Pay as you drive – Unvermeidliches Übel oder verkannte Chance?

Es steht nicht unbedingt gut um die Zukunft von Versicherungsunternehmen in der Autobranche: Neben hohen Kosten und Schadenquoten haben sie auch noch mit sinkenden Prämien zu kämpfen. Gleichwohl nimmt die Zahl der Kunden langfristig ab, denn Versicherungen sind Low-Involvement-Produkte ohne Neuigkeitswert. „Pay as you drive“ könnte Auswege aus der Sackgasse bieten.

An der Schwelle zum Verdrängungswettbewerb: Die Situation im Kraftfahrtversicherungsmarkt

Kunden wechseln häufiger den Anbieter. Etwa 90 Gesellschaften kämpfen im Markt für Kraftfahrthaftpflichtversicherungen (KH-Versicherungen) um Kunden und setzen den Preis als Argument für ein vermeintliches Türöffnerprodukt ein. Im letzten Quartal eines jeden Jahres entbrennt der Kampf um Wechselkunden. Eine Handelsblatt-Umfrage bei zwölf großen Versicherungsunternehmen ergab, dass 2005 so viele Versicherungsnehmer wie nie zuvor ihre Kfz-Versicherung wechselten. Ein auf Tarif vergleiche spezialisiertes Unternehmen quantifizierte die Anzahl der Wechsler für jenes Jahr auf vier Millionen – demnach fast jeder zehnte Versicherungsnehmer.

Sind Preisunterschiede der wichtigste Wechselgrund? Große Preisunterschiede in einem transparenter werdenden Markt veranlassen auf lange Sicht immer mehr Kunden zum Wechsel. Bei dauerhaft im Markt bestehenden Prämienunterschieden von bis zu 50% für eine Kraftfahrtpolice müssen jedoch noch andere Gründe für den Wechsel oder Verbleib beim derzeitigen Anbieter sprechen. Offenbar sind nicht alle Kunden bei allen Gesellschaften gleichermaßen preissensibel. Daher werden von externen Beobachtern die üblichen Begründungen der Branche für den aggressiven Preiskampf in Frage gestellt.

Gute 40% trägt die Kraftfahrtversicherung insgesamt zum Gesamtprämienvolumen der Schaden- und Unfallversicherer in Deutschland bei. Aber ihr Beitragsaufkommen wächst seit Jahren langsamer. Dies gilt auch für die KH-Versicherung. Seit Beginn des Jahrtausends beträgt der Durchschnitt ihrer Zuwachsraten nur noch 1,3% p.a.
Die Verluste im versicherungstechnischen Geschäft der Kraftfahrt-Versicherungsunternehmen sollen sich von 1996 bis 2001 auf sechs Milliarden e summiert haben. Zwar verbesserte sich die Schadenquote in KH in den letzten Jahren gegenüber dem langjährigen Trend, sie liegt aber immer noch bei 92% (2004). Für das Jahr 2005 verschlechtert sich die Gewinnsituation erneut durch die Erhöhung der Schadenquote. Der GDV schätzt den Prämienrückgang 2005 auf knapp 3%7. Zwar ist der Schadenbedarf durch die Abnahme der Schadenhäufigkeiten rückläufig, aber der Schadenaufwand je Unfall ist seit Jahren nahezu unverändert hoch8. Die Combined Ratio liegt in KH nach einer Reihe von ,schwarzen Jahren‘ für die Versicherer erst seit 2003 wieder unter 100%.

Die Zukunft wird schwieriger: Langfristszenarien
Die langfristig ungünstige Entwicklung der Demographie verschlechtert die Situation der Sparte. Je nach Variante der Berechnung beträgt die Bevölkerungszahl in Deutschland 2050 zwischen 67 und 81 Millionen. Der Anteil der Jüngeren unter 20 Jahren sinkt auf etwa ein Sechstel. Im Gegenzug steigt der Anteil der über Sechzigjährigen zeitgleich von einem Viertel auf mehr als ein Drittel. 12% der Bevölkerung werden älter als 80 Jahre sein. Für den Kraftfahrtversicherungsbereich nimmt damit das Reservoir an aktiven Fahrern und potenziellen neuen Versicherungsnehmern drastisch ab. Der Markt wird enger.

