Einseitige TV-Strategien führen Breitbandanbieter in die Sackgasse

Deutschland rangiert bei der Breitbandentwicklung im europäischen Vergleich nach wie vor auf den hinteren Plätzen. Ein aggressiver Wettbewerb inklusive eines drastischen Preisverfalls bei den DSL-Anschlussgebühren und -Tarifen hat die Breitbandpenetration im ersten Halbjahr 2005 zwar weiter vorangetrieben. Nachhaltige Impulse für die Nutzung dieser Zukunftstechnologie sind Netzbetreiber, Medienhäuser, Internetprovider und Contentanbieter aber bislang schuldig geblieben.

Deutschland läuft Gefahr, die Chancen der Breitbandinnovation zu verpassen, stellt die Unternehmensberatung Mercer Management Consulting in ihrer Studie „Breitbandzukunft in Deutschland“ fest. Alle Marktteilnehmer sind gefordert, innovative Geschäftsmodelle aufzusetzen und über weit reichende Kooperationen mit Blick auf den Kunden attraktive Angebotsbündel zu entwickeln, die Mehrwert schaffen und den Verbraucher vom Breitbandnutzen überzeugen.Mit gerade einmal 6,9 Millionen Nutzern und 18 Prozent Marktdurchdringung gehörte Deutschland Ende 2004 im internationalen Vergleich zu den Breitbandschlusslichtern. Der fehlende Wettbewerb auf der Infrastrukturseite, die wenigen Anbieter mit meist nur geringer Marktpräsenz, die gemessen an anderen Ländern relativ hohen Zugangspreise und die Koppelung des DSL-Zugangs an den Telefonanschluss hemmten bisher eine rasche Entwicklung dieser Zukunftstechnologie. Doch mit dem DSL-Resale-Angebot der Deutschen Telekom Mitte 2004 kam Bewegung in den Markt. Mit 1&1, freenet und Arcor auf überregionaler Ebene und regionalen Anbietern wie HanseNet oder Versatel ist ein aggressiver Wettbewerb entstanden, der die Vermarktung höherer Bandbreiten auf bis zu sechs Megabit/Sekunde angetrieben und einen harten Preiskampf bei Flatrate-Tarifen sowie Anschlussgebühren ausgelöst hat. Teilweise gingen die Preise um weit mehr als 50 Prozent zurück.

Dem deutschen Breitbandmarkt gab dies einen deutlichen Schub. So stieg die Zahl der Nutzer in Deutschland im ersten Halbjahr 2005 um weitere 16 Prozent auf acht Millionen, was einer Breitbandpenetration von nunmehr rund 21 Prozent entspricht. „Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland in punkto Breitband im internationalen Vergleich noch immer weit hinterherhinkt und Gefahr läuft, ein signifikantes volkswirtschaftliches Wachstumspotenzial zu verschenken“, konstatiert Alexander Mogg, Medienexperte bei Mercer Management Consulting. „Denn die Erschließung des Breitbandmarkts ist sowohl für die Telekommunikationsindustrie als auch für die angrenzenden Branchen wie Film-, Fernseh-, Musik- und Unterhaltungselektronik ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und neuer Einnahmen.“ Erst im Jahr 2010, so die Mercer-Prognose, wird Deutschland eine Marktdurchdringung von 44 Prozent aufweisen und damit wenigstens auf den westeuropäischen Durchschnitt aufgeholt haben.

Bedarf an hohen Bandbreiten ist gering

In ihrem Bemühen, die Breitbandpenetration in Deutschland zu forcieren, finden sich die Anbieter in einem schwierigen Szenario wieder. Zum einen zeigt die aktuelle Mercer-Studie, dass bei einem hiesigen Gesamtpotenzial von 20 bis 22 Millionen Breitbandanschlüssen in drei Jahren mit 16,3 Millionen Anschlüssen bereits eine Marktsättigung von rund 80 Prozent erreicht sein wird. Damit ist spätestens in drei Jahren das heutige Access-Geschäftsmodell als Wachstumsmotor ausgereizt. Zum anderen schrumpfen bei anhaltendem Preisdruck und weiteren Investitionen in immer höhere Bandbreiten bei den Betreibern zunehmend die Erträge. „Der Breitbandanschluss wird zum Commodity-Produkt. Eine Marktkonsolidierung ist absehbar. Geld lässt sich künftig nur noch über Größe verdienen“, so Mogg.

