Deutschland markiert in Europa das Schlusslicht der Breitbandentwicklung – trotz niedrigen Preisniveaus. Die schleppende Marktdurchdringung verhindert auch Wachstum in angrenzenden Industrien. Vorreiter im Ausland zeigen, wie es funktioniert: Eine Breitband-Innovationsoffensive aller Marktteilnehmer ist unerlässlich
Die Breitbandtechnologie wurde in den 90er-Jahren mit großen Erwartungen eingeführt. Die „Datenautobahnen“ galten als Synonym für die schillernde Welt des Internets und als Voraussetzung für die unbeschränkten Möglichkeiten des Zeitalters der Informationstechnologie. Die Innovation Breitband sollte der Treiber neuer, profitabler Geschäftsmodelle werden. Deutschland droht bei dieser Zukunftstechnologie jedoch international den Anschluss zu verpassen, wenn es den Marktteilnehmern nicht gelingt, durch aggressive Vermarktung und Mehrwert den deutschen Konsumenten vom Breitbandnutzen zu überzeugen.
Ein Blick über die Grenzen verdeutlicht, wie sehr Deutschland beim Breitband zurückgefallen ist: Während hierzulande gerade einmal 16 Prozent der Haushalte über einen Breitbandanschluss verfügen, sind es in den Niederlanden bereits 41 Prozent, in der Schweiz 37 Prozent und in Belgien 35 Prozent. Selbst Frankreich und England haben gegenüber Deutschland einen Entwicklungsvorsprung von rund zwei Jahren. Die internationale Studie „Breitband – Perspektiven einer Zukunftstechnologie“ von Mercer Management Consulting zeigt den eklatanten Nachholbedarf beim Breitband in Deutschland. Wolfgang Bock, Leiter der Studie und Experte für Telekommunikation und Medien, warnt: „Gelingt es nicht, diese Lücke in den nächsten Jahren zu schließen, verliert Deutschland zunehmend den Anschluss im internationalen Innovationswettbewerb und verschenkt dadurch volkswirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten.“ Denn neben der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für die Telekommunikationsindustrie ist die Breitband-Markterschließung ein entscheidender Treiber für eine Reihe neuer Erlösquellen und Innovationszyklen in angrenzenden Branchen, wie der Film-, Fernseh- und Musikindustrie, aber auch bei Unterhaltungselektronik.
Geringe Marktpenetration in Deutschland – trotz niedrigen Preisniveaus
Deutschland hat im internationalen Vergleich nur eine unterdurchschnittliche Marktdurchdringung, obwohl das Preisniveau für den schnellen Internetzugang in keinem anderen Land in Westeuropa niedriger ist: Kaufkraftbereinigt ist Breitbandinternet in Österreich rund 36 Prozent und in England sogar über 50 Prozent teurer als hierzulande. Der Breitbandrückstand in Deutschland ist durch andere Faktoren begründet. Während in führenden Breitbandnationen wie Südkorea (76 Prozent Haushaltspenetration), Japan (38 Prozent) oder der Schweiz (37 Prozent) über die letzten Jahre hinweg ein aggressiver Preis- und Technologiewettbewerb stattfand, war dies in Deutschland nicht der Fall. Insbesondere der fehlende Infrastrukturwettbewerb und ausbleibende Investitionen in alternative Infrastrukturen wirken sich hier aus. Wettbewerber haben sich sehr stark zurückgehalten und sind erst 2003 ernsthaft in den Breitbandmarkt eingestiegen. Zudem mangelt es noch an attraktiven Angeboten und Dienstleistungen, die den Kunden vom Mehrwert dieser Leistung überzeugen. In den Niederlanden haben beispielsweise mehr als doppelt so viele Haushalte Breitband, denn hier gab es schon frühzeitig einen intensiven Wettbewerb zwischen Kabelnetzbetreibern und DSL-Anbietern. Trotz hoher Abdeckung (55 Prozent der Haushalte sind kabelversorgt) hat der deutsche Breitbandmarkt aufgrund der besonderen Struktur des Kabels und einiger gescheiterter Investitionsvorhaben von dieser Entwicklungsphase nicht profitieren können. Der Wettbewerb hat sich erst seit dem zweiten Halbjahr 2003 deutlich intensiviert, seitdem die Festnetzsparte der Telekom die DSL-Leitung als Vorprodukt Anbietern wie AOL und freenet zur Verfügung stellt.