Nur leichte Zunahme der PKW-Zahlen – trotz optimistischer Annahmen. PKW haben 74% Anteil am Gesamtbestand der KH-Versicherungen10. Ein Langfrist-Szenario der Deutschen Shell zur Entwicklung des PKW-Bestandes in Deutschland geht in seiner konservativen Variante davon aus, dass 2030 nur noch 67 Millionen Erwachsene in Deutschland leben. Bei zuversichtlichen Annahmen zum Wirtschaftswachstum wächst in diesem Szenario der PKW-Bestand von heute etwa 45 Millionen mit einer jährlichen Steigerungsrate von nur 0,4% bis auf 49 Millionen. Pro Jahr werden schließlich nur noch drei Millionen PKW neu zugelassen11. Drei Millionen Neuzulassungen pro Jahr sind nicht mit drei Millionen neuen Versicherungsnehmern/ Kunden gleichzusetzen. Ab 2020 decken die Neuzulassungen ausschließlich den Ersatzbedarf.

Weniger Fahrer – noch weniger Versicherungsnehmer. Die PKW-Dichte je 1000 Einwohner ist 2030 insbesondere in den gehobenen Altersklassen hoch. Sie resultiert zu einem Teil aus für Kinder angeschafften Zweit- und Drittwagenbeständen. Die durchschnittliche Jahresfahrleistung sinkt bis 2030, nicht zuletzt aufgrund der Zunahme der höheren Altersgruppen, auf 10.600 Kilometer pro Jahr. Zu dem hausgemachten Preiskrieg in der Kraftfahrtversicherung kommt nach diesen Szenarien ein abnehmender Markt mit langfristig weniger Versicherungsnehmern. Der Verlust von Prämienzahlern wird immer schwerer auszugleichen sein. Zahlreiche Kunden werden mehrere Kraftfahrtversicherungen haben: Wechselt ein Versicherungsnehmer, nimmt er oft ein ganzes Bündel von KH-Versicherungen mit. Kunden über den Preis an sich zu binden, wird auf Dauer jedoch teuer.

Die Suche der Versicherer nach der richtigen Strategie
Kfz-Versicherer haben heute mit hohen Schadenzahlungen, niedrigen Profiten und der Wechselbereitschaft der Kunden zu kämpfen. Sie sind deshalb auf der Suche nach Geschäftsmodellen, die langfristig wettbewerbsfähig bleiben. Gefragt sind zukunftsfähige Konzepte, die nicht nur die Geschäftsprozesse optimieren, sondern zugleich die Schadenquote senken und die Kundenbindung erhöhen. Die Ausgangsbasis für neue Konzepte ist jedoch problematisch: Versicherungsprodukte stehen beim Verbraucher nicht hoch im Kurs.

Versicherungsprodukte in Kraftfahrt-Haftpflicht sind uniform und kundenfern. Versicherungspolicen sind Low-Involvement-Produkte, ohne besondere Eignung zur Kundenbindung. Kaum ein Verbraucher beschäftigt sich gerne mit Versicherungen, und wenn überhaupt, dann nur im Falle akuten Bedarfs, eines Schadens oder bei der Überweisung zum Hauptfälligkeitstermin. Hinsichtlich ihrer Produkte in Kraftfahrt-Haftpflicht unterscheiden sich die Versicherungsunternehmen kaum. Sie tarifieren traditionell z.B. nach Typ- und Regionalklassen, Leistung, Schadenfreiheit, Erst- oder Zweit-Kfz, Alter des Führerscheininhabers, Garagenparkern sowie technischen Merkmalen wie Alarmanlage oder Wegfahrsperre. Nicht der Fahrer sondern das Fahrzeug ist versichert. Vielfahrer sind dadurch gegenüber gelegentlichen Nutzern im Vorteil, denn das Risiko wird nach rein statistischen Merkmalen auf alle Versicherungsnehmer verteilt. Zwar gibt es Tarife, die einen Bonus für die Unterschreitung bestimmter Fahrleistungen pro Jahr gewähren. Sie sind aber nicht mit einer individuellen Tarifgestaltung gleichzusetzen. Desinteresse der Kunden an KH-Produkten rührt auch daher, dass die Versicherungsnehmer bzw. Fahrer die Prämienhöhe nicht aktiv durch eine Anpassung ihrer Fahrgewohnheiten beeinflussen können. Es sind für den Kunden Fixkosten, unabhängig ob er täglich innerstädtisch während der Rush-hour unterwegs ist oder ob er sein Fahrzeug nur am Wochenende auf ruhigen Straßen bewegt.

