Internetnutzung in Europa – ein Puzzle mit 1000 Teilen?

Trotz aller – zum Teil erheblichen – regionalen Unterschiede zeigt sich in Europa inzwischen eine einheitliche Tendenz: Immer mehr Internet-Nutzer bringen immer höhere Umsätze. Und auch wenn die rasanten Wachstumsmarken der Jahre 2000 und 2001 inzwischen nicht mehr erreicht werden, darf nach wie vor von einer sehr dynamischen Entwicklung auf dem alten Kontinent gesprochen werden.

Alte Erkenntnisse behalten hierbei allerdings zunächst weiterhin Gültigkeit: So schwächen sich die Unterschiede zwischen den skandinavischen „First Internet Movern“ und den südosteuropäischen „Online-Spätstartern“ zwar fortlaufend ab, die Kluft zwischen den „Kulturen“ ist aber weiterhin enorm. Nicht nur, dass sich international ausgerichtete Unternehmen mit einer Vielzahl von Sprachen, Kulturen und Religionen auseinander setzen müssen, auch bei der Internetnutzung ist Europa alles andere als eine homogene Gemeinschaft. Einerseits ist der prozentuale Anteil der Internet-Nutzer fast nirgends (außer in Hongkong und Singapur) so hoch wie in Skandinavien. Andererseits liegt der Anteil der Internetnutzer in osteuropäischen Ländern wie Weißrussland oder der Ukraine bei lediglich ein bis zwei Prozent.

Europa schließt zu den USA auf
Nutzten 1999 gerade einmal 19 Prozent der Europäer im Alter von über 16 Jahren regelmäßig das Internet, lag ihr Anteil Ende 2001 nach Schätzungen von Forrester Research bereits bei 43 Prozent, was einer Nutzerzahl von 127 Millionen entspricht. Ende 2006 sollen dann etwa 200 Millionen (67 Prozent) Europäer das Netz der Netze bevölkern. Die Gründe für diese rasante Entwicklung sieht Reineke Reitsma, Analystin bei Forrester Research, insbesondere im hohen Kommunikationsbedürfnis sowie in sinkenden PC-Preisen und der zunehmenden Verfügbarkeit von Internetzugängen an öffentlichen Plätzen. Vor allem die südeuropäischen Regionen wie Italien, Spanien und Frankreich sollen innerhalb Europas mit 32 Prozent den höchsten Zuwachs verzeichnen können. Nordeuropa wird dagegen bereits Ende nächsten Jahres eine Internet-Sättigung (70 Prozent) erreichen.

Europa und B2C
Die europäischen Online-Händler dürften 2002 zuversichtlich in die Zukunft blicken können. So rechnen die Analysten von Forrester Research auch in ihrer jüngsten (leicht nach unten korrigierten) Einschätzung damit, dass 2006 von Europas eTailern nicht weniger als 147,5 Milliarden Euro umgesetzt werden. Für dieses Jahr werden 32,8 Milliarden Euro Umsatz erwartet. Eher außergewöhnlich klingt die Erklärung für das bemerkenswerte Online-Wachstum trotz Konjunkturkrise: Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation werde das Web vielmehr attraktiver, insbesondere für die preisbewussteren Einkäufer. Und auch wenn sich die ökonomische Lage wie erwartet im Jahr 2003 entspanne sei damit zu rechnen, dass diese Internet-Käufer weiterhin treue Online-Shopper bleiben. Jaap Favier, Research Director bei Forrester Research, kommentiert dies folgendermaßen: „Die Konsumenten werden im Jahr 2003 gut 57 Prozent mehr online ausgeben als 2002. Insbesondere Schnäppchenjäger werden dabei als überzeugte Online-Shopper mehr und mehr ihrer Einkäufe im Web erledigen.“

Nutzersprung durch UMTS und WLAN?
Allein über die derzeit stark in Mode gekommenen WLAN-Hotspots sollen bis zum Jahr 2006 laut Frost & Sullivan rund 20 Millionen Europäer mit ihren PDAs und Laptops in Hotels, auf Flughäfen, in Restaurants, auf Messen oder auch in Einkaufszentren ins Netz gehen. Dies dürften jedoch nicht unbedingt „Netz-Newbies“ sondern eher so genannte „Advanced User“ sein, weshalb auch nicht mit einem relevanten Ansteigen der Gesamtnutzerzahlen zu rechnen ist. Mehr oder minder vollkommen im Dunkeln tappen die Marktforscher noch bei den prognostizierten UMTS-Nutzerzahlen, die schon eher einige neue Internet-Nutzer hervorrufen dürften. Ob allerdings wirklich – wie von MobilCom noch im vergangenen Jahr prognostiziert – bereits Ende 2003 schon 40-50 % der Deutschen auf UMTS-Handy zurückgreifen können, bleibt nach der erneuten Verschiebung des Startzeitpunktes mehr als fraglich.