Zudem ist das Interesse der Kunden an hohen Bandbreiten derzeit noch gering. Für ihre Ansprüche – komfortables Web-Surfing, Always-on und die Möglichkeit, gleichzeitig zu telefonieren und untereinander Dateien auszutauschen (File Sharing) – reicht eine Bandbreite von einem Megabit/Sekunde völlig aus. Gerade zwei Prozent der DSL-Kunden nutzen derzeit Bandbreiten von drei beziehungsweise sechs Megabit/Sekunde. 13 Prozent werden es laut Mercer im Jahr 2010 sein. Dann aber werden sich immer noch 60 Prozent der Breitbandnutzer mit einem Megabit/Sekunde oder weniger zufrieden geben. „Damit befinden sich die Breitbandanbieter in einem Dilemma“, erklärt Medienexperte Mogg. „Hohe Bandbreiten sind die Voraussetzung für attraktive neue Inhalte, Dienste und Anwendungen, die dem Kunden eine neue TV- oder PC-Erlebniswelt eröffnen. Außer bei TV/Video zeichnen sich derzeit allerdings keine neuen breitbandigen Dienste ab, die den Netzbetreibern, Medienhäusern, Internetprovidern und Contentanbietern zusätzliche Erlösquellen bescheren.“

Vor allem das Fernsehen ist für alle Marktteilnehmer der Breitbandhoffnungsträger schlechthin. Bis 2010 wird Mercer-Prognosen zufolge die Nutzung von TV und Video gemessen an allen anderen Medien mit jährlich 1,9 Prozent von 205 Minuten im Jahr 2004 auf dann 230 Minuten immer noch leicht wachsen. Gleichzeitig werden die Erlöse in diesem Bereich pro Jahr um 4,8 Prozent auf 20,3 (2004: 15,4) Milliarden Euro steigen. Hierbei werden sich die Werbeeinnahmen allerdings nur moderat entwickeln. Das Wachstum muss aus direkten Endkundenerlösen kommen. Getrieben wird die Investitionsfreudigkeit des Verbrauchers durch TV-Dienste wie zeitversetztes Fernsehen, elektronische Programmführer und TV über DSL beziehungsweise Video-on-Demand. So stehen die Chancen gut, den TV-Konsumenten aus der Gratis- in die Bezahlkultur zu führen und das Breitband ins Wohnzimmer zu bringen, auch wenn in Deutschland die Free-TV-Kultur mittlerweile mit im Schnitt mehr als 40 frei empfangbaren Fernsehprogrammen so ausgeprägt ist wie in keinem anderen Land.

Fehlende Standards sind kontraproduktiv

Auf dem Weg dorthin müssen alle Marktteilnehmer eine Reihe von Hürden überwinden. Noch immer hat sich die Industrie auf keine einheitlichen Standards einigen können und erschwert dem Fernsehkonsumenten damit den Einstieg in die TV-Breitbandwelt. Der Verbraucher wird mit einer Fülle von alternativen Empfangswegen (Kabel, Satellit, DVB-T und künftig DSL), Endgeräten (DVD-Recorder, Personal Video Recorder, HDTV, Flachbildschirm), Diensten (Stand-alone-Systeme, integrierte Systeme, netzbasierte Systeme) und Pay-TV (Premiere, Kabel Deutschland, T-Online Vision) konfrontiert, die ihm die Wahl zur Qual machen. „Tatsächlich buhlen immer mehr konkurrierende Systeme um die Gunst und das Geld des Kunden und verunsichern ihn“, stellt Alexander Mogg fest. „Er kann nicht absehen, in welche Technologie er zukunftssicher investieren soll – und wartet ab.“

Neben Video-on-Demand gibt es derzeit keinen anderen TV-Dienst, der Breitband erfordert. Daher muss Video-on-Demand als Wegbereiter für weitere neue Inhalte und Anwendungen genutzt werden, die dem Konsumenten mehr TV-Qualität versprechen. „Dem Kunden geht es nicht nur um Quantität und Qualität bei Filmen“, versichert Medienexperte Mogg. „Er will seinen TV-Konsum personalisieren.“ Intelligente Systeme und Dienste sollen ihm beispielsweise sein spezifisches TV-Profil erstellen, die für ihn interessanten Filme und Sendungen eigenständig auswählen, proaktiv anbieten und archivieren. „Zudem müssen sich alle Marktteilnehmer darüber im Klaren sein, dass Fernsehen über das Breitband allein mittelfristig nicht ausreichend Nachfrage generieren wird“, so Mogg weiter. „Ein hoher Breitbandbedarf wird nur durch zusätzliche Impulse geschaffen.“