Service ist bei Versicherungen noch keine Dimension zur Kundenbindung oder Produktdifferenzierung. Mit Serviceleistungen und Kundenbindung tun sich Versicherungsunternehmen schwer. Eine ausgeprägte, unternehmensindividuelle Servicekultur zur engeren Bindung des Kunden an das Unternehmen, ist kaum zu beobachten. Dies gilt nicht einmal im Schadenfall, wo es zu den intensivsten Kontakten zwischen Unternehmen und Kunden kommt, die von der Branche immer noch als Versicherungsnehmer‘ tituliert werden. Im aktiven KH-Schadenmanagement sind es weitgehend die gleichen Instrumente wie Schnellregulierung, Kulanz, Werkstattpartnerschaften und Zusatzservices. Fast jedes Unternehmen setzt sie heute ein. Daher taugen sie nicht, sich im Wettbewerb zu differenzieren. Im Gegensatz zu z.B. Banken und deren Produkt Girokonto‘ haben Versicherungsunternehmen nur wenig Gelegenheit, kontinuierlich mit ihren Kunden zu kommunizieren und damit die Kundenbindung zu verbessern. Versicherungen werden abgeschlossen und oft per Dauerauftrag bezahlt. Schriftverkehr fällt bei einer Änderung der Vertragsdaten und im Schadenfall an. In der Regel sind das keine Anlässe, die ein hohes emotionales Engagement der Kunden hervorrufen. Bis heute fehlen der Kraftfahrt-Versicherungswirtschaft Instrumente, um einen dauernden Dialog über interessante Themen mit ihren Kunden zu führen. [Krankenversicherer haben dagegen das Thema ,Gesundheitsvorsorge‘ für den positiven Dialog mit den Kunden entdeckt.

Wie können sich Kraftfahrt-Versicherungsunternehmen wirksam im Markt differenzieren, um neue Kunden anzuziehen und langfristig an sich zu binden? Kundenbindung wird immer wichtiger: Weniger Kunden, bessere Information, ein transparenter Markt und eine steigende Bereitschaft der Kunden zum Anbieter-Wechsel erfordern Antworten von den Versicherungsunternehmen. Antworten, die andernorts (z.B. im fundamental veränderten Markt der Telekommunikation und der Mobilfunkanbieter) bereits gefunden wurden.

1. Wie differenziere ich mich im Wettbewerb um immer weniger Kunden positiv von der Konkurrenz?

2. Wie erschließe ich Kundengruppen, die mir lange erhalten bleiben, ohne ausschließlich über den Preis argumentieren zu müssen?

3. Wie kann ich Kunden an mich binden, wenn mein bisheriges Angebot austauschbar und für den Kunden zwar wichtig, aber langweilig ist?

4. Kundenbindung erfordert Kommunikation: Wie gelingt es mir, einen permanenten Dialog mit meinen Kunden zu beginnen, wenn Vertragsabschluss und Schadenfall bislang die primären Anknüpfungspunkte sind?

Eine Möglichkeit für Versicherungsunternehmen: mit Pay as you drive (PAYD) ein attraktives, kundenindividuelles Produkt zu konzipieren und damit neue Kundengruppen und Marktanteile zu gewinnen.

Pay as you drive – eine strategische Alternative für Versicherungsunternehmen. Für Kommunikationsdienstleistungen, Elektrizität und selbst IT-Rechenkapazität gibt es verbrauchsabhängige Preisgestaltungen mit einem Grundpreis zur Deckung der fixen Kosten und einem variablen Preis für die bezogene Leistung. Ein auf den Kunden zugeschnittenes Versicherungsprodukt ist in einer immer individuelleren Welt des Marketing-to-One überfällig. Pay As You Drive erlaubt Versicherungsgesellschaften, Prämien anzubieten, die das individuelle Fahrverhalten ihrer Kunden widerspiegeln. Die Prämien errechnen sich unter anderem aus den tatsächlich gefahrenen Kilometern und den Fahrzeiten, ergänzt um klassische Risikomerkmale wie Region, Alter des Fahrers, Unfallhistorie etc. Wer wenig fährt, zahlt wenig. Wer auf Straßen mit niedrigem Unfallrisiko unterwegs ist, fährt billiger. Wer die Rush-hour oder andere unfallträchtige Zeiten meidet, spart Geld.

