Die werbefinanzierten Fernsehsender in Deutschland stehen unter akutem Handlungsdruck. Zwar hat sich der Werbemarkt stabilisiert, er wird in den kommenden Jahren jedoch nicht signifikant wachsen. Moderne Endgeräte machen den Zuschauer mündiger und schränken die Werbeeffektivität zunehmend ein. Telekommunikations- und Kabelunternehmen drängen in den Fernsehmarkt und machen den TV-Sendern deren Kerngeschäft streitig. Gleichwohl behindert die nur langsam voranschreitende Digitalisierung die Privatsender in ihrem Bemühen, mit interaktiven Diensten zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen.
In ihrer aktuellen Studie „Quo vadis TV? – Entwicklungsperspektiven in Deutschland“ kommt Mercer Management Consulting zu dem Schluss, dass Kooperationen zwischen Netzbetreibern, Diensteanbietern und Medienhäusern unerlässlich sind, um der TV-Digitalisierung einen kräftigen Schub zu geben. Darüber hinaus sind Kooperationen für die Privatsender ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um den TV-Konsumenten mit attraktiven Inhalten und Mehrwertleistungen bedienen zu können und ihn sukzessive aus der Gratis- in die Bezahlkultur zu führen.
Im Jahr 2004 hat sich der Werbemarkt konsolidiert. Von 18 Milliarden Euro im Jahr 2000 haben sich die Werbeumsätze auf 14,3 Milliarden Euro stabilisiert. Die im Jahr 2000 geplatzte Werbeblase hat die deutsche Medienbranche nachhaltig getroffen und geschwächt. Die schon während des Hypes einsetzende Budgetverschiebung von klassischen zu nicht-klassischen Werbeträgern wie Online, Außenwerbung und Direct-Mail verschärfte sich in den Krisenjahren 2000 bis 2003 signifikant. TV, Kino, Radio und Zeitungen/Zeitschriften verloren an Werbeattraktivität und mussten zum Teil drastische Einbrüche bei den Werbeeinnahmen hinnehmen. Insgesamt gehen die klassischen Mediengattungen deutlich geschwächt aus der Medienkrise hervor. Dagegen verzeichneten die nicht-klassischen Werbeträger ein starkes Wachstum. In der Medienbranche beginnt eine nachhaltige Neuorientierung aller großen Werbetreibenden.
Zu den großen Verlierern gehörte in den Jahren der Werbekrise auch das Fernsehen. Bis zum Jahr 2003 fielen die Werbeeinnahmen jährlich um 6,8 Prozent auf 3,8 (2000: 4,7) Milliarden Euro. Erst im vergangenen Jahr stoppte die Talfahrt: Die Umsätze in Print-, TV-, Hörfunk-, Kino- und Internetwerbung stiegen gegenüber 2003 um 1,6 Prozent. Während die Onlinewerbung um 10 Prozent und die Hörfunkwerbung um 7 Prozent zulegten, wuchs die Fernsehwerbung lediglich um 1,3 Prozent auf knapp 3,9 Milliarden Euro. Parallel zum gesamten Werbemarkt für Medien konsolidierte sich laut Mercer-Studie auch der TV-Sektor. „Mehr als ein Lichtstreifen am Horizont ist das für die werbefinanzierten TV-Sender aber nicht“, betont Alexander Mogg, Partner und Medienexperte von Mercer Management Consulting. „Denn der gesamte Werbemarkt wird auch in den kommenden Jahren nur moderat wachsen.“ Die jährliche Zuwachsrate wird bis zum Jahr 2008, so die Prognose von Mercer, bei 2,8 Prozent liegen. TV wird mit erwarteten 2,9 Prozent nur unwesentlich über dem Durchschnitt liegen. „Außerdem“, fügt Mogg hinzu, „öffnet sich die Brutto-Netto-Schere der Werbeerlöse bei den Privatsendern immer weiter. Aktuell werden im Schnitt nur 50 Prozent der Bruttopreise umgesetzt. Es bleibt der Druck, sich aus der Werbeabhängigkeit zu lösen.“
Im Kerngeschäft droht Gefahr
Angesichts der Ertragsmisere im Werbemarkt haben die werbefinanzierten Fernsehsender begonnen, ihr Geschäftsmodell mithilfe neuer Dienste und der Nutzung unterschiedlicher Verwertungsplattformen zu diversifizieren. So schaffte RTL eine Multiplattform-Vermarktung seines Formats „Deutschland sucht den Superstar“. Die populäre Eigenproduktion lockte Millionen Zuschauer an den Bildschirm, die eigens kreierte Homepage animierte zum Besuch im Internet, über das Handy waren Downloads und Chats möglich. Über den Handel wurden CDs und DVDs vertrieben. Weit reichende Kooperationen innerhalb und außerhalb der Bertelsmann-Gruppe trugen wesentlich zum Erfolg bei.
