Sinn oder Unsinn? eProcurement für den Mittelstand

Wenige Entwicklungen versprechen solch große Einsparungs- und Rationalisierungspotenziale wie eProcurement. Jedoch scheut der Mittelstand bisher noch die Investitionen in entsprechende Software-Lösungen und riskiert dabei den Anschluss zu verpassen.

eProcurement – also die Unterstützung der Beschaffung von Gütern durch Software und die elektronische Verknüpfung der Systeme von Käufer und Lieferanten – hat in den letzten Monaten zunehmend die Entwicklung des eBusiness im Business to Business Bereich geprägt. Die Erwartungen eines mittelständischen Unternehmens an eProcurement sind jedoch deutlich anders als die von Großunternehmen. Wo letztere als Early Adopter initiale eProcurement Projekte inklusive umfangreicher Beratungsleistung für Millionenbeträge implementiert haben, warten Mittelständler eher ab, bis die zugrunde liegenden Technologien einen hohen Reifegrad erreicht haben, der einen kostengünstigen Einsatz mit Standardsoftware ermöglicht.

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Zumindest im Einkauf von C-Artikeln, also von Gütern, die für den Produktionsprozess nicht strategisch sind und auch nicht ins Endprodukt eingehen, sind mittlerweile Standardlösungen für das so genannte ‚Desktop Purchasing’ verfügbar, die die wirtschaftlich erfolgreiche Nutzung von eProcurement im Mittelstand erfolgreich möglich machen. Hierbei wird die gesamte Bestellung vom Einkäufer direkt am Arbeitsplatz unterstützt durch die Software durchgeführt. Er kann dabei direkt auf die Informationen der Lieferanten zugreifen und am Bildschirm die günstigsten Varianten vergleichen und die Bestellung direkt auslösen. C-Artikel wie zum Beispiel Büromaterial, Betriebsstoffe oder IT-Hardware, verursachen immerhin zwischen 50 und 70 Prozent aller Beschaffungsvorgänge. Da der Wert der einzelnen Güter relativ gering ist, ergeben sich besonders hohe Prozesskosten.

Im Gegensatz zu strategisch wichtigen A- oder B-Gütern, deren Beschaffung aufwändige und teilweise noch nicht ausgereifte Verfahren der Lieferanten-Analyse, Ausschreibung oder Auktionen erfordert, lässt sich die Beschaffung von C-Artikeln mittlerweile gut über standardisierte Software für katalogbasiertes Procurement abwickeln. Das ermöglicht mittelständischen Unternehmen einen schnellen Start mit einer schlanken Lösung, die zudem die Folgekosten im Griff behält und einen schnellen Return on Investment – meist innerhalb von zwölf bis achtzehn Monaten – bringt.

Mit Details zu Einsparungseffekten sind Unternehmen generell noch etwas zurückhaltend, aber ein Unternehmen aus dem gehobenen Mittelstand der Automobilbranche vermochte bei einem Gesamtbestellvolumen für C-Artikel von 6,5 Millionen Euro durch bessere Bündelung und Koordination von Einkaufsvorgängen Preisvorteile in Höhe von ca. 320 T€ (~15%), sowie Prozesskostenreduzierungen in Höhe von ca. 100 T€ (~45%) erzielen. Bei diesen Einspareffekten errechnet sich ein Return on Investment von unter zwei Jahren.

eProcurement – auch eine organisatorische Herausforderung
Ein wesentlicher Punkt liegt in der Reorganisation der Einkaufsprozesse und Strategien. Hierbei ist zu beachten, dass eProcurement nicht nur as rein technische Lösung implementiert werden darf. Besonders die Abstimmung und Änderung der zugrunde liegenden Prozesse macht oftmals einen viel größeren Anteil am Einsparpotential aus. So werden gerade bei Mittelständlern häufig keine Unterschiede in den Beschaffungsprozessen zwischen strategisch wichtigen Gütern und C-Artikeln gemacht. In der Folge bietet sich hier durch eine Reorganisation der Einkaufs- und Freigabeprozesse für C-Artikel ein enormes Rationalisierungspotenzial. Denn es ist unstrittig, dass eine einfache Bestellung eines Bleistifts sicher nicht den gleichen aufwendigen Einkaufsprozess durchlaufen muss, wie ein strategisch wichtiges Zwischenprodukt. Anhand von vergleichenden Prozesskostenrechnungen lässt sich das Rationalisierungspotential in diesem Bereich bereits im Vorfeld eines eProcurement Projekts relativ treffsicher schätzen und somit das Risiko einer Fehlinvestition minimieren.