Wo werden die eCommerce-Umsätze generiert?
Das letzte Weihnachtsgeschäft brachte es wieder einmal an den Tag: Innerhalb Europas sind es vor allem britische und deutsche Online-Händler, die hohe Umsätze verzeichnen können. Von den geschätzten 4,1 Milliarden Euro „Weihnachtsumsatz“ entfallen laut Forrester Research mehr als die Hälfte (2,6 Milliarden Euro) auf Großbritannien (1,4 Milliarden Euro) und Deutschland (1,2 Milliarden Euro). Im Vergleich zum Vorjahr konnte Gesamteuropa eine Umsatzsteigerung von 60 Prozent verzeichnen. Ein Grund für diesen eCommerce-Boom: Die Zahl der Internetnutzer ist zwischen Januar und Oktober 2001 allein in Deutschland um 24 Prozent, in Großbritannien um 31 Prozent sowie in Frankreich um 35 Prozent gestiegen. Dabei sollte jedoch auch bedacht werden, dass nur 12 Prozent der Nutzer innerhalb ihrer ersten sechs „Internet-Monate“ bereits auf Shopping-Tour gehen und erst mit zunehmender Online-Erfahrung auch die Investitionsbereitschaft steigt. Ein Ergebnis, das die meisten eTailer mit Freude vernehmen dürften.

Deutschland – die Masse macht’s
Mit mehr als 30 Millionen regelmäßigen Internet-Surfern stellt Deutschland die zahlenmäßig stärkste Nutzergruppe innerhalb Europas. Auch bei der Anzahl der Breitbandzugänge erzielt man hierzulande respektable Werte. So konnte allein die Telekom bereits Ende 2001 den bundesweit zwei millionsten DSL-Kunden begrüßen. Und laut Unternehmensinfo kommen derzeit wöchentlich 70.000 neue Breitband-Nutzer hinzu. Die mehr als 30 Millionen Internetnutzer scheinen darüber hinaus immer stärker am Einkauf im Internet Gefallen zu finden. Für 2002 erwartet der HDE (Hauptverband des Deutschen Einzelhandels) immerhin Online-Umsätze in Höhe von acht Milliarden Euro, wodurch der Anteil des Online-Shoppings am gesamten Einzelhandelsumsatz bei etwa 1,6 Prozent liegen würde. Der Löwenanteil entfällt dabei auf die Internet-Dependancen der Versandhäuser von Quelle, Otto & Co. Dagegen glänzen deutsche Unternehmen laut Empirica-Studie im internationalen Vergleich vor allem durch Internet-Präsenz, während bei der aktiven Nutzung des Mediums für Vertrieb oder Datenaustausch noch Nachholbedarf besteht.

Skandinavien – Internet Nutzer mit Spendierhosen
Die skandinavischen Internet-Nutzer sind mit Abstand am „ausgabefreudigsten“ im Netz. Mit knapp 364 Euro pro Jahr und User führen die Finnen bei den Pro-Kopf-Umsätzen die europäische Rangliste an. Es folgt Norwegen mit 333 Euro, aber auch Dänemark (304 Euro) und Schweden (302 Euro) liegen noch knapp vor Deutschland (295 Euro). Dies stellt jedenfalls das Vermarktungsunternehmen IP Deutschland in seiner Studie „Internet 2001“ fest. Dabei ist die technische Infrastruktur in den meisten skandinavischen Ländern bekanntermaßen besonders gut. So dürfte die Internet-Nutzung in Finnland nicht nur zufällig zur europäischen Spitze gehören. Beim Kosten-Vergleich der privaten Internet-Nutzung in Europa wird sofort augenfällig, dass finnische Surfer die niedrigste Provider-Rechnung erhalten. Im Vergleich zu Ländern wie Portugal oder auch Belgien fallen nicht einmal die Hälfte der Onlinekosten an.

Großbritannien – keine Scheu vorm Online-Shopping
Nirgendwo sonst auf dem Kontinent landet in der Summe mehr Geld in den virtuellen Kassen als jenseits des Kanals. Bereits über 50 Prozent der Nutzer haben von der Möglichkeit des Online-Shoppings mindestens einmal Gebrauch gemacht. Auch ist der prozentuale Anteil der Unternehmen, die online verkaufen mit über 35 Prozent in Europa unangefochten Spitze. Darüber hinaus scheinen die britischen Internet-Nutzer besonders reisefreudig zu sein: 25 Prozent aller britischen Internetnutzer rufen laut NetValue Reise-Webseiten auf, womit Großbritannien eine weitere europaweite Führungsposition einnimmt. Ferner soll bis Ende nächsten Jahres die Hälfte der britischen Haushalte mit digitalem Fernsehen (DTV) ausgestattet sein. Damit hätte Großbritannien weltweit die höchste Verbreitung von DTV, wobei die Analysten von Jupiter MMXI einschränkend hinzufügen, das die über interaktive Dienste im Fernsehen erzielten Umsätze auch 2002 weiterhin eher niedrig ausfallen dürften.

