Vorzeitige Besuchsabbrüche sind teuer und in der Regel vermeidbar, sofern genügend Wissen über das Verhalten der Nutzer vorliegt. Denn auf dem Weg von der Startseite in die Tiefen des Angebots durchlaufen die Besucher eine ganze Reihe von Phasen und jede stellt ein potentielles Ausstiegsrisiko dar. Grundlegende Textdesign-Maßnahmen helfen dabei die Nutzer auf Kurs zu halten…
Maßnahme 1: Glasklare Übersicht
Standard-Komponenten gehören an Standard-Orte. Wenn die Zeit knapp ist, um einen Besucher für den ersten Klick zu gewinnen, dann spielt schon die Platzierung der Inhalte auf der Startseite eine äußerst wichtige Rolle. Um die User verzögerungsfrei in die Inhalte locken zu können, muss man wissen, an welcher Stelle der Startseite die Nutzer ihren Blickflug über die Inhalte typischerweise starten. Dort, wo die User zuerst hinschauen, muss zwingend der zugkräftigste Inhalt platziert werden.
Die Befundlage zu dieser Frage ist leider nicht ganz eindeutig, allerdings pendeln die Ergebnisse ziemlich stabil zwischen zwei Aussagen: Die einen stellen fest, dass die Nutzer zuerst nach links oben schauen; die anderen stellen fest, dass die Nutzer zuerst auf die Mitte der ersten Bildschirmportion blicken.
Wer in der Platzierung des wichtigsten Contents also einigermaßen sicher gehen will, positioniert ihn entlang einer Achse von links oben zur Seitenmitte. In der Praxis hat es sich als nützlich erwiesen, diese Achse arbeitsteilig zu nutzen: Das Firmenlogo und/oder der Firmenname stehen als visuelle Anker heute üblicherweise immer links oben auf der Startseite, also am oberen Ende der Erstkontakt-Achse. Neuankömmlingen auf einer Site wird damit in Sekundenbruchteilen unzweifelhaft mitgeteilt, wo sie sich jetzt befinden. Zum Beispiel auf der Site von BMW, des FC Bayern München oder des Bundesministeriums für Forschung und Bildung.
Natürlich lässt sich diese Seh-Gewohnheit auch durch gezielten Farb- und Bildeinsatz durchbrechen, zum Beispiel, indem man eine knallrot gefärbte Ecke nach rechts unten auf die erste Bildschirmportion stellt und dann außerdem auch noch ein Foto obendrauf packt. Nur: Bis den Nutzern klar ist, dass das wichtigste Elemente entgegen ihrer Erwartung nicht links oben beziehungsweise in der Seitenmitte, sondern rechts unten steht, sind schon wertvolle Sekunden verstrichen. Und die fehlen dann für das Wahrnehmen der eigentlichen Inhalte.
Abweichungen von den zu unterstellenden Platzierungserwartungen für Standard-Komponenten sind zwar nicht von vornherein unsinnig, aber es muss jedem bewusst sein, das man mit ihnen auf schmalem Grat wandert. Abweichungen von Gestaltungskonventionen kosten in jedem Fall immer Verstehenszeit der Nutzer, können auf der anderen Seite – wenn sie funktionieren – aber auch einen deutlich aufmerksamkeitsstärkeren Effekt haben als ein Normalo-Design.
Maßnahme 2: Mit der Tagline auf Nummer Sicher gehen
Ist der Name Ihres Unternehmens nicht so selbsterklärend wie etwa „Autohaus Meier“, dann ist die Frage „Bin ich hier richtig gelandet?“ trotz Logo und Firmenname im Grenzfall noch nicht zweifelsfrei beantwortet. Um hier letzte Sicherheit zu erreichen, hat sich als Standard etabliert, diese Frage flankierend in der so genannten Tagline zu beantworten.
Gemeint ist damit ein Satz oder Satzfragment, dass dem Nutzer direkt sagt, welche Inhalte oder Dienstleistungen er von der betrachteten Website zu erwarten hat. Als beispielsweise das Online-Auktionshaus eBay noch neu im Netz war und sich die meisten Menschen unter dem Begriff eBay wenig vorstellen konnten, brachte es die Tagline auf der eBay-Startseite bereits glasklar auf den Punkt: „eBay – der weltweite Online-Marktplatz“. Missverständnisse und Irritationen ausgeschlossen.
