besucher anziehen, jedoch nicht in der Lage sind, eine echte Gemeinschaft zu schaffen. Denn Communities entstehen idealerweise aus dem Engagement der Nutzer. Unternehmen sollten bestenfalls eine unterstützende Rolle einnehmen, wobei die sozialen Netzwerke bewusst unkommerziell gehalten werden.

Wenn der gebotene Mehrwert ein Faktor für den Erfolg künstlich errichteter Communities ist, gilt es darauf zu achten, dass der versprochene Nutzen der Bedürfnispyramide der User gerecht wird. Dieser darf dem Nutzer nicht eine alternative Form der Bezahlung suggerieren, da ansonsten gerade diejenigen Personen ihr Engagement (gänzlich) einstellen, die wichtig für eine lebendige und glaubwürdige Community sind. Denn: Diese Personen engagieren sich im Netz, weil sie sich für die Gemeinschaft einsetzen – auch, um die damit einhergehende soziale Anerkennung zu erhalten. Diese Motivation sollten Unternehmen unbedingt bei ihren Planungen honorieren und das Engagement der User ernst nehmen. Wenn dies nicht gesichert ist, entstehen Pannen, die sich oft wie ein Lauffeuer verbreiten und entsprechend breit in den Medien gestreut werden.

Wenn Unternehmen Communities oder soziale Netzwerke initiieren und über diesen Kanal den Nutzern beispielsweise Content zur Verfügung stellen, so muss dieser exklusiv oder auf die Lebens- und Produktphasen der User zugeschnitten sein. Nur so wird gewährleistet, dass dauerhaft ein Mehrwert für die Nutzer geschaffen wird und „Lust auf mehr“ entsteht. Der Kunde – seine Erfahrungen und Wünsche – sollte die strategische Ausrichtung beeinflussen.

Doch nicht nur vom Unternehmen bereitgestellte Informationen können wertvoll für den Kunden sein. Auch an dem Begriff User Generated Content kommt man nicht mehr vorbei. Für den Kunden ist es zum Teil schon selbstverständlich geworden, die eigene Meinung oder Bewertungen abzugeben. Doch: Offen Kritik von Kunden zu zulassen, stellt für viele Unternehmen eine Überwindung dar.
Doch genau hier liegt viel Potenzial. Chancen wie Trendscouting und die Nutzung der Schwarmintelligenz zur Produktentwicklung ermöglichen es, die Bedürfnisse der Kunden zu identifizieren und zu verstehen. Der Kaffeebohnenröster Tchibo bietet seinen Kunden beispielsweise die Möglichkeit auf tchibo-ideas.de Ideen für neue Produkte vorzustellen und bewerten zu lassen. Auf diese Weise kann direktes Feedback vom Markt in die Unternehmensentwicklung einbezogen werden, was den Vorteil einer konsequenten Marktausrichtung nach sich zieht. Allerdings sollten Unternehmen nicht den hohen (Daten-) Pflegeaufwand unterschätzen.

Auch Real setzt auf das Engagement seiner Kunden. Auf Familymanager.de können die User Online-Coupons abrufen, für die es beim Einkaufen Punkte des Multipartnerprogramms Payback gibt. Ferner bietet Real Kunden die Möglichkeit, sich in Foren zu beteiligen und dafür ebenfalls Payback-Punkte zu kassieren. Abgerundet wird familymanager.de durch den Community-Gedanken, dass Mitglieder sich mit Ideen, Rezepten und anderen Beiträgen beteiligen.

Social Media Plattformen und virale Kommunikation
Kundenengagement ist eine feine Sache – denken viele Unternehmen. Bevor der Kunde jedoch seine Meinung oder Bewertung äußern kann, muss ihm ein geeignetes Umfeld zu Verfügung gestellt werden. Neben Blogs, Foren und Communities gewinnen Social Media Plattformen immer mehr an Bedeutung. Weg.de zum Beispiel bietet ihren Nutzern die Möglichkeit Bewertungen zu ihrem Urlaub abzugeben. Kunden können so ihrem Ärger oder ihrer Zufriedenheit schnell Ausdruck verleihen. Dabei wirkt die Bewertung sehr authentisch, da auch freie Kommentare zugelassen werden. Diese unzensierte Kommunikation auf Augenhöhe gibt dem Konsumenten nicht nur das Gefühl ernst genommen zu werden. Dem Interessenten eines Reiseangebotes wird zusätzlich ein Mehrwert zur Verfügung gestellt, da ohne weiteres Suchen Informationen über die Qualität der Leistung bereitgestellt werden.