Derzeit beläuft sich der Anteil der Nicht-Werbeumsätze bei RTL auf 17 Prozent. Bei der ProSiebenSat.1-Gruppe sind es 8 Prozent, als Zielmarke sind 25 Prozent ausgegeben. In welcher Größenordnung sich Diversifikation erfolgreich bewegen kann, zeigen der französische Musiksender M6, der bei den nicht-werbefinanzierten Umsätzen derzeit auf 54 Prozent kommt, oder die britische BBC mit einem Anteil von 30 Prozent. „Deutsche Fernsehsender stehen beim Aufbau zusätzlicher Geschäftsfelder noch am Anfang“, konstatiert Medienexperte Mogg. „Doch auch sie können in den kommenden Jahren in angrenzenden Segmenten wie Merchandising, Online oder Mobilfunk immer mehr Wachstum unabhängig vom Werbemodell erzielen.“ Gleichzeitig aber warnt er: „Ihr Kerngeschäft dürfen sie dabei nicht vernachlässigen. Dort nämlich nimmt der Wettbewerbsdruck drastisch zu. Es gilt, neben den aktuell entstehenden neuen Werbeformen populäre Formate zu entwickeln und attraktive Inhalte sowie Mehrwertleistungen für den TV-Konsumenten anzubieten.“
In den DSL-Markt kommt Bewegung
Breitbandnetze, allen voran DSL, werden sich laut Mercer zu einer ernsthaften Alternative zu Kabel und Satellit entwickeln. Zunehmend Gefahr droht dem Kerngeschäft der TV-Sender deshalb durch die Triple-Play-Strategien von Festnetzbetreibern wie der Deutschen Telekom oder Onlinegrößen wie AOL. Ihr erklärtes Ziel ist es, neben Telefonie und Internet auch das Fernsehen zu erobern. Damit treten sie zunehmend in Konkurrenz zu den klassischen TV-Anbietern: um Zeit und Geld der Zuschauer und um die Topinhalte. Die komfortable und benutzerfreundliche Einbindung von Fernsehen in eine interaktive, internetbasierende Umgebung liegt nahe, wenn man das Ziel verfolgt, die Attraktivität des Breitbandanschlusses und die Kundenbindung an den Anbieter zu erhöhen. Noch allerdings gehört Deutschland hinsichtlich Breitbandpenetration mit zuletzt 18 Prozent (Spitzenreiter Niederlande: 45 Prozent) zu den Schlusslichtern in Westeuropa. Erst im Jahr 2010, so die Mercer-Studie, wird Deutschland mit 44 Prozent einen Platz im oberen Mittelfeld belegen. Zudem stießen alle bisherigen Versuche, netzbasierende Interaktivität auf den Fernsehschirm zu bringen, aufgrund der bislang hochpreisigen Endgeräte auf wenig Akzeptanz beim Verbraucher. „Was fehlt, ist der Durchbruch auf breiter Front“, so Mogg.
Mangelnder Wettbewerb um Breitbandkunden ist einer der Hinderungsgründe. Doch die DSL-Vorherrschaft der Deutschen Telekom, die den deutschen Breitbandmarkt mit einem Anteil von zuletzt 83 Prozent bei den Anschlüssen unangefochten dominiert, beginnt zu bröckeln. Durch die Einführung ihres Resale-Angebots im vergangenen Jahr hat sich der Wettbewerb überregional wie regional verschärft, und er wird weiter forciert, wenn die T-Com am 1. Juli 2005 T-DSL 6000 zum Preis des bisherigen 3-Mbits/s-Anschlusses auf den Markt bringt. Dramatisch sinkende Preise und immer höhere Bandbreiten zeigen deutlich, dass der Breitbandanschluss zum austauschbaren Massenprodukt wird. Auch jeder lokale Wettbewerb schlägt sich in einer höheren Marktdurchdringung nieder. In Hamburg stieg etwa der Anteil der Haushalte mit Breitbandanschluss in kurzer Zeit auf 35 Prozent, seitdem die Telecom-Italia-Tochter HanseNet mit einem eigenen Glasfasernetz Breitbandinternet, Telefonie und Videodienste anbietet.
