EU und USA: ambitionierter Ansatz zur Harmonisierung der Kommunikationsbranche

Auf der politischen Ebene gibt es Bestrebungen, konsistente Regulierungsvorgaben zu entwickeln, die sowohl den transatlantischen Handel als auch den Wettbewerb und die Innovation in der Kommunikationsbranche fördern. Doch stellt dieses Ziel einen konkreten Schritt hin zu einem transatlantischen Wirtschaftsraum dar oder handelt es sich eher um eine abstrakte politische Absichtserklärung für die ferne Zukunft? Ein Vergleich staatlicher Regulierungsansätze dies- und jenseits des Atlantiks.

Ko-Regulierung in der Telekommunikation: Gegebenheiten berücksichtigen!

Mit dem Rahmenregelwerk zum Wettbewerb bei elektronischen Kommunikationsnetzen und Kommunikationsdiensten aus dem Jahr 2002 hat die EU-Kommission (EUK) eine Rechtsgrundlage für die Telekommunikation (TK) formal verankert. Dieses Rahmenregelwerk sieht vor, dass der Bedarf für regulatorische Eingriffe im Vorhinein über eine Marktanalyse geprüft werden muss.

Demgegenüber verfolgte die USA in Ihrem 1996 verabschiedeten Telecommunication Act (TCA), speziell für die „letzte Meile“ zum Endkunden, zunächst einen ganz anderen Ansatz. Das TCA sollte neuen Anbietern von TK-Diensten den entbündelten Zugang zum TK-Netz des ehemaligen Monopolisten gewährleisten. Dahinter stand die Idee, dass sich neue Unternehmen zunächst als Diensteanbieter schnell im TK-Markt etablieren können, um später dann – gemäß des Investitionsleiter-Modells – eigene TK-Infrastruktur aufzubauen. Dabei setzte der TCA keine Marktanalyse voraus, sah stattdessen einen grundsätzlichen Bedarf für Regulierung in der TK-Branche und begriff die ex-ante Regulierung somit als Regelfall. Der fehlende empirische Beleg für die Notwendigkeit von ex-ante-regulatorischen Eingriffen, den eine fundierte Marktanalyse hätte liefern können, erwies sich schnell als entscheidender Malus des ursprünglichen US-amerikanischen Regulierungsansatzes. So wurde der US-amerikanische TK-Regulierer, Federal Communications Commission (FCC), mit juristischen Prozessen überzogen und entschied sich 2002 schließlich zu einem grundsätzlichen Kurswechsel. Seitdem beschränkt sich die FCC heute weitgehend auf sparsame ex-post-regulatorische Eingriffe. Über den Kurswechsel mit der stärkeren Betonung des Investitionsschutzes will die FCC neue Anreize für Innovationen setzen und die Entwicklung hin zu den TK-Netzen der nächsten Generation (Next Generation Networks, NGN) auf Basis der Internet Protokolls (IP) forcieren.

Beim Umgang mit dem Zielkonflikt zwischen der Förderung des Wettbewerbs und der Förderung der Innovation sind die Unterschiede der beiden abweichenden Ansätze in den USA und der EU gut zu erkennen. Bei der Bewertung verschiedenen Ansätze müssen wir die unterschiedlichen Gegebenheiten der TK-Märkte in den beiden Regionen berücksichtigen. So ist in weiten Teilen der EU der Infrastrukturwettbewerb wenig ausgeprägt. Während Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL) die Szenerie in der EU bestimmt, ist in den die USA ein intensiver Infrastrukturwettbewerb zwischen ADSL und dem TV-Kabel zu beobachten.

Untersuchen wir dagegen die Wettbewerbsverhältnisse bei den TK-Diensten, sehen wir uns völlig anderen Marktstrukturen als bei der TK-Infrastruktur gegenüber. Bei den TK-Diensten ist die Wettbewerbsintensität in der EU deutlich höher als in den USA. Dabei nutzen die Diensteanbieter in der EU zumeist die bestehende Infrastruktur des ehemaligen Monopolisten. Ein deutlicher Trend hin zum Aufbau eigener TK-Infrastruktur – wie es das Investitionsleiter-Modell vorher sagt – zeichnet sich in der EU bislang nicht ab. In den USA entwickelt sich der Dienstewettbewerb dagegen nur schleppend. Da Diensteanbieter – genau wie die Betreiber überregionaler TK-Netze – nicht qua Regulierung sondern qua bilateraler privatwirtschaftlicher Verhandlung einen Zugang zur letzten Meile zum Endkunden erhalten, fällt es diesen Unternehmen ungleich schwerer, ohne enge Kooperationen mit den Betreibern der lokalen TK-Netze im Geschäft mit dem US-amerikanischen Endkunden zu reüssieren.

