Staatsgrenzen mit einer starken Marke zu übertreten ist ein gewagtes Vorhaben. Das Stichwort heißt Emotionen, denn eine emotionale Verankerung im Zielland führt zum Erfolg. Es bringt aber nichts, über eine Me-too-Strategie ausschließlich die gleichen Werte zu besetzen wie etablierte Wettbewerber. Unternehmen sollten die Marketing-Landschaft analysieren und sich entsprechend anpassen. Wichtig ist dabei auch im Ausland eine gekonnte Marktsegmentierung, um potentielle Kunden gezielt anzusprechen.
Die Nicht-Rationalität der Entscheidung und die Dominanz des Impliziten
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Emotionen und dem Kaufverhalten? Kaufentscheidungen werden doch bewusst, den eigenen Nutzen optimierend und rational getroffen? Nein, tatsächlich ist der rationale und sich bewusst entscheidende ökonomische Akteur eine bloße, unzulässig vereinfachende Arbeitsannahme der Ökonomen. In den letzten beiden Jahrzehnten haben vielfältige Experimente die Funktionsweise bei Entscheidungen näher beleuchtet. Menschen tendieren in einem nicht rational erklärbaren Maß zur Verlust-, Risiko- und Ungewissheitsvermeidung. Auch tendieren sie dazu, Entscheidungen nach dem entsprechenden Situationsrahmen – dem Konzept des Framing – zu treffen.
Zwei entscheidungstreffende Systeme im Gehirn: Implizit und Explizit
Das explizite System ist das uns bekannte, kontrollierende Bewusstsein, das rational – auf der Basis analytischer Fähigkeiten – Entscheidungen trifft. Was ist dann das implizite, entscheidungstreffende System? Es ist ein System, welches in unserem Gehirn automatisch entscheidungsfindende Prozesse ablaufen lässt, die schneller als bewusste Erwägungen ablaufen. Wir Menschen haben keinen bewussten Zugang zu diesen Prozessen und damit auch keine Kontrolle über sie. Wie funktioniert dieses implizite System? Tatsächlich arbeitet, wie beschrieben, der Grossteil des impliziten Steuerungssystems außerhalb der Wahrnehmung. Studien belegen, dass 95% unserer Entscheidungen unterbewusst, also durch das implizite System getroffen werden.
Für den Inhaber einer starken Marke kann es also durchaus strategisch sinnvoll sein, sich der Vergleichbarkeit der Produkte zu entziehen. Eine höhere Komplexität der Entscheidung schwächt die Position des Bewusstseins und stärkt über das implizite System die Marke als Entscheidungskriterium bei der Auswahl.
Die Ergebnisse sind überraschend, weil die Bedeutung des Bewusstseins von uns Menschen anders eingeschätzt wird. Da wir mit unserem Bewusstsein nur die Spitze des Eisberges, nämlich das explizite Entscheidungssystem, subjektiv erfahren, überschätzen wir automatisch die Wichtigkeit dieses Systems und damit die Wichtigkeit der bewussten Kontrolle und Entscheidung.
Unterschiedliche Bewertungen und Entscheidungen nach Kultur, Geschlecht und Alter
Kulturell unterscheiden sich nicht nur die Bedeutung von interpretierten Mustern, wie Helden oder Symbolen, sondern auch die Wichtigkeit der Motivsysteme. Auch das Alter hat einen wesentlichen Einfluss auf die emotionale Orientierung und die Entscheidungsfindung in unserem Leben. Das im Alter stark vermehrte Auftreten des Stress- und Angsthormons Cortisol bedingt eine Abnahme der Stressresistenz. Das fördert sicherheitsbewusste Entscheidungen, wie z.B. im Mobilfunk in eine erhöhte, angeforderte Qualität der Dienste.
Eindeutig ist auch der Zusammenhang zwischen der Konzentration des stimulierenden Dopamins und der Innovationsfreudigkeit, bzw. der Nutzung von innovativen Produkten. Je älter ein Nutzer ist, desto seltener wird er innovative Dienste nutzen. Solch altersbedingte Ausprägungen des Nutzungsverhaltens im Mobilfunk sind eindeutig belegt.
