E-Commerce in Brasilien: Mehr als up to date

„Ordem e Progresso“ – diese beiden Begriffe hat man sich in Brasilien auf die Fahne geschrieben. Ordnung und Fortschritt. Und in der Tat, der Fortschritt hält in der ehemaligen portugiesischen Kolonie (bis 1822), die einst für hervorragenden Kakao und Kaffee berühmt wurde, rasant Einzug. Brasilien – ein Schwellenland, das bekannt ist für Spitzenfußball, tolle Strände, Zuckerhut und Corcovado? Die República Federativa do Brasil ist auf dem Weg zu einer echten Wirtschaftsmacht! Diese Tatsache spiegelt sich nicht nur anhand der Export- und Importzahlen sowie den allgemeinen Wirtschaftswachstumsdaten, sondern auch am Wachstum im Bereich E-Commerce wider.

So gehen die Marktforscher von Forrester Research Inc. davon aus, dass der E-Commerce-Umsatz bis zum Jahre 2016 um satte 178 Prozent auf 22 Milliarden US-Dollar ansteigen wird. Die Kundenbasis: In Brasilien, das 195 Millionen (Volkszählung 2010) hat, beteiligen sich 81 Millionen Internet-Nutzer aktiv an sozialen Netzwerken. Bedeutet, die Brasilianer sind längst im Netz verankert, dazu kommen weitere attraktive Punkte die den Online-Einzelhandel beflügeln: Kostenloser Versand oder zinslose Zahlungsbedingungen

Derzeit macht der Umsatz von Unterhaltungselektronik rund 37 Prozent der Online-Einzelhandelseinkäufe aus. Hauptaugenmerk der brasilianischen Kunden sind mögliche Sonderangebote. Kein Wunder, sind elektronische Produkte auf Grund der hohen Einfuhrsteuern weitaus teurer als in anderen Staaten. So kann ein Laptop in Brasilien doppelt oder gar dreifach so teuer sein wie in den USA. Wer als Tourist in Rio de Janeiro, São Paulo, Salvador da Bahia, Fortaleza oder anderen Städten beispielsweise einen Ersatzakku für seine Mobiltelefon oder einen Speicherchip für seine Digitalkamera kaufen möchte, bekommt die höheren Preise schnell zu spüren und kommt manchmal aus dem Staunen gar nicht mehr raus.

Einer Studie von e-bit / Confiança na Compra Online zufolge wurden im ersten Halbjahr 2011 in Brasilien über das Internet rund 8,4 Milliarden brasilianische Reais umgesetzt. Dies sind umgerechnet rund 3,5 Milliarden Euro. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht allzu gewaltig, doch sei betont, dass dies in etwa der Summe entspricht, die 2008 im gesamten Jahr umgesetzt wurde. Allein im Vergleich zum ersten Halbjahr 2010 ist ein Anstieg von 24 Prozent zu verzeichnen. Die Prognose von e-bit besagt, dass es gesamten Jahr 2011 rund 18,7 Milliarden Reais (7,7 Mrd. Euro / 10,4 Mrd. US-Dollar) werden könnten. Bei den Brasilianern gefragt sind vor allen Dingen Haushaltsgeräte und Geräte der Informationstechnologie. Online weitaus weniger umgesetzt werden Bücher, weitere Druckerzeugnisse sowie Drogerie- und Kosmetikartikel.

Typischer Kiosk in Rio
Typischer Kiosk in Rio
Dies überrascht nicht wirklich, denn Zeitungskioske sind in brasilianischen Innenstädten fast an jeder Ecke zu finden.

Ein Grund, weshalb der E-Commerce-Umsatz so stark steigt, ist zudem die Tatsache, dass bei brasilianischen Usern das Vertrauen in Datensicherheit gestiegen ist. Über zwei Drittel fühlen sich der Studie zufolge im Netz sicherer als vor zwei Jahren. 

