Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland macht die Menschen besorgt. Dass zunehmend Produktionsprozesse ins Ausland verlagert werden, wird dabei gegenwärtig als einer der wesentlichen Gründe für den Arbeitsplatzabbau angeprangert: Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der IT- und TK-Branche, denn IT-basierte Prozesse sowie digitalisierbare Dienstleistungen sind prädestiniert dafür, sogar über große Distanzen aus Niedriglohnländern bezogen zu werden.
In der öffentlichen Wahrnehmung setzt sich der Eindruck fest, dass deutsche Firmen massiv Arbeitsplätze in der Heimat abbauen, um sie in Osteuropa, Indien oder China anzusiedeln. Als Offshore-Outsourcing oder Offshoring wird dieser brisante Trend heftig diskutiert.
Dabei unterscheiden sich öffentliche Wahrnehmung und faktische Bedeutung in der aktuellen Offshoring-Debatte ganz erheblich. Ein sachlicher Umgang mit dem Thema ist daher notwendig. Mit diesem Ziel haben BITKOM und Deutsche Bank Research gemeinsam 572 Firmen befragt, die Offshoring-Dienstleistungen anbieten bzw. nachfragen. Im Einzelnen wurde nach Prozessen gefragt, die gegenwärtig und in Zukunft verlagert werden. Motive und Effekte von Offshoring wurden ebenso erfasst wie die geografischen Dimensionen des Offshorings und die Einschätzung der Arbeitsplatzwirkungen. Die Ergebnisse werden in diesem Report detailliert vorgestellt.
Globalisierung erreicht Dienstleistungen
Dass Produktionsprozesse ins Ausland verlagert werden, ist grundsätzlich nicht neu. In der industriellen Fertigung geschieht das seit langem. Zunehmend werden aber auch Dienstleistungen und besonders IT-basierte Prozesse von der Globalisierungswelle erfasst, denn der technische Fortschritt hat ihre Natur verändert. Vor dem digitalen Zeitalter waren Dienstleistungen zwingend am selben Ort und zeitlich simultan zu erstellen sowie zu verbrauchen. Inzwischen nimmt der Anteil der Dienstleistungen aber immer stärker zu, bei denen der persönliche Kontakt zwischen Produzent und Konsument nicht mehr erforderlich ist. Die moderne IT erlaubt es, informationsintensive Dienstleistungen zu digitalisieren, etwa die Ergebnisse vieler Bürotätigkeiten. So können sie ohne nennenswerten Aufwand als Computerdateien gespeichert und kopiert werden. Außerdem erlaubt das Internet, digitale Güter global zu vertreiben und zu handeln. Selbst zwischen Industrieländern und den Emerging Markets sind die Datenleitungen heute hinreichend stabil dafür. Das ebnet den Weg, die Wertschöpfung auch im Dienstleistungssektor im Raum zu verteilen und Standortvorteile global zu nutzen.
Offshoring erhöht Produktivität und gesamtwirtschaftliche Nachfrage
In der gesamtwirtschaftlichen Perspektive senkt Offshoring die Kosten des heimischen Dienstleistungssektors und ganz besonders die Kosten für ITK-Dienstleistungen. Die Prozessinnovation Offshoring führt dazu, dass die Produktivität der Unternehmen steigt. Die Gewinne der Eigentümer fallen höher aus. Das zieht wiederum neue Anbieter an. Sodann intensiviert sich der Wettbewerb, und die Margen sinken wieder.
Nachfrageseitig wird die Kaufkraft der Kunden dadurch erhöht, dass Dienstleistungen günstiger angeboten werden. Die niedrigeren Kosten der Produktion verringern die Preise der erstellten Güter und Dienstleistungen für den bestehenden Kundenstamm. Aber auch kleinere Firmen können so als Kunden gewonnen werden. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird angeregt, Wachstum wird generiert, und es werden Arbeitsplätze in anderen Unternehmen geschaffen.
Vorreiter USA
Tatsächlich nutzen Unternehmen der ITK-Branche die Kosten und Qualitätsvorteile anderer Standorte, seitdem dies technisch möglich geworden ist. Sie wollen ihre globale Wettbewerbsfähigkeit erhalten oder steigern. Allen voran sind die großen US-amerikanischen ITKFirmen Mitte der 90er Jahre als Pioniere besonders nach Indien gegangen. Große Finanzkonzerne zogen nach. In der Globalisierung ihrer Wertschöpfungsketten liegt ein Grund für die wirtschaftliche Dynamik der USA in der letzten Dekade. Wissenschaftliche Schätzungen kommen zu dem Ergebnis, dass die USA zwischen 1995 und 2002 um jährlich 0,3 Prozentpunkte geringer gewachsen wären, hätten die Firmen auf IT-Offshore- Outsourcing verzichtet. Inzwischen gehen immer mehr Länder „offshore“, und andere Standorte neben Indien gewinnen an Bedeutung.