Die Tagline gehört in jedem Fall auf die erste Bildschirmportion (also in den Bereich, der als erstes auf dem Bildschirm zu sehen ist). Sie stellt sicher, dass eventuelle, wie auch immer zu Stande gekommene Irritationen und Fragen über den Zweck der Website direkt aufgelöst werden können. Schaut also jemand auf die erste Seite und versteht beim ersten Scannen der Inhalte nicht, was die Site eigentlich soll, dann muss spätestens die Tagline für Klarheit sorgen. Tut sie es nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit eines abrupten Besuchsabbruchs.
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass viele Unternehmen ihre Markennamen mit einem so genannten Claim verknüpfen, einem Sinnspruch, der das Unternehmensziel oder die Unternehmensphilosophie auf eine kurze Formel bringt. Beispiel: Wenn man im Fernsehen beispielsweise einen Werbespot für „Ellen Betrix“-Kosmetikprodukte sieht, dann kommt zum Schluss stets die Formel „The Care Company“. Ein solcher Claim kommuniziert die Marken-Identität und muss entsprechend prominent auch auf der flankierenden Website platziert sein, um die Marken-Wiedererkennung zu unterstützen. Allerdings ist nicht jeder Claim auch als Tagline geeignet, es kommt also auf den Einzelfall an. Der Claim „Think ahead. We ‚re there.” der Hamburger Coremedia AG funktioniert in einem internationalen Markt möglicherweise ganz prima, ist als Tagline aber völlig ungeeignet, weil er nichts über die Inhalte oder die Funktion der Website verrät. Claim und Tagline stehen zuweilen also in einem Konkurrenzverhältnis.
Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen scheinen für derartigen „Firlefanz“ eher wenig übrig zu haben. In überschaubaren lokalen oder regionalen Märkten sind Unternehmensclaims manchmal aus guten Gründen wenig sinnvoll. Zumindest hat dies im Web-Publishing den Vorteil, dass die Tagline auf den Claim keine Rücksicht nehmen muss. In diesen Fällen kann also aus dem Vollen geschöpft und zu Schlüsselwörtern gegriffen werden, die dem Nutzer gleich beim ersten Draufschauen punktgenau und unmissverständlich sagen, was die Website im Köcher hat. Eine Tagline ist also gerade in kommerziellen Kontexten Pflicht, es sei denn, der jeweilige Sitename erläutert sich selbst oder es geht um Marken, die jederfrau und jedermann ohnehin geläufig sind. Im Grenzfall stellt die Tagline also sicher, dass ein User beim Erstkontakt mit der Site gleich ein erstes Aha-Erlebnis bekommt, und dies ihn sich sagen lässt: „OK, hier bin ich richtig.“
Natürlich gibt es auch bei den Taglines gute und weniger gute. Wirklich unschön ist es, wenn Taglines nicht nur erläutern, sondern auch ungeschminkt zeigen, dass sie erläutern. So sollte eine Tagline für die Website des (fiktiven) Fahrradhändlers Tretler nicht lauten: „Dies ist die Website des Fahrradhandels Tretler“, sondern „Tretler – Trekking- und Tourenräder“. Auf einer Zeitung steht ja schließlich auch nicht: „Dies ist eine Zeitung“, sondern „Zeitung für den Rhein-Neckar- Kreis“ oder ähnliches.
In Sachen Pro und Contra Tagline spielt dabei keine Rolle, ob ein Nutzer die Website über eine Suchmaschine gefunden hat und von daher ja bereits wissen müsste, welche Site nach dem Anklicken auf den Bildschirm geladen wird. Erst die Site selbst gibt ihren Besuchern die letzte Sicherheit, dass es sich um genau jene Site handelt, die vom Nutzer gewünscht wurde. Alle anderen Instanzen sind in dieser Hinsicht vergleichsweise weniger verlässliche Sekundärquellen.
Ob die Frage „Bin ich hier richtig?“ vom User mit „ja“ oder „nein“ beantwortet wird, liegt letztlich natürlich nicht in der Macht des Website-Anbieters, sondern ist abhängig vom Interesse und/oder vom Vorhaben des jeweiligen Nutzers. So könnte ein Nutzer beispielsweise erst nach dem Aufrufen der ebay-Startseite feststellen, dass die Site doch nicht das bietet, was er oder sie sich zunächst vorgestellt hatte. In jedem Fall stellt eine punktgenau formulierte Tagline aber sicher, dass kein Besucher verloren geht, nur weil der Zweck der Website nicht eindeutig kommuniziert wurde.
Richtig eingesetzt, ist die Tagline also nicht mehr – aber auch nicht weniger – als eine Rettungslösung für den Fall der Fälle. Sie wird immer dann wichtig, wenn die Nutzer, aus welchen Gründen auch immer, beim Dechiffrieren des Website-Zwecks stecken bleiben. Besser ist natürlich, wenn es erst gar nicht so weit kommt und Irritationen und Fragen über den Zweck der Website erst gar nicht auftreten. Wichtiger noch als das Texten einer punktgenau formulierten Tagline ist deshalb die traffic-optimale Platzierung der angebotenen Inhalte auf der Startseite.