Als Konsequenz daraus nutzen Mobilfunkanbieter das Kriterium Alter und die damit einhergehenden Hormon- und Verhaltensänderungen schon lange zur Marktsegmentierung.
Case Study: Export einer emotionalen Positionierung
Was für Erkenntnisse lassen sich für die Positionierung einer international erfolgreichen Mobilfunkanbieter-Marke in einem bedeutenden Emerging Market gewinnen? Mit dem Wissen über die Funktionsweise und Wichtigkeit des impliziten Systems bei der Entscheidungsfindung, der Kenntnis der lokalen, kulturellen Bedingungen und den Erkenntnissen zum internationalen Markenmanagement lassen sich nützliche Empfehlungen ableiten.
Zunächst ist die Positionierung der internationalen Marke auszuarbeiten. Wie beschrieben können dabei Elemente des Markenauftritts in das Zielland übertragen werden. Die Konsistenz der Marke im internationalen Auftritt ist zu beachten, aber auch die lokale Relevanz. Die ‚importierten’ emotionalen Zielwerte der internationalen Marke versprechen dem Konsumenten eine Belohnung. Diese Belohnung ist im nationalen Kontext zu analysieren. Die emotionalen Zielwerte sind in diesem Beispiel Energie, Offenheit, Optimismus, Fürsorge, Einfachheit, Verlässlichkeit und Möglich-Machen. In der Herkunftsregion erlauben sie eine solide Markenpositionierung als ehemaliger monopolistischer Anbieter. Was bedeutet das? Viele Werte sind durch Ex-Monopolisten glaubhaft nicht zu besetzen. Besonders Werte aus dem Bereich „Stimulanz“ und „Abenteuer“ passen nicht zu Ihnen. Ex-Monopolisten bringen nicht neuen Schwung und das Gefühl des Umbruchs in den Markt, sondern pflegen das wenig aufregende, konservative aber leistungsstarke Bild des Anbieters der schon immer da war. Demnach wird bei der Markenpositionierung von ihnen das Balance- und das Dominanz-Motivsystem angesprochen. Wie wichtig sind die genannten emotionalen Werte im neuen Markt? Auf die kulturellen Unterschiede bei der Wichtigkeit von Motivsystemen und deren Werte wurde hingewiesen. Zunächst wird demnach die Relevanz der Werte für die lokale Zielbevölkerung analysiert. Es zeigt sich, dass die Relevanz der durch die internationale Marke oktroyierten Werte für den Großteil der Bevölkerung des Ziellandes gegeben ist.
Zweiter sein ist zu wenig!
Funktioniert diese emotionale Positionierung auch als Neueinsteiger gegenüber dem Wettbewerb? Dazu muss die Positionierung der Wettbewerbermarken hinsichtlich impliziter Bedeutungen und Belohnungsversprechen analysiert werden. Im Gehirn herrscht ein Schubladendenken. Eine Schublade wird eingerichtet für eine Produktkategorie, die wiederum dominiert wird von einer Marke.
In der Schublade ‚mobile Kommunikation’ tritt die neue Marke gegen die der etablierten Wettbewerber an. Jeder dieser Wettbewerber hat seine Marke emotional aufgeladen, verspricht dem impliziten System Belohnung bei einer Entscheidung für sein Produkt. Bei neurowissenschaftlichen Studien ist aufgefallen, dass nur die bevorzugte Marke – die erste Wahl – einen kortikal entlastenden Effekt ausgelöst hat. In der Schublade liegt die bevorzugte Marke wie ein Blatt Papier oben auf, der Käufer sieht es zuerst und greift zu, beziehungsweise trifft die Entscheidung, aber das darunterliegende Blatt ist verdeckt und relativ unwichtig. Nur die Erst-Wahl-Marke beeinflusst nachweislich die Kaufentscheidung. In der Schublade Zweiter zur werden ist unwichtig. Auch ist nachgewiesen worden, dass die Markenpräferenz zeitlich ziemlich stabil ist. Hat sich eine Marke im impliziten System als belohnend positioniert, so ist die Verdrängung dieser Marke nur unter großem Aufwand möglich.
Was bedeutet das für unsere Markenpositionierung?
