RFID-Technologie: Neuer Innovationsmotor für Logistik und Industrie

Diesen Beitrag stellen zur Verfügung

Transparente Supply Chains bieten viele interessante Optionen – wenn die notwendigen Technologien zur Verfügung stehen und bezahlbar sind. Nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland sind bereits Pilotprojekte gestartet und die Preise für die RFID-Chips fallen. Jetzt geht darum, die Weichen richtig zu stellen und das Potential rechtzeitig zu erkennen.

Die RFID-Technologie – d.h. das Übertragen von Produkt-Sendungsdaten mittels Funkfrequenztechnologie – bietet interessante Chancen, durch Schaffung höchster Transparenz eine effizientere Steuerung logistischer Abläufe in vielen Industriebereichen zu ermöglichen. Doch erste Pilotprojekte in den letzten Jahren haben zu einer deutlichen Ernüchterung der Beurteilung dieser Technologie geführt. Zum einen erlaubten die hohen Chip-Preise nur für Spezialanwendungen einen wirklich attraktiven Business Case, zum anderen war die Technologie teilweise noch nicht ausgereift. Die Grundsituation hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich geändert.

Große Handelshäuser wie Wal-Mart in USA oder Metro in Deutschland haben inzwischen umfassende Pilote zu RFID-basierten Businessanwendungen (z.B. SuperStore) aufgesetzt. Auch das US-Militär hat eine umfassende RFID-geprägte Erneuerung seiner Materialwirtschaft angekündigt. Gleichzeitig fallen die Chip-Preise drastisch und große Technologiekonzerne von Intel bis SAP kündigen erhebliche Investitionen in diesem Bereich an. Inzwischen gibt es weltweit kaum noch eine Logistikkonferenz auf der nicht RFID als eines der Kernthemen umfassend diskutiert wird und viele Unternehmen haben begonnen sich mit diesem Thema auseinander zusetzen.

Grössere Ansicht

Doch unter welchen Rahmenbedingungen macht es wirklich Sinn heute in RFID-Technologie zu investieren? Welche Chancen bietet die Technologie für einen fundamentalen Umbau der Geschäftsprozesse wirklich? Um diese Fragen näher zu beantworten, hat Booz Allen Hamilton gemeinsam mit dem M-Lab an der Universität St. Gallen europaweit eine empirische Studie mit insgesamt über 30 führenden Großunternehmen durchgeführt. Hierbei standen sowohl Transport- und Logistikanbieter als auch Anwender in der Automobilindustrie im Vordergrund, um die gesamte Leistungskette der Logistik breit abzudecken. Insgesamt lassen sich die Ergebnisse der Studie in folgenden Kernthesen zusammenfassen:

Klare Leistungsvorteile primär bei Spezialanwendungen:
RFID rechnet sich heute insbesondere da, wo aufgrund hoher Nachweispflicht höchste Prozesssicherheit erforderlich wird und zudem ein geschlossener Logistikkreislauf (Closed Loop Systeme) die Wiederverwendbarkeit der noch teuren Chips gewährleistet. Führend in der Anwendung solcher geschlossenen Systeme ist die Automobilindustrie, die seit über 10 Jahren entsprechende Anwendungen in der Produktionskontrolle erfolgreich einsetzt.

Offene Systeme (Open Loop Systems), die heute Grundlage der Roll-out Pläne im Handel und der Konsumgüterindustrie sind, kommen aufgrund der notwendigen hohen Investitionen für Chips, Reader Infrastruktur und Systemintegration noch nicht auf ein positives Nutzen-Kosten Verhältnis. Hier sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, um einen positiven Business Case darstellen zu können. Die Roll-out Dynamik wird in diesem Umfeld mehr durch die Marktmacht des Handels und die proaktive Vermarktung der Technologieanbieter als von einem klaren Business Case diktiert. Fakt ist: Die Anwenderindustrien treiben die Erprobung und den Roll-out der RFID-Technologie in der Logistik voran.