Das Verhalten der brasilianischen Konsumenten hat zudem das Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada (IPEA) untersucht. Die Umfrageergebnisse wurden im Juni dieses Jahres auf der Seite des Instituts veröffentlicht. Bereits 2009 hatten 19 Prozent der brasilianischen Internet-User einen Onlinekauf getätigt. Männer (22 Prozent) klickten häufiger den Button „pagar“ (Bezahlen) als Frauen (17 Frauen). Nicht die ganz jungen brasilianischen Nutzer waren 2009 die intensivsten „E-Verbraucher“, sondern die Nutzer im Alter zwischen 35 und 44 Jahren. Nicht überraschen dürfte indes, dass der Anteil der E-Commerce-Nutzer bei Bürgern mit höherem Bildungsniveau und höherem Einkommen größer ist. Allein die Tatsache, dass ärmere Brasilianer eher selten eine Kreditkarte besitzen, nimmt Einfluss auf das Kaufverhalten im Internet. Ebenfalls nicht überraschend ist die Tatsache, dass der Südosten Brasiliens beim E-Commerce weit vorn und der Norden ganz hinten liegt. Da statistisch in städtischen Regionen eher online gekauft wird, liegen die Ballungsräume von Porto Alegre über Rio de Janeiro bis Vitória an der Atlantikküste ganz vorn. Die Bundesstaaten Amazonas, Pará, Rondônia und Mato Grosso in den Weiten des Nordens liegen statistisch im unteren Bereich.

Laut der Studie der IPEA stieg die Zahl der Einzelhändler, die über das Internet ihre Waren bzw. Dienstleistungen anbieten, von 1.305 im Jahr 2003 auf 4.818 im Jahre 2008. Jedoch führt nicht allein der Anstieg der Händler zu einer massiven Umsatzsteigerung. Auch der Ausbau der Breitbandverbindungen, wachsendes Vertrauen der Nutzer und nicht zuletzt die Schulung der Nutzer sind wichtige Faktoren beim E-Commerce.

Schluss mit der reinen Theorie. Hinein ins Netz! „Onde comprar e vender de tudo“ heißt es bei MercadoLivre Brasil, den Online-Shop Nummer 1 des Landes, wo es fast nichts gibt was gekauft oder verkauft werden kann. Klingt ganz nach eBay auf brasilianisch, aber ist doch ein wenig anders: Bei diversen Händlern und Privatverkäufern können Dinge zu festgelegten Preisen erworben werden. In zwölf Raten kann meist gezahlt werden, etwas draufgelegt werden muss dann jedoch. So werden beispielsweise bei einem Tablet Android 2.2 aus 449,90 Reais bei einer Ratenzahlung 521,88 Reais. Jedes Produkt ist mit Twitter und Facebook verknüpft, Fragen können problemlos gestellt und Bewertungen zu den Händlern abgegeben werden. „Seus amigos no MercadoLivre“ – knapp 110.000 User gaben bereits bei Facebook an, dass ihnen diese Seite gefällt. Angeboten wird auf dieser Onlineplattform so ziemlich alles. Vom Volkswagen Santana Baujahr 1991 bis zum Parfum Ricci Ricci für Frauen.

MercadoLibre ist ein multinationales E-Commerce-Unternehmen, das seinen Sitz in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires hat und in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern agiert. So auch als MercadoLivre (portugiesische Schreibweise) in Brasilien. Gegründet wurde die Plattform als Auktions- und Kleinanzeigenportal nach Vorbild von eBay. Inzwischen hat MercadoLibre / MercadoLivre in Lateinamerika eine Monopolstellung, für starke Zuwachsraten ist man gerüstet. Neben Brasilien, wo der mit Abstand größte Umsatz zu verzeichnen ist, sind Argentinien, Mexiko und Venezuela die wichtigsten Absatzmärkte.

Abtauchen und aus der Deckung die Preise vergleichen heißt es bei submarino.com.br. Auf der Startseite sogleich eine Auswahl an technischen Gerätschaften. Zum Beispiel ein Multifunktionsdrucker. De: R$ 699 Por: R$ 599. Worum geht´s? Preisvergleich von verschiedenen Anbietern? Nein, groß geschrieben wird bei Submarino die Ratenzahlung. Sämtliche Modelle werden aufgelistet. Von einer Rate bis zu zwölf Raten – der Käufer hat die Qual der Wahl. Auf Wunsch auch in acht Raten oder in fünf. Auch Produkte zu eher niedrigen Preisen können hierbei in Raten bezahlt werden. Kleingedruckt: Auf Wunsch auch in 24 Raten, dann allerdings mit 1,99 Prozent Zinsen pro Monat. Ob sich hierbei etwas ändern wird? Die brasilianischen Kunden halten sich auf dem Laufenden, über 311.000 folgen Submarino über Twitter. Texte, Videos und einen Blog gibt es auf der Unterseite RADAR Submarino. Auch dieses Unternehmen scheint exzellent vorbereitet zu sein.

Fazit: Die goldene E-Commerce-Zukunft hat längst Rio de Janeiro und den Zuckerhut, Manaus am Rio Negro Manaus, Goiânia am Rio Meia Ponte und die größte Metropole des Landes São Paulo gestreichelt – und ein Ende ist nicht in Sicht.

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