Unsere Gegenüberstellung der existierenden Ansätze weist auf die wesentlichen Herausforderungen der Regulierung hin. Greift der Regulierer zu stark in den TK-Markt ein, fördert dies zwar den Dienstewettbewerb, die Infrastrukturinvestition jedoch wird tendenziell behindert und der TK-Markt entwickelt sich langsamer. Neigt der Regulierer dagegen eher zu einer Politik des Laissez-faire, fördert dies zwar die Infrastrukturinvestition und damit die Dynamik des TK-Markts, der Dienstewettbewerb jedoch wird tendenziell erschwert. Das EU-Rahmenregelwerk stellt sich grundsätzlich dieser Herausforderung. Dabei sieht sich der im EU-Rahmenregelwerk formulierte Anspruch die Regulierung auf ökonomisch notwendige Bereiche zu begrenzen, allerdings immer wieder im Spannungsverhältnis einer regulatorischen Praxis, die leicht zum Übersteuern neigt.

Letztlich ist die TK-Branche jedoch eine an ein kapitalintensives physisches Netzwerk gekoppelte Dienstleistung. Wegen dieser Kopplung an die innerhalb nationaler Grenzen gewachsene Infrastruktur wird die Telekommunikation auch weiterhin ein national orientiertes Geschäft bleiben. Marktunvollkommenheiten bei internationalen TK-Diensten gehen daher weniger auf fehlende internationale Handelsabkommen oder Beschränkungen bei den ausländischen Direktinvestitionen, als auf die stark voneinander abweichenden Marktgegebenheiten zurück. Wegen dieser unterschiedlichen Gegebenheiten wird sich die transatlantische Kooperation weitgehend auf die Identifizierung von Stärken und Schwächen in der praktischen Umsetzung beschränken müssen.

Beim Aufbau des Very high data rate Digital Subscriber Line (VDSL) TK-Netzes in Deutschland entbrannte 2006 zwischen der EUK und der deutschen Bundesregierung ein heftiger Streit. Dieser Streit rankte sich um die Frage, ob der Betreiber eines neuen Netzes befristet von der ex-ante Regulierung ausgenommen werden soll (Regulierungsferien). Bereits innerhalb der EU wird also sehr kontrovers um die Harmonisierung der Regulierung gestritten. Angesichts der recht unterschiedlichen Marktstrukturen und Regulierungsansätze sind daher die Verlautbarungen zur Harmonisierung zwischen der EU und den USA eher als politische Absichtserklärung für einen längeren Zeithorizont zu verstehen. Es ist also weniger der große transatlantische Ansatz, als das an den jeweiligen Gegebenheiten orientierte regionale Konzept, das in der Praxis die Förderung des Wettbewerbs und der Innovation in Übereinstimmung bringen muss.

Zentrale Vorgaben sind nicht der einzige Weg bei der Harmonisierung: Fallbeispiel RFID-Funkchips“

Neben den Marktverzerrungen ist die Standardisierung im weiten Umfeld der Übertragungstechnologien, insbesondere dank der enormen Effizienzpotenziale, ein überaus wichtiges Thema. Dementsprechend wird die Standardisierung auch immer wieder im Kontext der Ko-Regulierung genannt. Dabei muss die Initiative zur Standardisierung per se nicht zentral von staatlicher Seite ausgehen, sondern kann auch privatwirtschaftlich vorangetrieben werden. Die Praxis zeigt allerdings, dass Bestrebungen zur internationalen Standardisierung – unabhängig vom Initiator – meist nur schleppend vorankamen. Neben dem Mobilfunk der zweiten und dritten Generation (z.B. GSM bzw. UMTS) bietet die Funk-Chip-Technologie (Radio Frequency Identification, RFID) hier gute Beispiele für die Komplexität eines Einigungsprozesses mit vielen Interessengruppen. Im äußerst dynamischen Feld der RFID-Funkchips leistet die von der Privatwirtschaft getragene gemeinnützige Organisation EPCglobal (Electronic Product Code) wichtige Arbeit. EPCglobal macht deutlich, dass bei weltweit akzeptierten Standards eine Einigung zwischen der EU und der USA nicht genügt. Andere Regionen müssen bei der Suche nach harmonisierten Lösungen eingebunden werden. Folgerichtig kommen heute in der EPCglobal Vertreter aus Europa, Amerika und Asien zusammen, um gemeinsame Standards bei der Software, der Funkleistung und dem Frequenzbereichen festzulegen. Dieser Blickwinkel liegt nahe, da das Geschäftspotenzial des RFID-Systems direkt von der Funkleistung und dem Frequenzbereich abhängt. Doch während die technische Entwicklung im Bereich RFID rasend schnell voran schreitet, konnten die in der EPCglobal organisierten Parteien bis heute keinen weltweit gültigen Standard finden.

Fazit: Zwischen abstrakter Formulierung und konkreter Umsetzung klafft noch eine große Lücke

Unsere Analyse der Harmonisierungsanstrengungen der Kommunikationsbranche in den USA und der EU führt uns zwei Ergebnisse deutlich vor Augen. Zum einen verhindern die stark unterschiedlichen Marktgegebenheiten in den USA und in der EU eine einheitliche Regulierung des TK-Marktes. Zum anderen zeigt das Beispiel der privatwirtschaftlich organisierten Standardisierung der RFID-Funkchips, dass Harmonisierung auf der einen Seite per se nicht zentral vom Staat ausgehen muss, dass sie aber auf der anderen Seite – unabhängig vom Initiator – immer einen langen Atem erfordert. Dieser lange Atem muss dabei weit über das Denken in politischen Legislaturperioden hinausgehen.

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