Was nutzt PAYD dem Versicherungsnehmer? Der Kunde profitiert von einer verursachungsgerechten Ermittlung seiner Versicherungsprämie auf Basis der tatsächlich gefahrenen Kilometer. Eine Übersicht über seine zurückgelegten Strecken, als sozusagen elektronisches Fahrtenbuch, bekommt er als Dreingabe. Zum ersten Mal kann ein Versicherungsnehmer die Höhe seiner Prämie gezielt über sein Fahrverhalten steuern. Er reduziert seine Jahresprämie, wenn er weniger fährt als der Durchschnitt. Insbesondere könnte dieser Aspekt für ältere Fahrer mit einer geringeren Kilometerleistung interessant sein. Und gerade diese Gruppe nimmt in den nächsten Jahren stark zu. Zusätzlich profitiert der Kunde von komplementären Services und verbesserter Sicherheit durch die Bündelung mit anderen Telematiklösungen wie

– dem automatischen Notruf im Falle eines Unfalls oder bei unerwartetem Fahrzeugstillstand
– schneller Hilfe auch im Bagatellschadenfall durch Online-Anforderung von Assistance-Leistungen und Unterstützung bei der Schadenregulierung
– dem Car Finder zur Diebstahlaufklärung
– Diebstahlsicherungssystemen
– dem Einsatz von Telematik zur Stauvermeidung und Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit

Auswirkungen auf die Kostenstruktur: Prämienveränderungen mit Pay as you drive. Angaben über die Höhe von Prämiennachlässen bei nutzungsabhängigen Tarifen reichen bis zu einer Reduktion von 64% der Normalprämie. Illustrativ mag die veröffentlichte Staffelung der General Motors Acceptance Corporation sein, die bis zu 40% Rabatt je nach Fahrleistung vorsieht.

Was kann die Versicherungsbranche von PAYD erwarten? Differenzierung mit einem individuellen Produkt. PAYD bietet einer Versicherungsgesellschaft einen Wettbewerbsvorteil und differenziert sie von den anderen Anbietern in einem Massenmarkt. Mit PAYD werden die Versicherungsbeiträge individuell dem Fahrverhalten und den Fahrgewohnheiten der Einzelnen zurechenbar. Zusammen mit weiteren Risikoparametern (Region, Altersklasse, Schadenhistorie) erfolgt eine individuelle Tarifgestaltung. Fahrtstrecken können sowohl zeit- (Tag- vs. Nachttarif, Rush-hour-Tarife) als auch ortsbezogen (Innenstadt, Autobahn, Landstraße) erfasst und abgerechnet werden. Die hinter PAYD stehende Technologie wird Versicherungsmathematikern eine Fülle zusätzlicher Daten für die Tarifkalkulation geben: Nicht nur die Daten des Fahrzeugs sondern auch die Umstände seines Einsatzes und das individuelle Fahrverhalten werden berücksichtigt.

Eine strategische Option – keine taktische Maßnahme: Neue Kunden werden gewonnen – Trittbrettfahrer wechseln zur Konkurrenz. Nutzungsabhängige Prämien werden bei einer Vielzahl von Kunden auf hohes Interesse stoßen. Für neue Kundengruppen können spezifische Produktprofile auf der Basis von Telematik sowie von Informations und Kommunikationstechnologien definiert werden. PAYD-Tarife können in Verbindung mit der Telematik-technologie individuellere und für viele, insbesondere Wenigfahrer, niedrigere Prämien bedeuten. Vielfahrer dagegen bleiben in den herkömmlichen Tarifstrukturen oder wandern ab zu konventionellen Versicherern, bei denen sie von Wenigfahrern alimentiert werden. PAYD ist daher eine strategische Entscheidung für ein Versicherungsunternehmen – nicht ein Mittel zur kurzfristigen Sanierung von Tarifen.

Zum ersten Mal hat die Versicherungswirtschaft Gelegenheit zum positiven Dialog mit ihren Kunden. PAYD bietet den Versicherungsunternehmen eine weitere strategische Option, die noch nicht hinreichend in der Diskussion berücksichtigt wird: PAYD-Prämienzahlungen werden unterjährig abgerechnet. Der Kunde erhält monatlich einen Nachweis über seine gefahrenen Strecken und Zeiten. Klug genutzt kann dieser regelmäßige ,Kontoauszug‘ für Versicherungsunternehmen der Einstieg in einen positiven Dialog mit Kunden sein. Erstmals wären sie – wie die Banken über das Girokonto – mit Hilfe eines Produktes in dauerndem, in der Regel nicht unerfreulichem Dialog mit dem Kunden. Das bietet Raum für Marketing, für Kundenbindung und für Anbündelung.

