Technisch verwertbare Kunststoffe sind heute zum Alltag in der Industrie geworden, doch es war ein langer, steiniger Weg, bis diese den Weg in die Verarbeitung gefunden haben. Alles fing schon im Jahre 1834 an, als Friedlieb Ferdinand Runge erstmals aus Steinkohlenteer eine Verbindung schuf, die bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt war.
Aus ihr ließen sich nadelförmige Kristalle extrahieren, die knapp über der Grenze von 40 °C zum Schmelzen gebracht werden konnten. Der Name Carbolsäure wurde vergeben. Aber noch immer war der Weg bis zum ersten vollsynthetischen Kunststoff weit.
Für die Industrie 4.0 ist chemischer Kunststoff ein wichtiges Element, viele Jahrzehnte sah es aber nicht danach aus, dass ein solches Element je entwickelt werden würde. Nachdem Runge seine Verbindung entdeckt hatte, wurde sieben Jahre später, 1841, die Summenformel von Auguste Laurent definiert und kurz darauf stellte ein Chemiker sie in reiner Form dar. Die neu entwickelte Verbindung erhielt dann den Namen Phenol.
Wirtschaftlich und wissenschaftlich war das Interesse schnell verschwunden, denn es zeigte sich keine Verwendbarkeit von Phenol. In Paris wurde es vereinzelt dazu eingesetzt, die unangenehmen Gerüche von Abwässern und Kloaken zu minimieren, flächendeckend kam es jedoch nie zu einem Einsatz, mehr dazu ist auch auf dieser Website nachzulesen.
Die Medizin wittert eine Chance
Der am Königlichen Krankenhaus in Großbritannien arbeitende Chirurg Joseph Lister, der auch als Herr der Keime in die Geschichte einging, interessierte sich allerdings für Phenol. Er sah in der Geruchsbindung innerhalb der Abwasserkanäle mehr, die antibakterielle Wirkung wurde für ihn ersichtlich. Er experimentierte und führte Selbstversuche durch und schließlich entschied er sich 1865 dazu, bei chirurgischen Operationen eine Desinfektion der Hände und des Operationsfeldes mit einer Phenol-Lösung durchzuführen.
Später wurde auch durch das Preußische Kriegsministerium eine Empfehlung ausgesprochen, eine 2,2 % starke Phenollösung wurde bei Typhus zur Desinfektion eingesetzt. Bis in die moderne Zeit wurde diese als Carbolwasser bezeichnete Lösung verwendet.
Die Suche nach einem Verwendungszweck
Phenol fiel bedeutend häufiger an, als Steinkohlekoks seinen Weg in die Industrie des Hüttenbaus fand. Doch auch wenn es zur Desinfektion im medizinischen Bereich genutzt wurde, war noch nicht klar, wie das unliebsame Nebenprodukt weiterverwendet werden sollte.
Im 19. Jahrhundert gelangte es somit wieder in den Fokus der Wissenschaft, die eigentlich gar kein Interesse an dem Stoff hatte. Dennoch begann nun die Suche nach einem geeigneten Verwendungszweck für die Substanz.
Chemiker fand einen Lichtblick, mit dem keiner rechnete
Adolph Wilhelm Kolbe, einer der wichtigsten Chemiker der damaligen Zeit, entwickelte ein Syntheseverfahren, mit dem sich Salicylsäure aus Phenol herstellen ließ. Jakob Friedrich Wilhelm von Heyen entwickelte das Verfahren schließlich weiter, bis es Industriereife erlangte. Bei Salicylsäure handelt es sich um die Vorstufe des bis heute wertvollen Blutverdünnungsmittels Acetylsalicylsäure, was auch als Basis der bekannten Aspirin-Tablette genutzt wird.
Parallel zu diesen Fortschritten gelang es einem englischen Chemiker, den ersten künstlichen Farbstoff zu synthetisieren. Als weiteres Beiprodukt des Steinkohleteers war ihm Anilin zugefallen, woraus sich ein probater Farbstoff für die Farbe Lila entwickeln ließ. Das rief andere Forschende auf den Plan und so gelang es dem Chemiker Adolf von Baeyer im Jahr 1871, auch aus Phenol einen Farbstoff zu generieren, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Zwar entstand durch die Mischung aus Phthalsäure, Anhydrid und Phenol ein Triphenylmethinfarbstoff, doch dieser erwies sich als untauglich.
