eCommerce im Ersatzteilwesen

Die ETA SA ist eine derjenigen Firmen, die wohl nur Wenige vom Namen her kennen, deren Produkte aber die meisten Menschen hierzulande buchstäblich „rund um die Uhr“ benutzen. Denn das Unternehmen stellt Uhrwerke her und gleich eine ganze Reihe bekannter Marken zählen zu den dauerhaften Auftraggebern. Eine Fallstudie.

Das Unternehmen ETA

In den meisten Uhren der SWATCH Group – dazu gehören Marken wie Omega, Rado, CK, Tissot und viele mehr – ticken Uhrwerke, die von der ETA SA hergestellt werden. Die Produktpalette reicht vom einfachen und preiswerten Werk für niedrigpreissige Uhren bis hin zu hochkomplexen mechanischen Chronograph-Werken.

Die ETA SA beschäftigt weltweit ca. 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch immer mehr ausländische Uhrenhersteller setzen auf die Qualitätsprodukte der ETA, darum ist das Unternehmen heute an über 10 Standorten rund um die Welt vertreten. Die Muttergesellschaft, die SWATCH Group, ist als dominierende Kraft in der Schweizer Uhrenindustrie natürlich auch in der breiten Bevölkerung bestens bekannt.

Die Uhrenindustrie in der Schweiz hat sich nach ihrer großen Krise in den siebziger und frühen achtziger Jahren konsolidiert und steht heute gestärkt da. Trotzdem ist die Konkurrenz v.a. aus dem fernen Osten groß, und besonders im Bereich der Komponentenherstellung, in der auch die ETA tätig ist, besteht ein starker Preisdruck. Dementsprechend sind die Firmen gefordert, sowohl die Effizienz laufend zu erhöhen, als auch ihren Kunden innovative Produkte und vor allem überlegenen Service bieten zu können, denn dies stellt letztlich ein wichtiges Differenzierungsmerkmal dar.

Strategie

eBusiness stand für die ETA von Beginn an unter dem Zeichen der Optimierung ihrer Serviceprozesse. Vorreiter war der Bereich Customer Service der ETA, der sich mit allen Tätigkeiten des After-Sales-Bereichs befasst. Schwergewicht dabei ist der Versand von Ersatzteilen an Repair-Centers und Uhrenmarken sowie die Durchführung von Reparaturen defekter Uhrwerke.

Seit 1996 arbeitet die ETA mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen (IWI-HSG) zusammen, um im Rahmen mehrerer ,,Competence Center“ im Themenbereich des ,,Business Networking“ unterschiedlichste Prozesse zu optimieren. Eines der Resultate dieser Arbeiten war das Projekt, die Supply Chain im Ersatzteilwesen mit der Hilfe von eBusiness-Systemen zu optimieren. Seit den Anfängen haben sich die eBusiness-Aktivitäten aber auch auf andere Prozesse erweitert, spezifisch auf den Bereich der Logistik sowie der Reparaturaufträge.

Die ETA bietet eine breite Palette verschiedener Uhrwerke – ,,Kaliber“ in der Uhrmachersprache – an, die wiederum aus sehr vielen Kleinteilen bestehen. Für die Uhrmacher, die defekte Uhrwerke reparieren, ist es oft sehr schwierig, die genaue Bezeichnung und Bestellnummer eines bestimmten Einzelteils herauszufinden. Weiter erschwerend kommt die so genannte ,,Interchangability“ hinzu, die Tatsache, dass gewisse Teile untereinander austauschbar sind. Beispielsweise kann es sein, dass ein älteres Uhrwerkteil nicht mehr lieferbar ist, dass aber ein neueres Produkt mit anderer Artikelnummer existiert, das der gleichen Zweck erfüllen kann. Diese wichtige Information war bisher für den Kunden kaum zugänglich.

Der Customer Service der ETA ist darum häufig gezwungen, mit viel Zeitaufwand die Kunden bei der Bestellung zu unterstützen und das nicht selten für Teile, die nur einige Rappen kosten. Dieser aufwendige Prozess ist für alle Beteiligten lästig. Darum bot sich die Ersatzteilbestellung als idealer Ansatzpunkt für eine eBusiness-Lösung an.