Neue Anbieter bringen Bewegung in den Markt
Dennoch sind gerade jetzt die Chancen zur Aufholjagd in Deutschland sehr gut. Mit 1&1, freenet und Arcor auf überregionaler Ebene und regionalen Kabelnetzbetreibern wie HanseNet oder Versatel sind einige Firmen angetreten, den Wettbewerb zu intensivieren. Dass ein stärkerer Wettbewerb auch eine höhere Marktdurchdringung bedeutet, zeigt der aggressive Markteintritt der Telecom-Italia-Tochter HanseNet. Der Anbieter von Breitbandinternet, Telefonie und Videodiensten konnte in Hamburg in kurzer Zeit mit einem eigenen Glasfasernetz den Anteil der Haushalte mit Breitbandanschluss auf 35 Prozent steigern. Ähnliche Erfolge können auch Kabelnetzbetreiber wie Kabel Baden-Württemberg in regionalen Märkten vorweisen.
Durch Mobilfunkanbieter, die am Breitbandmarkt partizipieren wollen, bekommt die Deutsche Telekom aus einer zusätzlichen Richtung Wettbewerb. Wegen der hohen Marktdurchdringung von mehr als 70 Millionen Mobilfunk-Kundenverträgen in Deutschland reagieren sie damit auf das verlangsamte Wachstum ihres Geschäfts. Sowohl Vodafone als auch O2 haben für das zweite Quartal 2005 die Lancierung eines drahtlosen, UMTS-basierten Breitbandinternetzugangs angekündigt. Bock sieht derartige Angebote allerdings nicht als primären Wachstumsmotor für die Breitbandpenetration: „Mobiles Internet zielt darauf, den Kunden vom Festnetz in den Mobilfunk zu ziehen, denn bisher war DSL für einige Segmente der wesentliche Grund, den Telefonanschluss beizubehalten. Der Gesamtpenetration an Haushalten mit Breitbandanschluss wird dies jedoch wenig helfen.“
Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen prognostiziert die Mercer-Studie für Deutschland eine Breitbandpenetration von rund 27 Prozent im Jahr 2007 und rund 35 Prozent im Jahr 2009. „Diese Entwicklung ist jedoch noch nicht ausreichend für eine internationale Aufholjagd. Deutschlandweit muss ein Marktanteil von rund 50 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts erreicht werden. Viele nachgelagerte Investitionen würden sich dann besser rechnen und wären schon heute planbar“, erläutert Mercer-Berater Bock.
Nächste Wachstumswelle durch neue Dienste und Bündelprodukte
Die Mercer-Studie ergibt, dass die nächste Wachstumswelle im Breitbandmarkt durch intensiveren Wettbewerb und vor allem durch eine grundsätzliche Neupositionierung des Produkts „Breitband“ entsteht. Standen bislang der reine Anschluss sowie die Schnelligkeit des Internets im Mittelpunkt der Vermarktung, werden in Zukunft attraktive Applikationen, Inhalte und die Bündelung mehrerer Dienste entscheidende Kaufargumente sein. „Breitband wird erst dann zum Massenmarkt, wenn die Angebotsbündel verschiedene Bedürfnisse befriedigen, die ohne Breitband keinen Spaß machen“, so Mercer-Experte Bock.
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Mit Breitbandbündeln aus Internet und Telefonie ist eine signifikante Marktausweitung möglich. Bei Bündelprodukten, die Mehrwertdienste beinhalten und auch TV-Dienste abdecken, sind Konsumenten bereit, zusätzlich zu zahlen. Die Ausweitung des Breitbandanschlusses ins Wohnzimmer ermöglicht neuartige TV-Mehrwertdienste, die auf hohes Interesse stoßen, wenn damit das heutige Fernseherlebnis verbessert wird – zum Beispiel durch zeitversetztes Fernsehen, interaktive Dienste oder Video-on-Demand.