Auch die Zusammensetzung von Phenol mit Formaldehyd brachte keine nennenswerten Erfolge und es schien aussichtslos, einen verwertbaren Stoff zu generieren. Doch dann kam L. H. Baekeland ins Spiel, der seinerseits auf der Suche nach einem stabilen Material für die Industrie war, um elektrische Leitungen zu isolieren. Er war im Zuge seiner Studien auf die Kollegen in Europa gestoßen, die über die Zusammensetzung von Phenol und Formaldehyd berichteten.
Er variierte schließlich verschiedene Reaktionsparameter und es gelang ihm, ein Phenolharz herzustellen, was sich nicht mehr schmelzen ließ. Durch das thermische Aushärten unter maximalem Druck stellte er die entscheidenden Weichen für die Verwendung von Phenol. Im Jahr 1907 meldete er seinen entdeckten Kunststoff zum Patent an, er vergab den Namen Bakelit.
Von damals bis heute: Bakelit war der Startschuss für die Kunststoffindustrie
Bakelit wird heute als Duroplast bezeichnet und wird weiterhin rege genutzt. Seine größte Besonderheit ist die fehlende Brennbarkeit bei maximaler thermischer Belastung. Durch Farbpigmente lässt sich der Kunststoff einfärben, Schwarz wird er durch die Beigabe von Ruß.
Die ersten Anwendungsgebiete waren Imitate von Elfenbein und Bernstein, später folgten Gehäuse für Elektronikgeräte, heute wird der Kunststoff nach wie vor für Abdeckungen von Steckdosen und Lichtschaltern genutzt. Es sind vor allem die guten Elektroisolationseigenschaften, die Bakelit bis heute so wertvoll machen. Phenolharze, zu denen auch Bakelit gehört, haben jedoch einen entscheidenden Nachteil.
Sie sind empfindlich gegenüber Schlägen und Stößen, da sie aus einem eher spröden Material bestehen. So kann ein Föhn aus Bakelit zwar mit seiner überragenden thermischen Belastbarkeit punkten, nicht jedoch mit seiner Stoßfestigkeit. Ein Sturz aus größerer Höhe führt zur Beschädigung. Doch auch hier wurde Fortschritt geschaffen. Durch die Zusammenpressung mit haltbaren Materialien und Zuschlagstoffen wie Steinmehl wurde die Haltbarkeit erhöht.
Auch werden Phenolharze gern mit Holzspänen gepresst, die als kostenloses Abfallprodukt der Holzindustrie anfallen. So entstehen Spanplatten, die beim günstigen Möbelbau eine entscheidende Rolle spielen. Diese Platten wurden im Jahr 1932 von einem deutschen Ingenieur namens Max Himmelheber patentiert.
Auch in der KFZ-Industrie spielte Bakelit eine Rolle. Der seinerzeit weltberühmte Trabant wurde mithilfe von Phenolen erbaut. Hierfür wurden Baumwoll-Vliese unter hoher Temperatur und maximalem Druck in Formteile gepresst und dann verbaut. Es war das einzige Auto, was jemals in der DDR hergestellt wurde.
Üblicherweise wurden Formteile für die Karosserie aus Tiefziehblechen hergestellt. Allerdings wird auch heute noch auf Phenoplasten zurückgegriffen. Ganz besonders bei der Flugzeugentwicklung und in der Raumfahrt spielen Fasermatrix-Halbzeuge eine wichtige Rolle.
Fazit: Die Geschichte des ersten synthetischen Kunststoffs war lang
Es dauerte lang, bis aus einem Nebenprodukt der Steinkohleindustrie schließlich tatsächlich der erste taugliche Kunststoff entwickelt wurde. Mehrere hochintelligente Menschen arbeiteten an der Verwendung, wie wir sie heute kennen.
Ein Leben ohne Kunststoff ist in der Industrie heute nicht mehr denkbar, ohne die damaligen Entwicklungen wären viele Errungenschaften der modernen Zeit nicht möglich gewesen.