Bricks oder Clicks oder beides?

Seit dem Sommer 2000 ist die Goldgräberstimmung in der New Economy erst einmal vorbei. Ging es in der ersten Phase der Entwicklung um eine Landnahme im Internet, wobei jeder nach Herzenslust experimentieren durfte, so ist seit dem Absturz der Startups an den Börsen die Phase der Konsolidierung eingeläutet.

Ein grundsätzliches Überprüfen der verschiedenen Geschäftsmodelle auf ihre längerfristige Zukunftstauglichkeit hat eingesetzt. Der anfängliche Erfolg vieler Firmen des New Economy im Bereich des eBusiness brachte einige traditionelle Unternehmen auf die Idee, sich ebenfalls in diesem neuen Bereich zu versuchen. Es gab manchen Fehlschlag, der dazu führte, die jeweilige Geschäftsstrategie noch einmal neu zu überdenken. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das große US-Buchhandelsunternehmen Barnes & Noble. Um der wachsenden Konkurrenz des Herausforderers amazon.com zu begegnen, gründete die Bertelsmann-Tochter eine Internet-Buchhandelsfirma (barnesandnoble.com). Durch die getrennte Aufstellung der Internet-Tochter versprach man sich schnelle und dem eBusiness angemessene Entscheidungen sowie eine flexiblere Unternehmensstruktur. Das Unterfangen scheiterte. Ein wesentlicher Grund wird allgemein darin gesehen, dass die strikte Trennung der beiden Firmen zu negativen Effekten bei der Internet-Tochter geführt hat. Um die Unabhängigkeit des Online-Handels zu bewahren, wurde in den Buchläden nicht auf den neuen Vertriebskanal hingewiesen. Ebenfalls wurde es vermieden – sehr zum Ärger der Kunden des Online-Barnes & Noble-Shops –, dass Kundenreklamationen bei Internet-Bestellungen in den stationären Läden weiterverfolgt wurden.

Hieraus aber zu schließen, dass eine engere Verknüpfung von Präsenzgeschäft und virtuellem Unternehmen in jedem Fall besser ist, wäre vorschnell. Denn sowohl für eine völlig getrennte Führung als auch für eine weit gehende Integration gibt es gute Gründe. Beim Zusammenführen von Online-Geschäft und traditionellem Handel können Rationalisierungspotenziale u.a. aus der Querpromotion der beiden Aktivitäten, der gemeinsamen Verwertung von Informationen, dem kombinierten Einkauf und der Vertriebslogistik realisiert werden. Auf der anderen Seite besteht allerdings häufig nicht zu Unrecht die Befürchtung von Kannibalisierungseffekten für das etablierte Business durch die Online-Aktivitäten. Eine genaue Betrachtung des Einzelfalls ist notwendig, denn eine pauschale Antwort ist bei komplexen eBusiness-Vorhaben nicht möglich. Die Unternehmen können Design und Strategie für das Online- und das Präsenzgeschäft exakt nach ihrer jeweiligen Markt- und Wettbewerbssituation gestalten, wenn sie genau abwägen, welche Prozesse integriert oder separat gehalten werden sollen. Dabei müssen die vier Dimensionen Markenaufbau, Management, Geschäftsprozesse und Beteiligungsmodelle beachtet werden. So gibt die Ausweitung des bestehenden Geschäfts einem Online-Shop sofort eine bestimmte Glaubwürdigkeit und sorgt für eine gewisse Grundlast. Gleichzeitig wird jedoch die Flexibilität eingeschränkt, weil die Kunden von der Website dieselben Konditionen wie im Präsenzgeschäft erwarten.

In Bezug auf das Management erleichtert eine Integration von Online- und Präsenzgeschäft die gemeinsame strategische Ausrichtung, die Ausnutzung von Synergien und das Teilen von Wissen. Getrennte Teams haben aber anderseits die Freiheit, wesentlich schärfer zu fokussieren, schneller Innovationen durchzusetzen und die beiden Geschäftsmodelle nicht zu verwässern. Ähnlich sieht es bei den Geschäftsprozessen aus. Eine Trennung ermöglicht – unbeeinflusst von „Altlasten“ – den Aufbau der gesamten Infrastruktur auf der „grünen Wiese“, während sich durch eine enge Verbindung zwischen beiden Bereichen vorhandene Stärken im Bereich der Informationstechnik oder der Logistik besser nutzen lassen. Auch bei den Beteiligungsmodellen gibt es Argumente dafür oder dagegen: Die Integration erlaubt der Muttergesellschaft den vollen Wert des Internet-Geschäfts zu behalten. Eine Trennung dagegen ermöglicht es, erfahrene Manager und Mitarbeiter zu halten sowie besseren Zugang zu Venture Capital zu bekommen oder gar einen Börsengang ins Auge zu fassen. Außerdem wird durch eine Trennung von der Mutter eine größere Flexibilität bei strategischen Partnerschaften erreicht.

Die Experten der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) räumen so genannten „Click & Mortar-Strategien“ (Klicks und Mörtel), bei denen der stationäre Handel mit dem Electronic Commerce verbunden wird, die besten Chancen ein. Bis zum Ende des Jahres 2000 – so eine Studie der Nürnberger Marktforscher – wird das Online-Umsatzvolumen der Click & Mortar-Anbieter das der reinen eBusiness-Betreiber überrundet haben. Laut der Studie konnten beispielsweise die Händler von technischen Gebrauchsgütern wie Unterhaltungselektronik, Informationstechnologie, Elektrohaushaltsgeräte, Foto und Telekommunikation, die ihren Internet-Shop mit einem Ladengeschäft verbinden, in den Monaten Februar bis Juli 2000 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ihren Online-Umsatz um 167 Prozent erhöhen. Dagegen nahm der Umsatz der reinen eBusiness-Anbieter nur um 71 Prozent zu.

Der vermeintliche Nachteil der traditionellen Unternehmen aus der Anfangphase des eBusiness hat sich verringert. Schon länger existierende Unternehmen müssen sich jedoch genau überlegen, wie sie ein Online-Geschäft neben ihrem bestehenden Präsenzgeschäft positionieren wollen.

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