Die Potentiale für Unternehmen durch Plattformen, die User Generated Content ermöglichen, variieren je nach Branche. So werden diese Plattformen im Netz derzeit nur von wenigen Banken ausgenutzt – eine echte Kommunikation zwischen Bank und Kunde über Webblogs, Communities oder Live Chats findet nur vereinzelt statt. Der Grund für die Zurückhaltung dürfte neben dem hohen redaktionellen Aufwand und dem schwer bezifferbaren betriebswirtschaftlichen Nutzen vor allem in den ungeklärten Reputationsrisiken liegen. Und doch finden die Kunden, die ihre Meinung nicht direkt der Bank gegenüber kund tun (können), spätestens ein paar Klicks weiter in Communities oder anderen sozialen Netzwerken eine Möglichkeit, ihre Kritik zu äußern.
Comdirekt zeigt jedoch, dass es auch anders geht. Die Bank bietet ihren Kunden auf ihren Internetseiten ein Forum an, um Meinungen rund um das Thema Finanzen mit anderen Nutzern auszutauschen. Gleichzeitig können die Teilnehmer Lob und Kritik platzieren und Verbesserungen vorschlagen. Auf diese Weise erfährt Comdirekt schnell, was die Kunden bewegt und schafft sich damit die Möglichkeit, zu reagieren. Kunden können auf diese Weise in die Wertschöpfungskette der Bank integriert werden; zum Nutzen der Bank. Eine genaue Analyse der von den Kunden geäußerten Ansichten und Beiträgen ermöglicht es zudem, gezielte Maßnahmen zu starten beziehungsweise die Qualität von Produkten und der Kundenbetreuung zu verbessern. Auf dieser Basis gewonnene Informationen ermöglichen den Aufbau eines Wissenspools für Mitarbeiter und Kunden.

Ausblick: Nur noch Netz – oder cleverer Kanalmix?
Wie eine aktuelle Studie belegt, werden sich bis 2010 über 60 Prozent der Fortune-1.000-Unternehmen in Online-Communities engagieren. Unternehmen sind vor diesem Hintergrund zunehmend damit konfrontiert, über den Einsatz von sozialen Netzwerken im Rahmen ihres Kundenmanagements nachzudenken.
Doch nicht nur das Engagement im Netz wird Unternehmen den gewünschten Erfolg bringen. Die Vernetzung der Kanäle zum Kunden wird zur Kernaufgabe des Marketing – mit klaren Zielen: Ein nachhaltiger, integrierter und crossmedialer Maßnahmeneinsatz soll ein einheitliches Unternehmensbild vermitteln – eben auch in den Communities, in denen Kunden aktiv die Möglichkeit haben, den Dialog mit dem Unternehmen zu führen.

Eine vernetzte Kampagne, die auch die Kanäle im Internet berücksichtigt, fördert durch eine konsistente und offene Kommunikationspolitik den Beziehungsaufbau zum Kunden. Unternehmen bzw. ihre Marken profitieren durch neue oder erhöhte Vertriebschancen. Coca Cola hat dies mit der Weihnachtskampagne 2008 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Um solche Erfolge zu realisieren, sollten Experten, die sich mit den Besonderheiten der Kanäle, Technologien, dem Datenschutz und der Lebenswelt der Kundensegmente auskennen, in die Konzeption eingebunden werden. Schließlich steigt die Komplexität des Web2.0 stetig an. Aber es ist möglich, Communities in die bestehenden Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen einzubinden und dieses Engagement im Sinne eines ganzheitlichen Kundenmanagements effizient zu nutzen. Das trägt zu langfristigen, positiven Effekten in der Kundenbeziehung bei.

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