Maßnahme 3: Der Platz an der Sonne (vertikale Hierarchisierung)
Um den ersten Klick wahrscheinlicher werden zu lassen und die von den Nutzern investierte Scanzeit optimal zu nutzen, muss die Startseite auf das schnelle Überfliegen getrimmt werden und in nutzerfreundlicher Weise einen irritations- und ablenkungsfreien Kontakt mit möglichst vielen Content-Angeboten garantieren. Die oben bereits angesprochene Erstkontakt-Blickachse („Site-Besucher schauen zuerst nach oben links oder in die Seitenmitte“) ist hier strategisch einzusetzen. Wie bereits beschrieben, thronen am oberen Ende dieser Blickachse immer Firmenlogo und Firmenname, und am unteren Ende muss der wichtigste Inhalt platziert sein.
Die Probleme mit den Platzierungsentscheidungen fangen in der Web-Praxis dort an, wo der Bildschirm von seinen Abmessungen her seine Grenzen hat. Mit anderen Worten: Hat man mehr Inhalte anzubieten, als auf der ersten Bildschirmportion der Startseite untergebracht werden können, muss gewichtet und hierarchisiert werden.
Damit die Gewichtung nicht planlos, sondern bewusst auf die eigenen Ziele abgestimmt ist, braucht es ein Hierarchisierungsprinzip. Hilfreich ist dabei ein eherner Leitsatz aus dem Nachrichtenjournalismus. Er lautet: Das Wichtigste gehört an den Anfang. Im Klartext heißt das: Wie bei einer auf den Kopf gestellten Pyramide bekommen relativ wichtigere Inhalte auf einer vertikalen Achse mehr Platz und eine höhere Position als relativ weniger wichtige Inhalte.
Klingt banal. Hat aber weitreichende Konsequenzen für die Startseitengestaltung, denn die Antwort auf die Frage, welche der eigenen Inhalte-Angebote relativ wichtiger und welche relativ weniger wichtig sind, entscheidet darüber,
– was auf die erste Bildschirmportion gestellt wird,
– welche Inhalte-Angebote bei Rollbalkenstartseiten unterhalb des Monitorbruchs platziert werden und
– in welcher Reihenfolge dies geschieht.
Zusätzlich muss diese websitespezifische Hierarchisierung dann noch mit den Erwartungen der Nutzer in Einklang gebracht werden. Aus Nutzungsanalysen weiß man inzwischen ziemlich genau über die Klickchancen für die unterschiedlichen Inhalte-Orte auf Startseiten Bescheid. Anders als man vielleicht vermuten könnte, nehmen die Klickchancen in Abhängigkeit von der Länge einer Rollbalkenseite nicht streng linear ab, sondern sinken erst unterhalb des Monitorbruchs, steigen aber gegen Ende der Startseite wieder an. Für das Textdesign einer Corporate Site heißt das ganz praktisch, dass die wichtigeren Inhalte auf einer vertikalen Achse entweder ganz oben oder ganz unten platziert werden müssen.
Maßnahme 4: Flugplan für scannende Blicke (visuelle Hierarchisierung)
Aus Anbietersicht muss es beim Keywording darum gehen, die Nutzer gleich in den ersten Augenblicken nach Kräften zu unterstützen, ihnen in kürzester Zeit möglichst viele Inhalte-Angebote zu unterbreiten und dabei möglichst zahlreiche Blickkontakte zwischen Website und Nutzern zu schaffen. Schließlich steigt mit jedem Blickkontakt zu den Inhalten auch die Chance, weitere Seitenabrufe zu generieren.
Um den Blick eines Nutzers über möglichst viele Content-Angebote der ersten Bildschirmportion zu führen, sollten die wichtigsten Inhalte auch als wichtig zu erkennen sein. Das Textdesign folgt dabei zwei einfachen Regeln:
1. Relativ größerer Schriftgrad dominiert über relativ kleineren Schriftgrad.
2. Relativ größeres Illustrationselement dominiert über relativ kleineres Illustrationselement.
Der wichtigste Inhalt der Startseite bekommt also nicht nur den Platz an der Sonne, sondern auch den größten Raum und die attraktivste Ausstattung.
Der vorliegende Beitag ist ein Auszug aus der Publikation „Besser texten, mehr verkaufen auf Corporate Sites. Schreibtipps und Textdesign für Unternehmen im Internet“. Erschienen im BusinessVillage Verlag.