Die Industrialisierung von Abläufen in der Versicherungswirtschaft wird möglich. PAYD ermöglicht die durchgängige elektronische Übermittlung und Verarbeitung aller relevanten Daten – sozusagen von Maschine zu Maschine. Fahrtdaten werden automatisch erfasst, übertragen und in Versicherungsprämien umgerechnet. Insgesamt sind sinkende Bearbeitungskosten und geringe Produktkosten zu erwarten.

Verbesserte Schadenbeurteilung und Anknüpfung für Assistance-Leistungen. Die (automatische) Datensammlung über die Telematik-Komponenten von PAYD erleichtert dem Versicherungsunternehmen die Beurteilung von Unfallursachen, -hergängen und -schäden. Die Lösung registriert relevante Unfallinformationen, angefangen beim Zeitpunkt, über den Ort bis hin zu Angaben über Aktionen vor dem Aufprall. Im Schadenfall wird auf diese Daten zurückgegriffen und ein Bericht mit Straßenkarten der Unfallstelle erstellt. Die Technologie erleichtert die Rekonstruktion des Unfallhergangs, und eine schnelle Bewertung von Schadensforderungen ist möglich.

Vor dem Ertrag steht die Investition. Die Entwicklung und Einführung eines PAYD-Produkts bedeutet eine Investition in die Zukunft. Versicherungsunternehmen werden PAYD als eine strategische Waffe nutzen, die mehr Marktanteile in neuen Kundengruppen ermöglicht und interne Abläufe automatisiert. Vor der Entscheidung für PAYD haben Versicherungsunternehmen eine Reihe strategischer Fragen zu beantworten: Sie müssen sich zum Beispiel fragen, ob sie PAYD unter einer Versicherungsmarke mit anderen Tarifen gemeinsam anbieten können. Und sie müssen berücksichtigen, dass Viel- und Risikofahrer dann in traditionelle Tarife oder zu Anbietern wechseln, bei denen sie von anderen, besseren Risiken profitieren.

Trends und Entwicklungen, die eine Einführung von PAYD fördern und beeinflussen – First Mover der Versicherungsbranche werden die Vorteile einer frühen Einführung von PAYD-Tarifen nutzen. Die
wesentlichen Voraussetzungen für PAYD sind geschaffen:
1. ein flächendeckendes Erfassungssystem über GPS ist verfügbar
2. Pilotversuche zu FCD – floating car data – etablieren die Technik des Datenaustausches zwischen bewegten Fahrzeugen und Empfangsstationen
3. ein Memorandum of understanding (MoU) zwischen ERTICO und ACEA dem Europäischen Automobilbauer-Verband zielt auf die Ausrüstung aller Neufahrzeuge mit Tracking-Systemen bis 2010
4. der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlamentes fordert die Ausrüstung aller Neufahrzeuge ab 2009 mit
dem elektronischen Notrufsystem eCall
5. die Diskussion über eine Einführung der PKW-Maut auf Autobahnen in Deutschland, die ohnehin auf eine Ausrüstung von PKW mit On-Board-Units hinwirken könnte, hat begonnen
Alle diese Entwicklungen forcieren die Einführung von Telematik-Systemen auch für andere Anwendungen und reduzieren die Hemmschwellen für den Einsatz, um Daten für Versicherungstarifkalkulationen zu gewinnen.

Telematik und PAYD kommen: Die Startpositionen sind jetzt eingenommen. Die Researchgesellschaft Strategy Ana-lytics erwartet auf mittlere Sicht eine weite Verbreitung von PAYD und führt zusätzliche Aspekte ins Feld, die die Verbreitung von PAYD schnell vorantreiben werden. Dazu gehören die Anstrengungen der Regierungen zur Reduzierung der Unfallzahlen und Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, die Einsparungsmöglichkeiten für Unternehmen und Privatleute sowie die sichere Erhebung von Schadensdaten durch die Versicherungsgesellschaften.