Die ETA SA entschied sich zur Realisierung einer Web-basierten Bestellanwendung, die ab April 1999 in einem gründlichen Pilottest perfektioniert wurde und seit Dezember 1999 für alle ETA-Kunden verfügbar ist. Als Lösungspartner wurde die namics ag gewählt.

Die eBusiness-Lösung eröffnet den ETA-Kunden eine Fülle von Funktionalitäten zur Vereinfachung ihrer Ersatzteilbestellungen. Der Produktkatalog ist über intelligente Suchmechanismen erschlossen, mit deren Hilfe das gewünschte Ersatzteil auf einfache Weise schnell gefunden werden kann. Auch die ,,Interchangability“ der Teile wird berücksichtigt. Besonders komfortabel für den Kunden ist, dass sich das System automatisch seine jeweils letzten Bestellungen merkt und für die sofortige Wiederbestellung vorschlägt. Dies ist eine deutliche Erleichterung für den Kunden, da viele immer wieder die gleichen Standardteile bestellen.

Die Produktdaten werden laufend direkt aus dem Warenwirtschaftssystem der ETA übernommen, um eine größtmögliche Aktualität sicherzustellen. Zu allen Produkten steht zudem eine ausführliche technische Dokumentation zum sofortigen Download bereit – eine wesentliche Verbesserung und Ergänzung zur alten, rein papiergestützten Verteilung der Dokumentationen.

Mit einem virtuellen Warenkorb kann sich der Kunde komfortabel seinen Auftrag zusammenstellen. Dabei werden auch produktspezifische Eigenheiten wie z. B. Mindestbestellmengen für Teile in Spezialverpackungen automatisch berücksichtigt. Zudem kann der Kunde seine Zahlungsmodalitäten frei wählen, unter anderem auch Kreditkartenzahlung mit automatischer Zahlungsverifizierung. Die Sicherheit während des gesamten Bestellprozesses wird durch eine SSLVerschlüsselung gewährleistet.

Jederzeit kann sich der Kunde mittels des eingebauten Order Trackings über den Status seiner ausstehenden Bestellungen informieren. Sobald eine Bestellung von der ETA abgesendet wurde, kann der Kunde zudem über ein Parcel Tracing den Weg seiner Sendung verfolgen, was besonders bei Auslandbestellungen von großer Wichtigkeit für die Kundenzufriedenheit ist. Diese Funktionalität wurde möglich durch die Einbindung eines Dienstes der Firma inet-logistics aus Österreich. Als neueste Ergänzung können die Kunden über das ,,Repair Tracking“ auch den Status ihrer Reparaturaufträge ermitteln, die sie der ETA übermittelt haben.

2. Teil Implementierung und Erfolgsfaktoren

Die ETA-Lösung entstand nicht in einem Schritt, sondern ist das Resultat mehrerer Projektphasen über inzwischen fünf Jahre hinweg. Am Anfang stand ein Business Process Redesign, das die historisch gewachsenen Prozesse des ETA Customer Service optimierte. Hauptresultat war die Einführung eines zentralen ,,Customer Counters“, der die bisher dezentral eingehenden Bestellungen und Anfragen konsolidiert und effizient in die richtigen Kanäle leitet.

Das eBusiness-Äquivalent dazu ist der oben beschriebene ETA Online-Shop, der ebenfalls in mehreren Prototyp-Phasen entstand. Voraussetzung für die Implementierung war die Bereinigung der Produktdaten, die zuvor nicht in einer vollständigen, auch für Kunden verständlichen Form vorlagen. Die ETA musste fast vier Mannjahre in die Bereinigung dieser Stammdaten investieren. Zudem mussten verschiedene historisch gewachsene Regeln formalisiert und bereinigt werden: Beispielsweise darf nicht jeder Kunde alle Artikel bestellen, es gelten unterschiedliche Rabattstufen.

Pilotkunden wurden von Anfang an in den Entwicklungsprozess des Online-Shops einbezogen, um so schrittweise die ideale Lösung zu entwickeln. Dieses stufenweise Vorgehen stellte sicher, dass der ETA Online-Shop die Erwartungen der Kunden optimal befriedigt. Die so gereifte Lösung wurde schließlich dann stufenweise für alle Kunden freigegeben, zunächst mit einem Fokus auf die größeren Abnehmer. Laufend werden die Feedbacks der Kunden in der Planung der Weiterentwicklung berücksichtigt. So wurden seit der Freischaltung, auf Anregung der Benutzer, verschiedene Features, wie z. B. die personalisierte Standardbestell-Liste, hinzugefügt.

