Chatbots – Nützliche Kundenberater oder teure Spielerei?

Sie heißen Hank, Lisa oder Hanna und sollen dafür sorgen, dass einfache Kundenanfragen umgehend beantwortet werden und nicht das Call Center unnötig belasten. Doch wie sieht der Einsatz von Chatbots in der Praxis aus und wann rechnet sich eine solche Investition?

Erkenntnisse aus dem Praxiseinsatz

Der Einsatz von Chatbots auf Unternehmenswebsites hat zu sehr ermutigenden Ergebnissen geführt, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen. Basis aller Praxisbeispiele sind personifizierte Chatbots, mit denen eine natürlichsprachige Interaktion via Tastatur möglich ist. Die Ausgabe von Seiten der Chatbots erfolgt i.d.R. durch Klartext-Anzeige auf dem Monitor, teilweise in Kombination mit dem Aufruf passender Webseiten, teilweise unterstützt durch akustische Ausgabe.

Coca-Cola

Coca-Cola setzt auf der Corporate-Website einen Chatbot von NativeMinds mit Namen Hank ein. Ziel des Einsatzes ist es, das Volumen an eingehenden eMails und somit die damit verbundenen Support-Kosten niedrig zu halten. Dass es sich hierbei um nicht zu vernachlässigende Kosten handelt, macht das eMail-Volumen von 300–600 pro Tag in Verbindung mit den von Forrester Research ermittelten durchschnittlichen Kosten von US-$ 10 pro Support-eMail deutlich, wodurch monatliche eMail-Support Kosten von über US-$ 150.000 entstehen. Die wesentlich höheren Durchschnittskosten von US-$ 33 pro Call-Center-Anruf sind in diesen Zahlen noch nicht berücksichtigt.

Zur Reduktion dieser Kosten waren für Coca-Cola zwei Ansätze von Bedeutung:

– Reduktion der eingehenden Anfragen
– effizientes Behandeln eingehender Anfragen.

Während für den zweiten Ansatz ein ausgereiftes Customer-Relationship-Management-System (CRM) mit integriertem eMail-Handling wichtig ist, kam zur Verfolgung des ersten Ansatzes ein Chatbot zum Einsatz. Nachdem traditionelle FAQ-Listen nicht die gewünschte Beachtung gefunden hatten und somit nicht zu einer Verbesserung beitragen konnten, wird Konsumenten die Kontaktaufnahme zu Coca-Cola fortan erst nach erfolgloser Befragung des Chatbots ermöglicht. Diese zunächst von der Marketingabteilung bemängelte Einschränkung der Möglichkeit, ein eMail zu senden war aufgrund des Volumens der eingehenden eMails nötig geworden: die zunächst als Kompromiss an die Marketingabteilung mit sofortiger eMail-Möglichkeit ausgestattete Website führte zu einer Verdreifachung der Anfragen.

An der Zahl der dem Chatbot gestellten Fragen von ca. 46.000 pro Woche wird deutlich, dass die Konsumenten nun wesentlich mehr Fragen stellen als dies zuvor via eMail der Fall war. Hierfür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: einerseits ist die Hemmschwelle eines Benutzers bei Einsatz eines Chatbots niedriger als beim Versenden einer eMail und dem damit verbundenen aufwändigen Ausfüllen eines Kontaktformulars; andererseits ist eine Anfrage an den Chatbot selten mit nur einer Frage beendet, es entwickelt sich in der Regel ein längeres Gespräch. Dadurch kann die Interaktivität und die Vermittlung von Wissen über das Unternehmen intensiviert werden.

Mit der Pflege der den Chatbot speisenden Datenbank sind zwei Personen beschäftigt, eine davon Vollzeit. Hierbei werden alle Fragen und die entsprechenden Antworten geprüft und verbessert, wodurch das Wissen des Chatbots kontinuierlich ausgebaut wird und Themen, die für die Konsumenten von Interesse sind, erkannt und implementiert werden. Die Pflege der Datenbank ist sehr einfach und erfordert keine besonderen Programmierkenntnisse, weswegen auch die Kosten für das zuständige Personal günstig sind. Die beschriebenen Erkenntnisse von Reeves u. Nass bzgl. sozialer Interaktion mit dem Computer konnten auch durch die Auswertung der Fragen bestätigt werden: viele der Benutzer unterhielten sich lange und unter Anwendung der sozialen Regeln mit dem Chatbot (bedankten sich etwa für die Beantwortung von Fragen, verabschiedeten sich beim Verlassen der Seite).