Ein durch solche Dienste und Inhalte angereichertes Breitbandportfolio erfordert auch ein Umdenken der Anbieter. Sie sollten Kunden künftig nicht nach technischen Anschlussmerkmalen in „Offliner“, „Schmalbander“ und „Breitbander“ segmentieren, sondern in Nutzergruppen denken. „Wenn eine Marktdurchdringung von 20 Prozent erreicht ist, lassen sich neue Zielgruppen nicht mehr allein über die Bandbreite erschließen. Dann suchen Konsumenten nach konkreten Vorteilen und der Anschluss als solches reicht nicht mehr aus, um Kunden zu gewinnen“, so Bock. Aus Faktoren wie TV-Konsum, Endgeräte-Ausstattung, Interesse an digitalen Inhalten, Preisempfindlichkeit oder demographischen Informationen muss eine Kundensegmentierung entwickelt werden, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen des Kunden orientiert und nicht nur an der Schnelligkeit seines Internetanschlusses. Beispiele für Kundensegmente sind:
„Innovative Spaß-Familien“ haben ein hohes Einkommen, eine hohe Durchdringung mit Internet und intensiven TV- und DVD-Konsum. Bei ihnen stoßen zusätzliche Breitbanddienste wie Video-on-Demand, Fernsehen über den PC oder Videospiele auf großes Interesse.
„Couch Potatoes“ sind mit PC-basierten Diensten kaum für Breitband zu gewinnen. Sie haben jedoch eine hohe Kaufbereitschaft für TV- und Entertainment-Dienste wie zeitversetztes Fernsehen. Hier muss Breitband für das Wohnzimmer salonfähig werden.
„Professionals“ nutzen schon häufig Breitband. Der Umsatz mit Unterhaltungsangeboten wie Video-on-Demand oder Videokommunikation am PC könnte allerdings weiter erhöht werden.
Dass solche Ansätze der Kundensegmentierung erfolgreich sind, zeigen internationale Anbieter, die mit Triple Play – der Bündelung von TV, Telefonie und Internet über Breitbandkabel – den Markt beleben. FastWeb in Italien erreicht beispielsweise mit Triple-Play-Komplettangeboten, neuartigen Diensten und attraktivem Content ein starkes Kundenwachstum, einen hohen Umsatz pro Kunde und niedrige Kundenabwanderung. Das Erfolgsrezept von FastWeb ist unter anderem eine klare Fokussierung auf höherwertige Kundensegmente mit wenigen attraktiven Bündelangeboten, hochwertigen Inhalten für das Video-on-Demand- und TV-Angebot, innovativen Mehrwertdiensten wie Videokommunikation und Kooperationsmodellen im Content-Bereich. Auch Festnetzbetreiber und Internetanbieter in Belgien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien weiten ihre Angebote aus und gehen mit Triple-Play-Bündeln in den Markt.
Innovationsoffensive aller Marktteilnehmer ist unerlässlich
Sollen Bündelangebote mehr sein als ein versteckter Preisnachlass, müssen Dienste und Inhalte angeboten werden, die aus Konsumentensicht attraktiv sind. Allein ein Netzbetreiber kann das nicht leisten. Ein Erfolgsbeispiel ist Apples iTunes/iPod. Das Endgerät, die Inhalte und der technische Zugang werden zu einer für den Kunden geschlossenen Anwendung verbunden. Einfachheit, Zuverlässigkeit und Sicherheit stehen mehr im Vordergrund als die Download-Geschwindigkeit. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass eine Breitband-Innovationsoffensive nur durch das partnerschaftliche Zusammenspiel in der Wertschöpfungskette zustande kommt. „In diesem Sinne ist gelungene Konvergenz zu verstehen, also der Zustand, in dem die Spieler einander verstehen, zusammenarbeiten und gemeinsam den Kundennutzen im Blick haben“, konstatiert Bock. Will Deutschland also den Breitband-Durchbruch schaffen und mit anderen Ländern wieder gleichziehen, wird dies nur dann gelingen, wenn die Medienindustrie, Endgerätehersteller, Netzbetreiber und Internet-Provider an gemeinsamen Breitband-Produkten arbeiten.
Fastwebs Triple-Play-Angebot verzeichnet ein starkes Kundenwachstum, hohe Umsätze
pro Kunde und niedrige Kundenabwanderung.
Fastweb Erfolgsfaktoren
- Klare Positionierung auf höherwertige Kundensegmente mit wenigen attraktiven Double- & Triple-Play-Bündeln
- Minimierung Einstiegsbarrieren durch Subventionierung der Endgeräte
- Hochwertige Inhalte für VoD- und TV-Angebot und innovative Mehrwertdienste (z.B. PVR, Video-Kommunikation)
- High-quality Video-Experience durch hohe Bandbreiten (4-10 Mbps)
- Kooperationsmodelle Content-Sourcing
- Günstiges Wettbewerbsumfeld