Bei der Planung und Einführung von eProcurement sollten Unternehmen nicht den Fehler machen, sich zu übernehmen. Es muss beim ersten Projekt sicherlich nicht der ‚große Wurf’ gelingen, der das Ziel verfolgt, ganzheitlich sämtliche Beschaffungsprozesse des Unternehmens abzubilden. Besser und kalkulierbarer ist es, sich zuerst auf einen Bereich, z.B. die Beschaffung von C-Artikeln zu beschränken, um dann eventuell später die gewonnenen Erfahrungen bei einer Auswertung der Aktivitäten auf strategische Güter zu nutzen.

Standards erleichtern das Katalog-Management
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Integration von Lieferanten in das System. Ohne gut aufbereitete Katalogdaten von Lieferanten ist eProcurement zum Scheitern verurteilt. Zwar haben typische Mittelständler nicht mit der gleichen Lieferantenflut zu kämpfen wie Großunternehmen, nichtsdestotrotz aber bleibt die Einbindung des Contents der Zulieferer eine komplexe Aufgabe. Erschwerend kommt hinzu, dass im Vergleich zu beispielsweise einer Deutschen Bank ein mittelständischen Unternehmen auch nicht die gleiche Verhandlungsposition hat wenn es darum geht, die Lieferanten vom Mitmachen in einer Procurement-Lösung zu überzeugen. Die Integration, Verwaltung und Pflege der Kataloge mit ihren regelmäßigen Updates ist eine der Hauptherausforderungen an eine eProcurement Lösung. Letztlich lässt sich das Problem der Lieferanten-Integration nur durch die Nutzung und Unterstützung von Firmen-übergreifenden Standards für Katalogdaten und Geschäftsdokumente erfolgreich angehen, weil ansonsten der Dienstleistungsaufwand für immer wieder notwendige individuelle Anpassungen schnell ins Unermessliche steigt. Glücklicherweise gibt es im deutschsprachigen Raum seit ein paar Jahren bereits gut etablierte Standards. Dazu gehören beispielsweise BMECat, ein Standard für den Austausch von Produktkatalogen, der vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. initiiert wurde. Dem Verband gehören führende deutsche und europäische Unternehmen wie z.B. Audi, Bayer, BMW oder Philips an.

Ein weiterer nennenswerter Standard wäre OCI (Open Catalog Interface), der von SAP entwickelt und verbreitet wurde.

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Bei der Auswahl der passenden Software und Technologie für C-Artikel Procurement sollten Unternehmen darauf achten, dass insbesondere die Funktionalität im Bereich Katalogmanagement und Lieferantenintegration, sowie die Unterstützung von Austauschstandards gut bestückt sind. Des Weiteren sollte die Integration mit bestehenden Systemen einfach und möglichst mit offenen Schnittstellen möglich sein.

Ein hoher Grad an vorgefertigter modularer Standardfunktionalität hält die Anpassungen im Projekt niedrig und ermöglicht niedrige Folgekosten. Um sich den nötigen Freiraum für eine spätere Erweiterung der Procurement Aktivitäten offen zu halten, sollten Unternehmen bei einer Investition in Beschaffungslösungen darauf achten, dass diese möglichst modular erweiterbar und auf einer offenen Basisplattform aufgebaut sind.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Desktop Purchasing Systeme mittlerweile eine reife Produktgattung sind, die auch unter Berücksichtigung der speziellen Anforderungen von mittelständischen Unternehmen einen schnellen Return on Investment bei überschaubaren Gesamtkosten ermöglichen.

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