Während das eMail-Volumen aufgrund des Wachstums des WWW nach wie vor am Wachsen ist, konnten die gesteckten Ziele erreicht und signifikante Einsparungen realisiert werden. So hatten sich die Investitionen in den Chatbot, die bei NativeMinds im Durchschnitt US-$ 300.000 betragen, auf Basis konservativer Rechnungen durch Kosteneinsparungen nach bereits zwei Monaten amortisiert.

Direkt Anlage Bank

Die Direkt Anlage Bank hat auf der Kundenwebsite einen Chatbot von Kiwilogic im Einsatz. Das Ziel des Chatbot-Einsatzes der Direkt Anlage Bank war die Positionierung des Unternehmens als Online-Berater, die Navigationsführung durch die Website und Kosteneinsparungen durch die Reduktion von Standardfragen in Call-Centern und via eMail. Während des ersten Einsatzmonats haben bereits 12.000 Kunden auf die Wissensbasis des Bots zugegriffen und im Durchschnitt 2–3 Fragen gestellt, die zu 85 Prozent korrekt beantwortet werden.

Die Pflege erfolgt intern durch einen Mitarbeiter, wobei die Wissensdatenbank täglich aktualisiert und Unterhaltungen wöchentlich statistisch ausgewertet werden. Die Investitionen für den Chatbot betrugen € 350.000. Legt man Zahlen von Forrester Research bzgl. der eMail-Support-Kosten von US-$ 10 pro eMail und konservative, von Coca-Cola in diesem Zusammenhang für die Kosten-Nutzen-Analyse angewandte Rechnungen zugrunde, wird schnell deutlich, dass sich diese Investitionen binnen weniger Monate amortisiert haben können. Aufgrund der Schwäche der Finanz- und Kapitalmärkte und der damit verbundenen Entlassungen, waren jedoch keine konkreten Informationen über die Realisierung von Einsparungspotenzialen erhältlich. Trotz dieses von der Direkt Anlage Bank geäußerten, durch die momentanen Rahmenbedingungen bestimmten Mangels an Quantifizierbarkeit, ist sie mit dem Einsatz zufrieden und überzeugt, dass die gesteckten Ziele erreicht wurden.

Hannoversche Lebensversicherung

Die Hannoversche Lebensversicherung setzt einen Chatbot mit Namen Hanna von Novomind ein. Ziel war in erster Linie die Verbesserung der websitebasierten Kommunikationsmöglichkeiten, aber auch die Entlastung der realen Berater. Erkennt Hanna einen konkreten Beratungswunsch, leitet sie den Besucher an den Call-Back-Manager weiter und nutzt so Synergien aus virtueller und realer Beratung. Durch ihr proaktives Vorgehen kann sie Vorbehalte gezielt auflösen, die Website weniger anonym erscheinen lassen und somit den Gesamterfolg steigern.

Aus den Logfiles geht hervor, dass die inhaltlichen Fragen zu einem großen Teil abschließend von Hanna behandelt werden können und sie auch gut mit Smalltalk umgehen kann. Das Ziel der Verbesserung der webbasierten Kommunikationsmöglichkeiten konnte somit erreicht werden. Obwohl diesbezüglich keine konkreten Zahlen vorliegen, geht die Hannoversche Lebensversicherung auch davon aus, dass das Call-Center durch Hanna entlastet wird. Als wichtig schätzt die Hannoversche Lebensversicherung auch die der Website durch den Chatbot zugute kommende Aufmerksamkeitswirkung, die aus den Logfiles zu gewinnenden Trendaussagen und die durch den Spieltrieb bedingte höhere Kontaktfrequenz und Kundenbindung ein.

