95 Prozent der Betroffenen wollen sich erstmal aus Prinzip nicht ändern. Die Veränderung wird ja häufig von oben induziert: Neuer Geschäftsführer, neuer Chef oder Marktdruck. Dass sich ein Veränderungswillen aus der Mitarbeiterschaft heraus entwickelt, ist eher nicht die Regel. Da muss man mit Organisationsentwicklung nachhelfen. Über den Umgang mit Widerständen bei Change-Prozessen sprechen Stefanie und Rafael Supper, CEOs bei Supper & Supper.
Was sind typische Widerstände? Wie äußern sie sich?
Rafael Supper: Oft gibt es eine mangelnde Bereitschaft im Unternehmen, sich auf Veränderungen überhaupt einzulassen. Das kann sich in einer gewissen Uneinsichtigkeit äußern. Da gibt es Standardsätze wie: ‚So etwas funktioniert bei uns nie‘ oder: ‚Das haben wir noch nie so gemacht.
Stefanie Supper: ‚Wenn wir das so machen, bekommen wir riesige Schwierigkeiten‘, höre ich sehr oft. Negative Auswirkungen eines Changes werden gern mal sehr überzeichnet und einseitig dargestellt.Je größer eine Organisation ist, desto mehr hat der Einzelne die Möglichkeit, Dinge nicht unbedingt genau so zu machen, wie der Chef es will. Die Mitarbeiter haben die Möglichkeiten, Mikropolitik zu betreiben und ‚Dienst nach Vorschrift‘ zu leisten. Nach außen sieht das sehr wohl so aus, als wäre alles schön, aber eigentlich macht man genau das Gegenteil.
Woher kommen diese Widerstände?
RSU: Ich erlebe persönlich, dass sich 95 Prozent der Betroffenen erstmal aus Prinzip nicht ändern wollen. Die Veränderung wird ja häufig von oben induziert: Neuer Geschäftsführer, neuer Chef oder Marktdruck. Dass sich ein Veränderungswillen aus der Mitarbeiterschaft heraus entwickelt, ist eher nicht die Regel. Da muss man mit Organisationsentwicklung wirklich nachhelfen.
SSU: Oft begrüßen die Leute Veränderung zwar und sind bereit dazu. Aber wenn es dann konkret wird, muss alles bleiben wie bisher. Dann heißt es: ‚Ich habe schon immer so gearbeitet‘.
Sind da existenzielle Ängste mit im Spiel?
RSU: Existenzielle Ängste sind eine wichtige Thematik – selbst, wenn kein einziger seinen Job oder seinen Status verliert. Veränderungen führen bei den Betroffenen erst einmal zu Angst, denn irgendjemand kennt immer Beispiele, bei denen am Ende eines Veränderungsprozesses Leute rausgeschmissen wurden. Aber wir haben bis jetzt noch nie jemanden freisetzen müssen.
SSU: Leider besteht beim Thema ‚Reorganisation und Freisetzung von Mitarbeitern‘ eine große Scheu, das von Anfang an ordentlich zu kommunizieren. Wir empfehlen unseren Kunden beim Abbau von Stellen unbedingte Offenheit. So etwas muss gleich am Anfang kommuniziert werden. Ich erlebe Reorganisationen, die zum Teil Jahre dauern, und jahrelang schweben Damoklesschwerter über den Mitarbeitern. Das führt zu Lähmung und Stillstand in der kompletten Organisation.
RSU: Das habe ich bei sehr großen Unternehmen auch erlebt, sobald sich ein Vorstandswechsel ankündigt. Dann passiert erst einmal gar nichts, keine herausragenden Ereignisse, niemand wagt es, sich zu profilieren. Und wenn der Neue da ist, dauert es lange, bis die neue einzuschlagende Richtung den Mitarbeitern klar ist – und erst dann bewegt sich wieder etwas.