Alles hat zwei Seiten. Gründe, die eine Einführung von PAYD verzögern: Sicherlich gibt es Hemmfaktoren für Pay as you drive. Aber keiner davon stellt ein ernsthaftes Hindernis für strategisch denkende Versicherungsunternehmen dar. Beispiele für diese Faktoren sind:
Beim Kunden:
– Akzeptanzprobleme wegen einer befürchteten „Big-Brother-Ausspähung“
– Befürchtungen der Vielfahrer, dass ihre Versicherungsbeiträge steigen
Beim Versicherungsunternehmen:
– Investitionen in Technik und Tarifänderungen
– Furcht vor Prämienausfällen durch nutzungsbasierte Abrechnungen
– Zweifel, ob das zusätzliche Prämienvolumen durch neugewonnene Kunden ausreicht, um die Investitionen zu decken und den Prämienausfall bei bedarfsgerecht belasteten Wenigfahrern auszugleichen
– Unsicherheit in Bezug auf die reibungslose technische Realisierung, die u. a. die Nutzung von Patenten
und entsprechende Datenintegration erfordert

Pilotprojekte beweisen die Funktionsfähigkeit von PAYD
Es gibt bereits eine Fülle von Beispielen, Versicherungsprämien entsprechend der Fahrleistung und des tatsächlichen Fahrverhaltens mit unterschiedlichsten Ansätzen zu berechnen:

Die GMAC General Motors Acceptance Corporation (USA) nutzt seit 2004 elektronische Fahrzeugsicherheitssysteme, um in einigen Staaten der USA neue Versicherungstarife mit deutlichen Prämiennachlässen anzubieten. Die Lösung überträgt automatisch die Fahrleistung zu Beginn und zum Ende der Versicherungsperiode. Prämiensenkungen bis zu 40% sind möglich.

In Deutschland testet die DBV-Winterthur „Zahlung gemäß Nutzung“ für die Zielgruppe der kleinen und mittleren Unternehmen. Erfassungsgeräte in den Autos zeichnen die Informationen auf. Die Versicherungsgesellschaft nutzt die Daten zur Berechnung der individuellen Prämie: Nutzungshäufigkeit, Fahrzeit, Fahrstrecke und Fahrstil. Die risikogerechte Prämie berücksichtigt damit auch konjunkturell bedingte Schwankungen der Fahrleistung betrieblich eingesetzter Fahrzeuge.

Die WGV-Versicherungsgruppe testet ein PAYD-System. Die technische Lösung umfasst eine On-Board-Unit die über GPS (Global Positioning System) die Bewegungsdaten des Fahrzeuges erfasst und über GPRS (General Packet Radio Service) an ein Rechenzentrum der T-Systems leitet. Die dort aufbereiteten Daten werden der WGV online zur Verfügung gestellt. WGV zahlt für diese Leistungen einen Pauschalpreis pro Fahrzeug und Service, ohne in eigene Infrastruktur investieren zu müssen.

Der Rückversicherer Swiss Re stellt seinen Erstversicherungskunden ein System mit einer Tankkarte (Mileage Monitoring) vor. Während des Tankens wird die Kilometerleistung erfasst und dem Versicherer übermittelt. Die Markteinführung könnte 2007 erfolgen.

Die UNIQA, eines der größten Versicherungsunternehmen Österreichs, will eine Autoversicherung mit kilometerabhängigen Tarifen einführen. Die Prämie sinkt je weniger man fährt und ist, ähnlich wie bei den Handy-Tarifen, aus einer Grundgebühr und einem variablen Anteil zusammengesetzt.

Norwich Union, Marktführer in England, baut ein Pay As You Drive-Angebot aus. 5000 Versicherte nahmen 2004 freiwillig an einem Test mit On-Board-Units teil. Ermöglicht wird die Erfassung der Fahrten durch GPS-Ortung und eine Black-Box, die Daten über das Mobilfunknetz direkt an den Versicherer weitergibt. Nun bietet dieser Versicherer ein Prämienmodell für junge Fahrer, mit dem sie durch ihr Nutzungsverhalten die Höhe ihrer Versicherungsprämie beeinflussen können.

Lloyd Adriatico, Italien: Einen der ersten kontinentaleuropäischen Piloten zu PAYD von Lloyd Adriatico, einer Allianz-Tochter, wird Forrester Research Financial Services Europe in einer Untersuchung über Best Practices im Dezember 2006 bewerten.

PAYD-Lösungen – bequem für den Nutzer und effektiv für das Versicherungsunternehmen
Eine state-of-the-art-Lösung für vom Fahrverhalten abhängige Versicherungsprämien muss für den Versicherungsnehmer einfach in der Anwendung und für das Versicherungsunternehmen vorteilhaft sein.