Net-tissimo.com

Auf der Website war der Chatbot Butler von Artificial Life im Einsatz. Ziel war es, einen in natürlicher Sprache kommunizierenden Verkaufsassistenten mit Produktwissen zur Verfügung zu stellen, der auch Smalltalk mit den Besuchern betreiben kann. Einsparungsziele sind nicht evaluiert worden. Der Chatbot sollte der Hauptgrund für das Aufsuchen der Website sein. Durch den Einsatz des Chatbots auf der Website von Net-tissimo.com konnte die look-to-buy-ratio von 2–4 Prozent auf 10 Prozent gesteigert werden. Net-tissimo.com scheint jedoch wie viele andere dot-com-Unternehmen auch unter dem schlechten Klima der Internet-Branche gelitten zu haben. So wurden die Unterhaltungen und Datenbanken nur die ersten zwölf Monate von zwei Mitarbeitern kontinuierlich ausgewertet und gepflegt, während sie heute brach liegen.

Pro Tag gab es 30–50 Gesprächs-Sessions, die im Durchschnitt 4–5 Sätze dauerten. Die recht zurückhaltende Nutzung begründet Net-tissimo.com CEO Roland Berger mit dem umständlichen Download eines Plug-Ins, das für die Nutzung erforderlich war. Ferner war in den Gesprächen ein Trend zu Gesprächen, die unterhalb der Gürtellinie geführt wurden sowie die Bestrebung, den Bot ins Stottern zu bringen zu verzeichnen.

Die gesteckten Ziele konnte der Chatbot für Net-tissimo.com nicht erreichen.

(Anmerkung der Redaktion: Die Seite von Net-tissimo.com ist mittlerweile im Netz nicht mehr zu erreichen)

Schwäbisch-Hall

Die Bausparkasse Schwäbisch-Hall hat auf ihrer Website einen Chatbot von Kiwilogic im Einsatz. Dieser ist durch den bekannten Bausparfuchs repräsentiert, der seine Antworten zusätzlich mit Sprachausgabe begleitet. Ziel war es, eine Symbiose aus Information, Kommunikation und Unterhaltung zu schaffen, durch die die Besucher spielerisch mit dem Thema Bausparen vertraut gemacht werden und zu einem längeren Verweilen auf der Website angeregt werden sollen.

Diese Ziele konnten erreicht werden: so wurde die Zahl der Besuche deutlich gesteigert, wobei auch der Aufenthalt auf der Website bei Einbezug des Chatbots deutlich verlängert werden konnte. Ein nicht geplanter Nebeneffekt: der Chatbot erhielt aufgrund seiner Sprachausgabe großes Lob von sehbehinderten Menschen.

Zusammenfassung

Interessante Erkenntnis dieser Praxisbeispiele ist die auch an den Chatbots abzulesende Evolution der Website von der reinen Repräsentation des Unternehmens, der Präsenz um des „auch-präsent-Seins“-Willen, zu einem durchdachten Instrument der Unternehmenskommunikation und Geschäftsabwicklung mit strategischer Bedeutung.

Unternehmen der ersten Stunde des Einsatzes von Chatbots auf Corporate Websites wie der deutsche Getränkefabrikant und Net-tissimo.com haben die Transformation noch nicht geschafft und sind noch stark der ersten Generation des World Wide Web verhaftet. Hier ging es häufig darum, möglichst schnell und möglichst ausgefallen präsent zu sein, ohne wirklich eine fundierte Analyse sowohl der Bedürfnisse der Benutzer als auch des Unternehmens in Bezug auf die verfügbar werdenden Daten und Geschäftsmöglichkeiten vorzulagern. Dies schlägt sich auch in der weit verbreitet mangelhaften Reaktion auf via eMail eingehende Anfragen nieder, da viele Unternehmen mangels Analyse nicht auf den Ansturm der aus einer Web-Präsenz resultierenden eMails vorbereitet sind. Dass eine ausgefallene, vollkommen anders als gewohnt strukturierte Website nicht schon allein aus eben diesem Grunde für die Besucher erinnerungswürdig ist und zu wiederholten Besuchen einlädt, mussten erstmals Unternehmen wie Boo.com schmerzhaft feststellen, deren extrem aufwendige Gestaltung hohe Kosten auf Seiten des Unternehmens und hohe Ladezeiten auf Seiten der Benutzer zur Folge hatte. Der Bankrott dieses Unternehmens im Mai 2000 hat eine zweite Generation des World Wide Web eingeleitet und das Sentiment der Investoren grundlegend verändert.