Ein wesentlicher Schritt in der Implementierung war die sorgfältige Kommunikation und Vermarktung der Lösung. Die ETA informierte ihre Kunden mit Mailings, Filmen, Präsentationen und Prospekten ausführlich über die neue Bestellmöglichkeit. Auch viele persönliche Kontakte und Schulungen waren nötig, um die Kunden von den Vorteilen des Systems zu überzeugen. Schließlich musste nicht nur eine technische Hemmschwelle überwunden werden. Schwerer wog, dass mit der Einführung des Online-Shops der Kunde plötzlich strukturierter und präziser bei der Ersatzteilbestellung vorgehen musste und zum Teil den gewohnten, bequemen und fehlertoleranten Service der durch den ETA-CS ,,interpretierten“ Fax- und Briefbestellungen vermisste.

Technisch basiert die Anwendung auf Microsoft-Produkten (Windows NT/2000, Site Server Commerce Edition 3.0 und SQL Server 7.0). Für die Kreditkartenvalidierung werden Produkte von 3C Systems eingesetzt, die Logistikintegration erfolgt über eine XML-Schnittstelle. Diese technische Plattform erwies sich als sowohl relativ kostengünstige als auch sehr flexible Lösung. Es zeigte sich allerdings recht schnell, dass die standardmäßigen Funktionalitäten eines eCommerce-Paketes wie Microsoft Site Server ihre Grenzen haben. Viele der ETA-spezifischen und für den Kunden besonders wertvollen Funktionalitäten mussten eigens ausprogrammiert werden.

Erfolgsfaktoren

Die bisher erzielten Resultate des ETA-Online-Shops können sich sehen lassen, ja sind gar überraschend positiv: Inzwischen werden konsistent mehr als die Hälfte der Ersatzteilbestellungen online abgewickelt, in manchen Monaten bis zu 70 %. Das kurzfristige Ziel der ETA ist es, ca. 75 % der Bestellungen auf die Online-Schiene zu bringen. In der als konservativ geltenden Uhrenindustrie ist diese schnelle Adaption wohl mehr als bemerkenswert.

Dieser Erfolg ist nicht über Nacht gekommen. Das gewissenhaft und strukturiert über mehrere Jahre durchgeführte Prozess-Redesign war eine Grundvoraussetzung der zu Beginn definierten Vision näher kommen zu können. Die Investition in die Aufbereitung der Produktdaten war ein weiterer wichtiger Schrift, der in der Planung vieler eBusiness-Projekte unterschätzt wird.

Der Nutzen sowohl für den Kunden als auch die ETA ist ähnlich gelagert: Durch die Vermeidung von langen Suchzeiten und Irrtümern sowie durch die Bereitstellung präziser Produktinformationen wird der Ersatzteil-Bestellprozess für alle Beteiligten effizienter und einfacher. Die Order-Tracking-Funktionalitäten und das Parcel Tracking erhöhen zudem die Transparenz weiter und helfen bei der laufenden Optimierung der Prozesse.

Entscheidend für die schnelle Akzeptanz auf der Kundenseite war auch die starke Involvierung von Pilotkunden in die Entwicklung der eBusiness-Plattform. Schließlich ist auch die Verwendung einer pragmatisch ausgelegten, flexiblen technischen Infrastruktur eine wichtige Erfolgsvoraussetzung, denn nur so kann im Rahmen eines begrenzten Budgets ein maximaler Kundennutzen erzielt werden.

Für die ETA hat sich klar gezeigt, dass mit eBusiness bemerkenswerte Erfolge und betriebswirtschaftliche Resultate erzielt werden können. Der Weg dorthin ist aber durchaus steinig. Keiner der Projektbeteiligten hätte zu Beginn erwartet, dass insbesondere so viele organisatorische und politische Hindernisse – intern wie extern – auftreten würden. Doch mit einer klaren Vision und dem nötigen Pragmatismus in der Implementierung ist es dem ETA Customer Service trotzdem gelungen, eBusiness erfolgreich einzuführen.

Der vorliegende Beitrag stammt aus der Publikation „Digital Erfolgreich. Fallstudien zu strategischen E-Business-Konzepten“ von Petra Schubert, Dorian Selz und Patrick Haertsch. Erschienen im Springer Verlag.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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