SSU: Da ist keiner dabei, der sich aus bösem Willen gegen den Change wendet. Wir hängen alle an unserem Status und unserer Verantwortung, und wären wir in einer Organisation, bei der ein Change ansteht, würden wir wahrscheinlich ähnlich reagieren. Die Mitarbeiter haben das, was sie bisher getan haben, immer aus einem guten Grund genau so gemacht. Ich kenne wirklich keinen, der einfach „sinnlos“ handelt. Wenn eine Sache, an der man sein Leben lang gearbeitet hat, plötzlich in Frage gestellt wird, ist dies schnell eine Verletzung. Das ist zutiefst menschlich.
Aber sind die Widerstände nicht unnötige Zeit- und Energieverschwendung?
RSU: Bei den Betroffenen besteht immer die Hoffnung, sich selbst nicht ändern zu müssen, den Change vielleicht zu verhindern oder für sich möglichst optimale Positionen herauszuholen.
SSU: Es gibt Organisationen, da wird ein Change verordnet und einmal über die Hierarchie nach unten gereicht. Das kann funktionieren. Alle schlagen die Hacken zusammen und es braucht kaum noch Change-Management. Das hängt stark von der Organisation und ihrer Kultur ab. Andere Organisationen sind demokratischer. Da muss mit allen immer über alles gesprochen werden, denn jeder ist beteiligt. Zwischen diesen beiden Extremen bewegt es sich.
Kommt es vor, dass Change gar nicht möglich ist?
RSU: Ein Wirtschaftsunternehmen kann nicht immun gegen Changes sein, sonst hat es schnell keine Kunden mehr.
Was mache ich als Unternehmen, wenn sich die Mitarbeiter widersetzen?
SSU: Unser Patentrezept ist Partizipation. Je mehr Widerstand besteht, desto häufiger sollte man zu den „Widerständlern“ hingehen. Niemals die Kommunikation abbrechen, sondern immer herauskriegen, was los ist, im Gespräch bleiben und möglichst viel Mitbestimmung und Teilhabe am Prozess bieten. Das funktioniert am allerbesten. Das ist ja auch einer von unseren grundlegenden Bausteinen für Change-Management.
Wie diagnostiziere ich denn Widerstand?
SSU: Wir beginnen unsere Projekte mit einer Stakeholder-Analyse. Wir erforschen, welche Personen wie betroffen sind und wie sie dem Projekt gegenüber stehen – was in der Regel eine Hypothese ist. Dann stellen wir uns die Fragen: Was kann ich tun? Wie beziehe ich sie mit ein? Wo sitzen diese Personen? Welchen Einfluss haben sie?
RSU: Wir arbeiten mit zwei Prinzipien – Kommunikation und Kollaboration – und drei Schwerpunkten: Strategie, Organisation, Prozesse. Die Definition der Strategie ist für mich ein ganz klarer Top-Down-Prozess: Der Chef sagt, wo es lang geht. Eine Strategie wird eben nie basisdemokratisch festgelegt. Das läuft nicht. Kostet nur Zeit. Auch wenn es um die Festlegung der Organisation geht, das Organigramm, da sagen die Chefs, wo es lang geht. Aber wenn es um die Prozesse geht, da können, da müssen alle mitmachen.
SSU: Ich muss top-down, bottom-up arbeiten: Ich partizipiere und informiere, aber das funktioniert nur, wenn ich auch topdown arbeite. Nur bottom-up und nur Kommunikation und Partizipation allein funktionieren nicht. Jemand muss auf der Brücke stehen und sagen: ‚Nord-Nordwest‘.
Was sind eure Goldenen Regeln wider den Widerstand?
RSU: Kommunikation, Kollaboration, Partizipation. Finde heraus, woher der Widerstand kommt. Diagnostiziere Deinen Widerstand.
SSU: Für mich ganz wichtig: Die Richtung muss stimmen und transparent sein. Der Kapitän auf der Brücke muss sagen, wo das Schiff hinfährt. In aller Deutlichkeit. Gern öfter mal.