Der Misserfolg eines Chatbot-Einsatzes, der wie bei Net-tissimo.com den Download eines Plug-Ins erfordert, scheint aus heutiger Sicht vorprogrammiert. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der Abstützung des Geschäftsmodells auf Elementen wie Chatbots: dass der Chatbot allein im heutigen Umfeld nicht Hauptgrund für wiederholte Besuche der Website sein kann, wie dies u.a. von Net-tissimo.com angenommen wurde, zeigt deutlich die in mancherlei Hinsicht überhöhten Erwartungen. Der Mangel an Wissen über die Möglichkeiten der Informationsgewinnung über potenzielle Kunden und Konsumenten und deren Bedürfnisse via Internet, der insbesondere bei dem deutschen Getränkefabrikanten offensichtlich wurde, und die Mentalität, eine Website als einmalige Investition zu betrachten, bei der weder eine Analyse von Kosten und Nutzen, von kontinuierlichen Verbesserungsmöglichkeiten noch der entstehenden entscheidungsrelevanten Daten nötig ist, ist typisch für diese erste Generation des World Wide Web.

Im Kontrast dazu stehen Unternehmen wie Coca-Cola, die den Unterschied von erster zu zweiter Generation des World Wide Web deutlich machen: der Einsatz des Chatbots erfolgt nicht um seiner selbst Willen als besonders ausgefallenes und erinnerungswürdiges Tool, sondern es stehen ganz klare Einsparungsziele im Vordergrund. Diese werden kontinuierlich und mit konkreten Zahlen ebenso wie die geführten Unterhaltungen ausgewertet, Verbesserungen werden kontinuierlich eingebracht. Die Website und die Wissensdatenbank des Chatbots wird nie als abgeschlossen betrachtet, sondern ist andauernder, faktengesteuerter Weiterentwicklung und Verbesserung unterworfen. Aber auch über reine Kosteneinsparungen hinausgehende Effekte, wie die Gewinnung von Trendanalysedaten, das persönlichere Ansprechen des Besuchers und seiner Bedürfnisse im proaktiven Dialog oder die Steigerung des Bekanntheitsgrades und der Besuche sind nicht zu unterschätzen und wurden verschiedentlich genannt.

An den Praxiserfahrungen lässt sich deutlich ablesen, dass Unternehmen, die die Transformation von erster zu zweiter Generation des World Wide Web geschafft haben und auf Basis vorhergehender strategischer Überlegungen und begleitender permanenter Evaluationen Chatbots auf ihren Websites einsetzen, sehr vielversprechende Ergebnisse erzielen konnten. Dass der Einsatz eines Chatbots allein jedoch nicht grundlegende Defizite eines Geschäftsmodells ausgleichen kann, die Tendenz zu solchen Annahmen zumindest in der ersten Generation des World Wide Web aber durchaus bestand, ist aus Beispielen wie Net-tissimo.com deutlich geworden.

Das von Net-tissimo.com beschriebene Bestreben der Benutzer, den Chatbot ins Stottern zu bringen, ist häufig anzutreffen. Auswertungen der Log-Files des Chatbots LISA zeigen, dass sich Benutzer teilweise über eine Stunde auf einem hohen Level und erstaunlich erfolgreich mit dem Chatbot unterhalten, um ihn am Ende der Unterhaltung absichtlich ins Straucheln zu bringen und somit seine „Unfähigkeit“ unter Beweis zu stellen. Turkle erklärt dieses Phänomen damit, dass der Benutzer nicht versteht, wie der Chatbot funktioniert und folglich versucht, seine eigene Überlegenheit, die Grenze zwischen Mensch und Maschine unter Beweis zu stellen. Über den Großteil der Unterhaltung dominiert jedoch die Bemühung, die Illusion aufrecht zu erhalten und sogar die eigenen Eingaben so zu formulieren, dass sie für die Maschine verständlich sind und eine sinnvolle Reaktion zur Folge haben.

Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug aus der Publikation „Chatbots in der Kundenkommunikation“ von Alexander Braun. Das Copyright liegt beim Springer Verlag.

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