Marketing steht bei Massenanwendungen noch im Vordergrund:
Die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen schätzen RFID-Technologie als strategisch wichtig für die Entwicklung ihres Geschäftes ein. Doch selbst die Innovatoren unter den RFID-Anwendern nutzen das Thema RFID heute noch primär als Marketing-Plattform, um das Unternehmen innovativ zu positionieren. Die realisierten und geplanten Investitionen sind vergleichsweise niedrig und gehen, wie das Beispiel der Logistikindustrie in Abbildung 2 zeigt, über kleinere Pilote selten hinaus. Die Technologieanbieter beteiligen sich häufig an der Finanzierung, um entsprechende Referenzcases zu erhalten.

Prozesseffizienz im Fokus

Zwar ist die Prozesssicherheit in der Logistik heute oftmals schon hoch, doch wird sie vielfach durch einen erheblichen Qualitätssicherungs- und Trouble Shooting-Aufwand erreicht. Im Fall eines Automobilherstellers betrug die Fehlerrücklaufquote in der Montage ca. 50%. Hier setzt RFID heute schon an und hilft, mit lokalen Lösungen in der Produktion die Prozesseffizienz deutlich zu steigern. In der Automobilteileversorgung entstehen aber zur Zeit, ähnlich wie im Handel, auch überregionale Anwendungen (z.B. CKD) zur Organisation und Steuerung von Warenströmen.
Speziell für die Transport-Dienstleister steht neben der Optimierung der Logistikprozesse auch die Erfüllung von Kundenanforderungen im Vordergrund. Hier erwartet man durch die angekündigten RFID Roll-out Pläne von großen Einzelhändlern wie Wal-Mart, Metro oder Tesco erheblichen Änderungsbedarf in der Transport- und Logistikabwicklung. Die wenigsten Logistiker denken aber heute bereits konkret über die proaktive Entwicklung und Vermarktung von RFID-basierten Lösungen für ihre Kunden nach.

Grössere Ansicht

Hoher Automatisierungsgrad bei bestehenden Anwendungen erschwert den Nachweis des wirtschaftlichen Nutzens:
Lagerung und Transport haben in den letzten 15 Jahren eine umfassende Automatisierungswelle durchlaufen. Neben einem systemgestützten Material- und Lagerortmanagement sind Bar Code – basiertes Track&Trace von Transportsendungen heute vielfach Standard. Die Prozesssicherheit ist oftmals schon sehr hoch (99%) und der Mehrwert von RFID begrenzt. Die Bereitschaft, die durch Automatisierung verfestigten Prozesse grundsätzlich zu ändern, ist gering. Ein hoher Automatisierungsgrad bildet daher eine Barriere für Neuinvestitionen. Speziell außerhalb Westeuropas ist aufgrund eines geringeren Automatisierungsgrades im Lagerbereich die Eintrittsbarriere für RFID niedriger.

Technologie- und Marktdynamik werden Ausbreitung von RFID dennoch begünstigen:
Selbst wenn die heutigen Einsatzbereiche noch begrenzt erscheinen, wird sich dies jedoch in den nächsten 2-4 Jahren deutlich ändern. Zum einen zeigt die Chippreisentwicklung einen Trend auf, der Kosten von deutlich unter 10 Cent für passive Chips mittelfristig für realistisch erscheinen lässt. Zum anderen besteht grundsätzlich in den Unternehmen ein Bedarf nach höherer Datengranularität in der Logistikkette. Weitere Individualarisierung der Produkte und Dienstleistungen bei hocheffizienter Produktion (mass customization) und hoch flexibler Logistik sind hier die Treiber dieser Entwicklung. Wesentlicher Erfolgsfaktor für die Realisierung der vermuteten Potentiale ist eine weitere Standardisierung der Technologie auf allen Ebenen.