Me-too-Strategie bringt Misserfolg! Eine Differenzierung ist unabdingbar!
Zunächst bringt es dem Neueinsteiger nichts, über eine Me-too-Strategie emotional ausschließlich die gleichen Werte zu besetzen wie etablierte Wettbewerber. Dem Konsumenten werden in dem Fall keine neuen oder besseren potenziellen Belohnungen in Aussicht gestellt. In diesem Falle dominiert die zeitliche Stabilität der ursprünglich bevorzugten Marke.
Das Belohnungsversprechen muss schon eine erhebliche Verbesserung in Aussicht stellen, um die Markenpräferenz zu ändern. Eine differenzierte Positionierung auf der Wertelandkarte ist notwendig. Auch können emotionale Werte wie Tradition, Verlässlichkeit und Treue durch einen Neueinsteiger, aufgrund seiner noch kurzen Präsenz im Markt und seines innovativen Charakters, nicht glaubhaft besetzt werden.
In Bild 1 dargestellt ist die Positionierung der Marken der drei relevanten Wettbewerber im zu penetrierenden Mobilfunkmarkt; zugleich abgebildet ist die interpretierte Wahrnehmung der emotionalen Werte der Marke des neuen Anbieters durch die Bevölkerung. Die Darstellung veranschaulicht die Komplexität der Positionierungsaufgabe. Es besteht wenig Spielraum zu einer differenzierenden Aufstellung, wenn man alleine den emotionalen Werten der internationalen Marke folgt.
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Auch wenn eine internationale Marke über ein vor kurzem akquiriertes, in einem nationalen Markt etabliertes Unternehmen gestülpt wird, ist die Herausforderung für das Markenmanagement groß. Im schlimmsten Fall ist die emotionale Position der ursprünglichen Marke entgegengesetzt zum Schwerpunkt der neuen Marke. Das bedeutet, Bestandskunden würden sich aufgrund ihrer emotionalen Wertepräferenz von der neuen Marke abgestoßen fühlen. In einem ersten Schritt wird deshalb häufig der ursprüngliche Schwerpunkt der emotionalen Positionierung belassen.
Konsistenzgebot verbietet ein Babel der emotionalen Positionierungen unter einer Marke
In Bild 2 ist die emotionale Wertepositionierung der Marke eines international operierenden Mobilfunkunternehmens in den zugehörigen Landesgesellschaften dargestellt. Der emotionale Schwerpunkt der Positionierung der Landgesellschaften resultiert aus der Historie.
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Ein solches Babel der Wertepositionen in unterschiedlichen Landesgesellschaften darf unter einer internationalen Marke nicht bestehen bleiben. Sonst wäre die Konsistenz der internationalen Marke verletzt und ihre Glaubwürdigkeit würde leiden, vor allem, falls sprachlich und kulturell wenige Barrieren zwischen den jeweiligen Ländern bestehen. Einer intensiven nationalen Analyse muss in diesem Fall die Ausarbeitung einer international gewünschten emotionalen Soll-Positionierung der Marke folgen. Anschließend sind auf nationaler Ebene Migrationsstrategien für die emotionale Positionierung auszuarbeiten, um die Synergiemöglichkeiten, die eine international angewendete Marke mit sich bringt, tatsächlich in vollem Umfang zu realisieren. Negative Folge einer radikalen Migration ist unweigerlich ein Verlust an Bestandskunden.
Ziel muss sein, dass die Markenessenz einer internationalen Marke eine relevante emotionale Verbindung zu Konsumenten über Staatsgrenzen hinweg schafft. Ist die Markenessenz konsistent und glaubwürdig, so besteht Spielraum für kleinere Anpassungen der Positionierung in einem lokalen Markt.
Ist die Markenzielposition mit den erwünschten Belohnungsversprechen definiert, so werden im nächsten Schritt unter Beachtung einer gegebenenfalls notwendigen Migration die Markenbotschaften ausgearbeitet, um sie an die Zielsegmente zu kommunizieren.
(Dies ist der dritte und letzte Teil unserer Artikelreihe zum Thema „Internationale Markenpositionierung“. In Teil eins und zwei wurden die Relevanz von starken Marken sowie die Internationalisierung und der Export von Marken diskutiert.)