Irland – „Shopaholics“ auf der grünen Insel
Die Iren haben zwar erst relativ spät die Möglichkeiten des Internet-Shoppings für sich entdeckt, weisen heute jedoch einen sehr hohen Anteil an Online-Shoppern auf. In Irland leben laut Amazon-Studie die meisten so genannten „Shopaholics“ – soll heißen: 11 % der Iren besuchen Online-Geschäfte mehr als 21-mal pro Monat, das ist doppelt so häufig wie der europäische Durchschnitt. Besonders intensiv wird dabei der Arbeitsplatz für die virtuelle Einkaufstour genutzt. Die Iren sind diejenigen, die am häufigsten von ihren Büro-PCs und am wenigsten von ihren Heim-PCs aus einkaufen. Zusammen mit Großbritannien weist Irland das ausgeglichenste Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Online-Shoppern auf – 46 % der Online-Käufer sind Frauen.

Italien – Im Mittelfeld zu Hause
Während Italien, was Nutzerzahlen und eCommerce-Umsätze betrifft, sich im europäischen „Niemandsland“ befindet und dabei weder überragend große noch verschwindend geringe Werte aufzuweisen hat, können italienische Unternehmen in einigen B2B-Bereichen Spitzenpositionen für sich verbuchen. So tauschen 73 Prozent der im Netz präsenten Betriebe laut Empirica Untersuchung ihre Daten online mit Partnern der Wertschöpfungskette aus. Auch nutzen 60 Prozent der in dieser Studie untersuchten „Internet-Betriebe“ Online-Dienste für die Beschaffung von Vorprodukten, Produktionsmitteln und Dienstleistungen. Obgleich prozentual gesehen in Italien nur relativ wenige Betriebe im Internet präsent sind, so sind diese jedoch immerhin sehr aktiv.

Frankreich – Nichts Neues im Westen?
Zu den Spätstartern in Sachen Internet zählen auch zweifelsohne die Franzosen. Zwar ist bei unseren westlichen Nachbarn mittlerweile ein überdurchschnittliches Wachstum der Nutzerzahlen zu verzeichnen, doch mit insgesamt 12,6 Millionen Internet-Nutzern liegt die „Grande Nation“ prozentual gesehen sogar noch hinter Estland. Auch was die Internetnutzung in Unternehmen anbelangt, nimmt Frankreich eine wenig rühmliche Position ein: Während in Großbritannien 88 Prozent aller Unternehmen das Netz der Netze auf die eine oder andere Art und Weise nutzen, liegt diese Quote laut Taylor Nelson Sofres in Frankreich bei gerade einmal 36 Prozent.

Griechenland – Die Internet-Diaspora
Griechenland bildet das EU-Schlusslicht, was die Internet-Nutzung der Haushalte (unter 10 Prozent) betrifft. Das eigentlich Verwunderliche daran ist die Tatsache, dass dieser Anteil – gemessen am vergangenen Jahr – nahezu unverändert geblieben ist. Darüber hinaus sind Griechenlands Internet-Nutzer die einzigen in der Eurozone, die gänzlich ohne eigenes Breitbandangebot auskommen müssen.

Südosteuropa – starkes Wachstum auf niedrigem Niveau
Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Slowenien verzeichneten zum Ende des Jahres 2001 insgesamt gerade einmal 2,7 Millionen Internetnutzer. Ein Wert, der gerade einmal einem Zehntel der deutschen Nutzerzahl entspricht. Doch soll dieser Wert bis 2006 auf 6,5 Millionen ansteigen und damit 18 Prozent der gesamten Bevölkerung erfassen, so jedenfalls die Ergebnisse einer Studie von IDC. Dennoch sind selbst in dieser Region auch noch große Unterschiede auszumachen. In Slowenien erreichte die Internet-Penetrationsrate Ende des vergangenen Jahres 25 Prozent. Damit nimmt dieser Staat unangefochten eine Spitzenstellung in Mittel- und Osteuropa ein und übertrifft eben selbst Griechenland. Dagegen sind in Rumänien lediglich knapp 5 Prozent der gesamten Bevölkerung im Internet anzutreffen. Auch eBusiness steckt in Südosteuropa noch in den Kinderschuhen. Die Umsätze betrugen für 2001 gerade einmal 30 Mio. US$. Dennoch soll bis 2005 der elektronische Handel schnell an Bedeutung zunehmen: die Umsätze werden dann Einschätzungen zufolge immerhin 650 Mio. US$ erreichen.

Eine Gleichverteilung lässt auf sich warten
Während in einigen skandinavischen Ländern bereits im nächsten Jahr eine vorläufige Obergrenze der Nutzerzahlen zu erwarten ist, wird dieser Sättigungsgrad in Ost- bzw. Südosteuropa in naher Zukunft nicht annähernd zu erreichen sein. Dies liegt jedoch nicht etwa daran, dass die Technikbegeisterung in diesen Ländern zu gering ist (ganze Heerscharen von osteuropäischen IT-Kräften belegen schließlich das Gegenteil) sondern schlicht und ergreifend an der wirtschaftlichen Situation. Der technologischen „Einheit Europas“ muss demzufolge zunächst einmal eine ökonomische Annäherung vorangehen.

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