Bei der TV-Digitalisierung ist der ausschlaggebende Impuls bislang ebenfalls ausgeblieben. Daran konnte auch die Einführung eines neuen, digitalen Senderbouquets durch Kabel Deutschland nichts ändern. Die privaten Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1 planen zwar neue, digitale Kanäle, zögern aber mit der digitalen Ausstrahlung ihrer heute noch analogen Hauptsender. Mangelhaft ist zudem die oft versprochene Konvergenz von Diensten, Netzen und modernen Endgeräten. Mehr und mehr konkurrierende Systeme buhlen um die Gunst des Konsumenten. „Der TV-Digitalisierung fehlt es eindeutig an einer treibenden Kraft, deshalb schreitet sie nur sehr langsam voran“, stellt Alexander Mogg fest. „Solange die heute gewohnten privaten TV-Kanäle noch nicht digital zu empfangen sind und der Konsument nicht absehen kann, in welche Technologie er zukunftssicher investieren soll, steht eine unüberbrückbare Hürde zwischen Endverbraucher und der neuen Mediengeneration.“
Das Einzelkämpfermodell hat ausgedient
Kooperationen zwischen allen Markt-Playern, so zeigt die Mercer-Studie, werden künftig zum Erfolgsfaktor schlechthin im digitalen TV-Geschäft. Fernsehsender und Netzbetreiber haben bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. So ist beispielsweise die ProSiebenSat.1-Gruppe mit T-Online übereingekommen, Inhalte über DSL anzubieten. „Kurzfristig ist dies die richtige Richtung. Ein grundsätzliches Manko solcher Partnerschaften ist die Exklusivität, dass also in diesem Fall nur T-Online-Kunden auf die Inhalte zugreifen können und Kunden anderer Breitbandanbieter außen vor bleiben“, konstatiert Mercer-Partner Mogg. „Je mehr solcher exklusiven Partnerschaften entstehen, desto größer wird die Verwirrung des Konsumenten. Alle Anbieter müssen offen sein für alles und jeden. Nur so lässt sich ein Standard im Markt etablieren.“
Einseitige Kooperationen oder gar Einzelkämpfertum verringern die Chancen, den TV-Konsumenten aus der Gratis- in die Bezahlkultur zu führen. An der Investitionsbereitschaft der Verbraucher mangelt es nicht. TV-Dienste wie Timeshift-TV oder Video-on-Demand rangieren in ihrer Gunst schon heute weit oben. Nach Mercer-Schätzungen werden die Medienausgaben allein im TV-/ Videosegment bis zum Jahr 2010 jährlich um 4,8 Prozent auf dann 20,3 (2004: 15,4) Milliarden Euro steigen. Auch in puncto Mediennutzung wird dieses Segment im Vergleich zur gesamten Mediennutzung mit jährlichen 2,5 Prozent überdurchschnittlich wachsen. Damit aber der bislang anonyme Zuschauer zum zahlungswilligen und langfristigen Kunden wird, muss eine kontrollierte Migration der attraktiven Inhalte vom Free-TV ins Pay-TV erfolgen, gepaart mit neuen und auch interaktiven Sendeformaten. Doch auch Know-how und Kompetenz in der Kundenakquise und im Kundenmanagement sind ein Schlüsselfaktor auf dem Weg zur Bezahlkultur. „Hier fangen die privaten Fernsehsender im Gegensatz zu Kabel- oder Festnetzbetreibern und Onlinediensten quasi bei null an“, betont Medienexperte Mogg. „Partnerschaften können da aber rasch den Weg ebnen.“
Im westeuropäischen Ausland wurde die Notwendigkeit zur Kooperation von Netzen und Inhalten nicht nur erkannt, sondern auch bereits in ersten Modellen erfolgreich umgesetzt. So hat sich der französische Carrier France Télécom als Triple-Play-Anbieter auch im TV-Sektor etabliert, indem er Partnerschaften in nahezu allen Bereichen der Wertschöpfungskette nutzt und Vermarktung sowie Endkundenbeziehung kontrolliert. In Italien liegt Fastweb mit Triple-Play-Bündeln ebenfalls gut im Rennen. „Dieses Modell wird mittelfristig auch in Deutschland zum Einsatz kommen müssen“, erklärt Alexander Mogg. „Tatsache ist, dass weder Netzbetreiber noch TV-Sender entscheidend vorankommen, wenn sie sich nicht aufeinander zubewegen und an einem Strang ziehen. Das Gebot der Stunde ist, den Kundennutzen und nicht die Technologie in den Vordergrund zu stellen und mit Blick auf den Kunden ein partnerschaftliches Zusammenspiel in der Wertschöpfungskette zu praktizieren.“
Sieben Thesen zur medialen Zukunft in Deutschland
1. Nach der Krise hat sich der Werbemarkt stabilisiert. Er wird jedoch in Zukunft nicht mit signifikanten Wachstumsraten aufwarten.
2. TV und Video bleiben die Wachstumssegmente im Medienmarkt. Nutzung und Ausgaben werden überdurchschnittlich wachsen.
3. Die Konvergenz von Diensten, Netzen und Endgeräten kommt deutlich später als erhofft. Zu viele konkurrierende Standards verhindern momentan den breiten Einstieg der Konsumenten.
4. Der Wettbewerb um die Verbreitung des TV-Signals verschärft sich, da sich Breitbandnetze zu einer ernst zu nehmenden Alternative zu Kabel und Satellit entwickeln. Neben den traditionellen TV-Anbietern werden die Netzbetreiber zunehmend um Topinhalte sowie Zeit und Geld der Endverbraucher konkurrieren.
5. Durch die Diversifizierung der Geschäftsmodelle reduzieren die Privatsender zu Recht ihre Abhängigkeit vom Werbemodell. Dabei besteht allerdings die Gefahr, das eigentliche Kerngeschäft zu vernachlässigen.
6. Erst weit reichende Kooperationen zwischen Netzbetreibern, Content-Anbietern und Medienhäusern werden den Durchbruch der Digitalisierung einleiten
7. Der Zuschauer muss zum Kunden werden durch eine kontrollierte Migration der attraktiven Inhalte vom Free-TV ins Pay-TV.