Handlungsbedarf für deutsche ITK-Branche
Auch deutsche Firmen der ITK-Branche können sich diesem globalen Trend nicht entziehen. Auch sie müssen ihre Wertschöpfungsketten global restrukturieren und optimieren, wollen sie im internationalen Wettbewerb nicht zurückfallen oder sogar auf dem Heimatmarkt Boden verlieren. Die Qualitäts-, Effizienz- und Kostenvorteile leistungsfähiger Offshoring-Anbieter in das Wertschöpfungsportfolio zu integrieren, ist daher eine notwendige Voraussetzung für eine starke heimische ITK-Branche, die hochwertige Arbeitsplätze sichert und schafft.
Innovationen statt Protektionismus erforderlich
Die Vorteile des Offshoring sollen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der strukturelle Wandel auch einzelne Verlierer hervorbringt. Vereinzelt wurden Rufe nach protektionistischen Eingriffen laut, um die befürchteten Arbeitsplatzverluste zu stoppen. Diesseits wie jenseits des Atlantiks wurde gefordert, nationalen Sand ins globale Getriebe zu streuen. Diese Rechnung wird jedoch nicht aufgehen, denn der Erfolg protektionistischer Maßnahmen ist von kurzer Dauer. Vielmehr gilt es, sich den anstehenden Herausforderungen aktiv zu stellen. Hierfür ist die aktuelle Situation einer genauen Analyse zu unterziehen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Report an. Dazu gehört ferner, die Rahmenbedingungen des heimischen Standortes so attraktiv zu gestalten, dass er im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Das beinhaltet einen Arbeitsmarkt, der flexibel genug ist, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, und ein leistungsfähiges Bildungssystem, das kluge Köpfe und leistungsorientierte Unternehmer in großer Zahl hervorbringt. Nur über ihre Innovationen ist der Kompetenzvorsprung zu halten, der hohe Löhne und Gehälter rechtfertigt und einen hohen Beschäftigungsstand sichert.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: Risiken überschätzt, Chancen stärker nutzen
Als eine der wichtigsten Erkenntnisse der Umfage zeigt sich, dass die Arbeitsplatzwirkungen der Prozess-Verlagerungen bei ITgetriebenen Dienstleistungen sich für Deutschland in Grenzen halten. Sowohl die Kunden als auch die Anbieter von Offshoring- Dienstleistungen erwarten, dass die Auswirkungen auf die Beschäftigung, die durch Offshoring ausgelöst werden, saldiert keine dramatischen Dimensionen erreichen werden. Bei isolierter Betrachtung wird zwar in der Zukunft der Abbau von Arbeitsplätzen im Inland erwartet. Aber immerhin auch fast ein Drittel der befragten Kunden bzw. fast ein Viertel der Anbieter schätzt, dass die Personalbestände sogar um 5% oder mehr in den nächsten 5 Jahren wachsen werden.
Offshoring in Deutschland in den Startlöchern
Das Offshoring-Geschäft insgesamt startet in Deutschland von einem niedrigen Niveau aus. Allerdings wird in den Erwartungen der Befragten auch deutlich, dass die Dynamik in Zukunft zunehmen wird. Entsprechend gehen derzeit noch relativ wenige Projekte und Prozesse aus Deutschland ins Ausland, und die Umsätze sind noch gering. Aber bei den Unternehmen besteht ein breiter Konsens, dass sowohl der Umsatz mit als auch die Gesamtnachfrage nach Off-shoring-Dienstleistungen in den nächsten Jahren deutlich steigen werden.
Das Geschäft mit Offshoring ist in Deutschland nur langsam in Fahrt gekommen. Während fast ein Drittel der Anbieter nach eigenen Angaben seit über 10 Jahren Offshoring-Dienstleistungen anbietet, ist das breitere Interesse auf der Nachfrageseite erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre erwacht.
Kosten senken dominierendes Motiv
Ähnlich wie in der Industrie sind es vor allem die Kosten, die westliche Unternehmen dazu bewegen, Prozesse ins Ausland zu verlagern. Das ist keine Überraschung. Aber wie schon in früheren Globalisierungsphasen wirken noch andere Treiber. Wenn etwa die erforderlichen Fachkräfte im Heimatland nicht zu finden sind, kann die Produktion in Länder verlegt werden, die reichlich über die jeweiligen Experten verfügen. Um neue Märkte in bevölkerungsreichen dynamischen Wachstumsregionen zu erschließen, ist lokale Präsenz oftmals erforderlich. Schließlich kann die unterschiedliche Qualität der Standorte (z.B. unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen) auf die Entscheidung eines Unternehmens wirken, Dienstleistungen aus dem Ausland zu beziehen.
Die Umfrage ergab, dass vor allem die Steigerung der Flexibilität und die Konzentration auf das Kerngeschäft, aber auch der Zugriff auf besonders spezialisiertes Personal weitere wichtige Faktoren hinter dem Kostenmotiv darstellen. Die Anbieter von Offshoring- Dienstleistungen schätzen das Einsparpotenzial dabei deutlich höher ein als ihre Kunden. Ohnehin fallen die Urteile zur Machbarkeit und den Erfolgen der Prozessverlagerung auf der Anbieterseite etwas positiver aus. Das mag an ihrer größeren Erfahrung liegen, möglicherweise auch an ihrem spezifischen Geschäftsinteresse.