Kooperation statt Konfrontation heißt die Devise

Das Gebot der Stunde ist es, neue und innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Seit die deutschen Telcos in ihrem Bestreben, ihr DSL auf neue TV-Nutzungsmöglichkeiten auszudehnen, das Triple-Play-Modell, sprich: Telefonie, Internet und Fernsehen über eine einzige Infrastruktur, reanimiert haben, versuchen auch Medienhäuser und Diensteanbieter auf den Zug der Produktbündelung aufzuspringen. Ziel ist es, in Form von Vollsortimentern künftig den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kunden Rechnung zu tragen. Doch während Triple-Play-Modelle Anbietern wie France Télécom in Frankreich oder Fastweb in Italien bereits durchschlagenden Erfolg beschert haben, steht die Mehrwertbündelung in Deutschland noch am Anfang. „Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Triple Play sind weit reichende Kooperationen zwischen allen Marktteilnehmern“, betont Alexander Mogg. „Hier haben deutsche Anbieter einen enormen Nachholbedarf.“

Ohne die Bereitschaft, offen zu sein, sich aufeinander zu zu bewegen und an einem Strang zu ziehen, sind die Chancen gering, dem Breitbandmarkt den notwendigen Impuls zu geben und eigene Schwachstellen zu kompensieren. So mangelt es den Festnetzbetreibern und Onlinediensten vor allem an attraktiven TV-Inhalten und -Anwendungen. Fernsehsender wiederum haben wenig Know-how und Kompetenz bei Kundenakquise und Kundenmanagement. „Diese Kombination aber ist notwendig, um den TV-Konsumenten vom Free-TV ins Pay-TV zu führen, hohe Bandbreiten ins Wohnzimmer zu bringen und neue Einnahmen zu generieren“, stellt Medienexperte Mogg fest. „Will Deutschland eine nachhaltige Breitband-Innovationsoffensive schaffen und den Rückstand im internationalen Vergleich wettmachen, müssen alle Anbieter den Kundennutzen in den Vordergrund stellen und zu einem partnerschaftlichen Zusammenspiel in der Wertschöpfungskette übergehen.“ Auf der Agenda aller Marktteilnehmer muss deshalb an oberster Stelle stehen, fundierte Kenntnisse über die Bedürfnisse der Kunden im speziellen deutschen Marktumfeld zu gewinnen und diesen Anforderungen über umfassende Kooperationen attraktive Angebote entgegenzustellen.

Sieben Thesen zur Breitbandzukunft in Deutschland

1. Die Vielfalt an konkurrierenden Standards bei Netzen, Diensten und Endgeräten verhindert derzeit noch den breiten Einstieg des Verbrauchers. Nötig sind eindeutige Vorgaben und Transparenz.

2. Anfangsinvestitionen in Infrastruktur und Endgeräte stellen die größte Einstiegshürde für den Verbraucher dar und müssen über kreative Ansätze minimiert werden.

3. Medienbrüche müssen eliminiert und Mainstream-Inhalte auf allen Plattformen verfügbar sein. Die bewusste Diskriminierung einzelner Kundensegmente muss über den Preis erfolgen, nicht über proprietäre Systeme.

4. Über attraktive, sich schrittweise immer stärker vom Free-TV differenzierende Pay-TV-Angebote sind Anreize zu schaffen, um eine kontrollierte Migration des TV-Konsumenten aus der Gratis- in die Bezahlkultur zu gewährleisten.

5. Neue, attraktive Dienste über das Fernsehen hinaus sind dringend erforderlich, um zusätzliche Impulse für den Breitbandmarkt zu schaffen.

6. Für eine wirtschaftliche Marktbearbeitung bedarf es solider Strategien und Business Designs. Ein kontrolliertes „Trial & Error“ ist dabei unvermeidbar.

7. Eine nachhaltige Breitbandoffensive setzt weit reichende Kooperationen zwischen allen Marktteilnehmern voraus, die den Kundennutzen in den Vordergrund stellen.

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