Datensammlung mit Konzept und Sensitivität: Eine Lösung erfordert Systeme zur Erfassung des tatsächlichen Fahrverhaltens und der Fahrtstrecken. Die Sammlung der Daten sollte, unter Beachtung der Datenschutzaspekte, umfassend sein. Gleichzeitig muss jedoch den eventuellen Bedenken von Kunden vor der Gefahr einer ,Big-Brother-Mentalität‘ der Versicherungsgesellschaften Rechnung getragen werden. Zusätzlich zu lösen ist das Problem des Datenschutzes der Bewegungsprofile. Wem gehören diese Daten z.B. im Falle einer Veräußerung des Kraftfahrzeuges? Wem gehören die Daten im Schadenfall oder bei Versicherungswechsel?

Datenkatalog für PAYD-Tarife mit elektronischer Erfassung von Daten über das individuelle Fahrverhalten: Neben der Fahrstrecke, ihrer Länge und den Nutzungszeiten des Fahrzeugs können ergänzend wesentliche Informationen zur Beurteilung des individuellen Fahrverhaltens gesammelt werden.

Tarifrelevante Merkmale
– Abfahrtzeit
– Ankunftszeit
– Dauer der Fahrtzeit
– Unterbrechungen der Fahrt
– Länge der gefahrenen Strecke
– Art der gefahrenen Strecke
– Plötzliche Beschleunigungen
– Plötzliche Bremsungen
– Abstandsmessungen

Assistance-/Schadenbezogene Merkmale
– Anschnallstatus
– Airbag-Funktion
– Aufpralldaten
– Reifendruckkontrolle
– Servicestatus

Aufzeichnung und Übertragung der Daten mit einer zukunftsfähigen, erweiterbaren Technik: ,Manuelle‘ Behelfslösungen, wie sie in manchen Pilotprojekten eingesetzt wurden, haben nur für Phasen des Markttests Bestand. Weder eine nur jährliche Ablesung, noch Selbstauskunftsmodelle über den tatsächlichen km-Endstand werden den Ansprüchen des Kunden und der Versicherungsgesellschaft genügen. Nur permanent übertragene Fahrdaten, die das individuelle Fahrverhalten und die zeitliche Verteilung der Fahrten umfassen, ermöglichen wirklich individuelle Tarife. Logistisch erfordert dies den Aufbau einer Infrastruktur von On-Board-Units für PAYD mit der sicheren Ankopp-lung an die Bordcomputer der Fahrzeuge und die Sicherstellung der zeitnahen Übertragung.

Auswertung und versicherungsmathematische Aufbereitung der Datenströme: Die sinnvolle Verknüpfung der Daten und ihre Auswertung zur Ermittlung der persönlichen Tarife stellt sicherlich ein Volumenproblem dar. Eine Fallstudie oder eine Pilotphase klären entscheidende Fragen: Wie lässt sich dieses Volumen quantifizieren? Wie lässt es sich technisch handhaben? Was ist der beste Lösungsansatz? Wie ist die notwendige Verarbeitungskapazität zu kalkulieren? Welche Infrastruktur muss bei den Versicherungsunternehmen aufgebaut werden, um damit umzugehen?

Dialog statt Rechnung: Versicherungen kommunizieren mit ihren Kunden. Ein Aspekt wird die monatliche Rechnungstellung für PAYD-Tarife sein, die nicht den bisher üblichen Abrechnungsperioden der Versicherungswirtschaft entspricht. An diese geänderte Rhythmik sind dann frühzeitig Marketing- und Cross-Selling-Initiativen anzukoppeln, um die neu gewonnenen Chancen zum Kundendialog zu nutzen. Dieser Dialog wird sich nicht auf monatliche Rechnungen beschränken, sondern kann eine Vielzahl von Services rund um Autofahren und Assistance-Leistun-gen sowie Sicherheitsratschläge umfassen.

Konzeption einer fortschrittlichen Lösung für einen Massenmarkt. Die Übertragung der Daten mit Wireless-Lösungen stellt kein technisches Problem mehr dar. Die bestehenden Telematiklösungen und die existierenden Navigationssysteme erlauben schon heute die Konzeption einer fortschrittlichen Lösung für einen Massenmarkt.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
Nach oben scrollen