Klare Unterschiede bei Prozessen
Gleichwohl kommen bislang nur Prozesse für die räumliche Verlagerung in Frage, die bestimmte Merkmale aufweisen. Sie müssen standardisiert, modular und in der Zusammenarbeit einfach zu handhaben sein. Spezifische Prozesse, die zum Kerngeschäft gehören, eignen sich dagegen kaum, um interkontinental umgesiedelt zu werden. Sind regelmäßig Rückfragen oder große Vertrautheit erforderlich bzw. sind die Schnittstellen sehr komplex, bringen unterschiedliche Zeitzonen, sprachliche sowie kulturelle Unterschiede das Geschäftsmodell oftmals zum Scheitern. Zu stark fallen Aufwand und Kosten für Anbahnung, Abstimmung, Monitoring und Korrekturen der Prozesse ins Gewicht.
Prädestiniert für Offshoring sind daher branchenunabhängige, unterstützende Prozesse ohne direkten Bezug zum Endkunden. Es handelt sich dabei vielfach um Backoffice-Aufgaben. Das wird durch unsere Umfrage bestätigt.
Als ganz besonders geeignet gelten Anbietern und Nachfragern von Offshoring-Dienstleistungen ITK-Prozesse, allen voran die Anwendungsentwicklung. Ihr modularer Charakter und die Vielzahl standardisierter Abläufe erleichtern die Kooperation über große Distanzen. Auf der Kundenseite ist die Skepsis gegenüber der Verlagerung insgesamt etwas größer, und um so größer, je näher ihr Bezug zu den Kerngeschäftsfeldern rückt und je weniger IT-lastig sie sind.
Osteuropa wird an Bedeutung gewinnen
Abzusehen ist auch, dass sich bei den bevorzugten Standorten der Verlagerung die Entwicklung in Deutschland zumindest teilweise anders gestalten wird als im angelsächsischen Raum. Zwar wird Indien auch für die kontinental-europäischen Partner nach wie vor eine bedeutende Rolle als Offshoring-Region spielen. Zu groß ist der Pool an etablierten Firmen mit langjähriger Erfahrung und hoch qualifizierten Fachkräften zu günstigen Konditionen. Derzeit decken sie fast 90 Prozent des west-europäischen Offshoring- Handelsvolumens ab. Gleichwohl werden die mittel- und osteuropäischen Staaten einschließlich Russland an Bedeutung gewinnen. Die kulturelle, sprachliche und räumliche Nähe erleichtert die Zusammenarbeit.
Unsere Umfrage ergab konkret, dass Indien derzeit zwar der wichtigste Offshore-Standort im ITK-Bereich ist. Aber Osteuropa macht immer mehr Boden gut. Speziell die Nachfrager haben stärkeres Interesse an Partnern aus Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ungarn, den geographisch nahen östlichen Nachbarn. Auch China gewinnt an Gewicht, ist jedoch weit von der Bedeutung entfernt, die es im industriellen Sektor erreicht hat.
Hohe Akzeptanz von Offshoring
Insgesamt sind die Erfahrungen der Kunden positiv. Zwei Drittel der befragten Unternehmen sind mit ihren bisherigen Offshoring- Kooperationen zufrieden bis sehr zufrieden, und über die Hälfte sieht ihre Erwartungen bestätigt bis übertroffen.
Dennoch verläuft beim Offshoring nicht alles reibungslos. Qualität, Termine und Kosten einzuhalten, ist aus Sicht der Anbieter von Offshoring-Dienstleistungen die größte Schwierigkeit, der sie sich mit Blick auf ihre deutschen Kunden in der praktischen Umsetzung ihrer Projekte stellen müssen. Aus Kundensicht erschweren insbesondere die Unterschiede in Mentalität und Kultur die praktische Umsetzung der Offshoring-Projekte.
Offshoring in Deutschland nimmt also als Geschäftsmodell der ITKBranche allmählich Fahrt auf. Das ist eine wichtige Botschaft für alle, die vom Strukturwandel in der Branche betroffen sind: Anbieter, Kunden und Mitarbeiter. Das Tempo und die Dimension waren dabei in der Vergangenheit offensichtlich moderater als es die Schreckenszenarien der öffentlichen Wahrnehmung vermuten ließen. Das ist allerdings nur eine bedingt gute Nachricht. Der Rückstand Deutschlands beim Offshoring bedeutet nämlich gleichzeitig, dass die Chancen des Geschäftsmodells im internationalen Wettbewerb noch nicht hinreichend genutzt worden sind. Es besteht Nachholbedarf. Auf dem weiteren Weg ist wichtig, die Stärken der Offshoring-Standorte, die Fallstricke in der Kooperation und die Erwartungen der Kunden zu kennen. Hierbei will der Offshoring-Report 2005 einen Beitrag leisten. Die vollständige Studie steht zum kostenlosen Download bereit bei DB Research.