RFID-Nutzungspotentiale realisieren

Bei RFID handelt es sich um eine Infrastrukturinvestition für die regionale Ortung von Sendungen / Aufträgen, deren Nutzen exponentiell mit der Anzahl der Verwendungsmöglichkeiten steigt, vergleichbar mit z.B. GSM. Gleichzeitig entstehen erhebliche „Ecomomies of Scale“ in den Kosten der Technologie, wenn es gelingt, die Systemarchitektur intelligent zu standardisieren. Hierbei treten nationale und globale technische Standards (z.B. ANSI, ISO, EPCglobal), industriespezifische Standards (z.B. AIAG, Odette, VDA), Quasistandards führender Technologieprovider (z.B. SAP) und die Standards der Logistikindustrie teilweise in Konkurrenz. Für eine erfolgreiche, breite Einführung der Technologie sollte auf politischer Ebene möglichst schnell eine globale Basistechnologie-Plattform (Frequenzen etc.) geschaffen werden. Auf Ebene der Industrie gilt es Supply Chain spezifische Standardisierungsvorteile zu nutzen, hierbei aber möglichst auch Logistikprovider spezifische Standards (z.B. bei Verpackungen) zu integrieren. Die Marktführer haben hierbei die Chance, den neuen Industriestandard maßgeblich zu prägen.
Die momentane Organisation von RFID Programmen in den befragten Unternehmen trägt diesen Anforderungen nur bedingt Rechnung. In der Mehrzahl handelt es sich hier um lokale, unabhängige Projekte, die dezentral geplant und vorangetrieben werden. Erst seit kurzer Zeit implementieren die Firmen übergreifende Koordinationsstellen und Roll-out Programme, um die notwendige Standardisierung innerhalb des Unternehmens und mit den Supply Chain Partnern voranzutreiben. Zentrale Steuerungsinstanzen, die zum Beispiel die Standardisierung vorantreiben und in eine Gesamtplanung einbetten, haben nur 8% der befragten Unternehmen eingerichtet.

Dezentralisierung von Produktinformationen – ein strategisches Anwendungsfeld?
Grundsätzlich erlaubt RFID deutlich mehr als nur den standortspezifischen Zugriff auf Basisprodukt- oder Sendungsinformationen. RFID könnte quasi zu einer Art DNA des Produktes werden. So könnten auf dem Produkt oder seiner Verpackung neben Auftragsdaten, Nachweise zum Produktionsprozess oder Gebrauchsanleitungen gespeichert werden. Hiermit könnte RFID eine Reihe von heute zentralen elektronischen oder papiergebundenen Anwendungen (z.B. Gebrauchsanweisungen) ersetzen. Ob und inwieweit RFID sich dieses Potential erschließt, muss aus heutiger Sicht offen bleiben. Das vom Auto-ID Center am MIT entwickelte Konzept, das EPCglobal verwendet, setzt auf eher konventionelle netzbasierte Informationsstandards, in denen umfassendere Produktinformationen über das Internet mit der auf dem Produkt / der Sendung angebrachten RFID- Grundinformation kombiniert, aber letztlich zentral zur Verfügung gestellt werden.

Grundsätzlich ist zu überdenken, ob dieser zentrale Architektur- Ansatz für alle Anwendungen in der Praxis gleichermaßen geeignet ist. Es gibt bereits heute eine Reihe von sinnvollen Anwendungen mit positivem Business Case, bei denen wesentliche Daten lokal auf dem RFID-Chip gespeichert werden und so dem Anwender auch auf lokaler Ebene durch eine einfache Read / Write Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden können. Diese dezentrale Architektur ermöglicht aufgrund der höheren Flexibilität und der geringeren Kosten für die gesamte zu installierende Infrastruktur einen schnelleren Einstieg in Verwendung der RFID-Technologie.

Ausblick:
Der Einsatz von RFID-Technologie in der Logistik erfordert heute eine nüchterne Analyse der wirklich zu realisierenden Wertschöpfungspotentiale. Viele Anwendungsfälle werden auf mittlere Frist kaum einen positiven Business Case erreichen. Insbesondere bei „offenen“ Systemen sind die Investitionskosten noch erheblich.

Kritische Erfolgsvoraussetzung für die Implementierung von offenen RFID-Systemen ist ein unternehmensübergreifender Planungs- und Standardisierungsansatz. Viele Anwendungsfälle rechnen sich erst, wenn Daten und Prozesse auf Unternehmensebene und über die Unternehmensgrenzen hinweg standardisiert sind. Diese Standardisierung ist absolut notwendig für einen Massen Roll-out.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
Nach oben scrollen